Luzifer

„Und es ward gestürzt der große Drache, die alte Schlange, die da heißt Teufel und Satan, der die ganze Welt verführt. Er ward geworfen auf die Erde, und seine Engel wurden mit ihm geworfen.“ Offenbarung des Johannes

Luzifer (lat. „Lichtbringer“) bezeichnet im Christentum die Gestalt des Höllenfürsten und steht damit für den Teufel selbst. Zurück geht der Name auf eine Stelle in der Bibel, wo von einem babylonischen König berichtet wird, der ob seines Hochmutes von Gott gerichtet wurde: „Oh wie bist du vom Himmel gefallen, glänzender Stern, Sohn der Morgenröte! Wie bist du niedergehauen worden zur Erde hin, …“ (Jesaia 14,12) Dabei soll dem König „ein Zacken aus der Krone“ gefallen sein, in okkulten Kreisen bis heute als „Stein der Weisen“ bezeichnet. Dieser Sturz des Königs wird metaphorisch als „Fall“ des Morgensterns (Venus) bezeichnet, dessen Glanz vor dem der aufsteigenden Sonne (Gottvater) verblassen muss.

Erst der Klerus übertrug den Namen Luzifer auf Satan (hebräisch: „Widersacher“), der im alten Testament die Mächte der Finsternis repräsentiert und als „Fürst der materiellen Welt“ bezeichnet wird. Nach dem apokryphen Buch Henoch lehnte er sich einst gegen seinen Vater auf, wofür dieser ihn zur Strafe durch den Engel Michael aus dem Himmel stoßen ließ. Fortan befand sich Satan in seinem irdisch-vergänglichen Reich, wo er aus Lehm und Wasser den Menschen formte.

In der zu Beginn zitierten Johannesoffenbarung wird Satan als Schlange bezeichnet, in deren Gestalt er Eva dazu verführte, im Paradiesgarten vom Baum der Erkenntnis zu naschen. „Ihr werdet mitnichten des Todes sterben, denn Gott weiß, dass, welchen Tages ihr davon esset, so werden eure Augen aufgetan und ihr werdet sein wie Gott.“ (1.Buch Mose, 3:4-5) Als Adam und Eva vom Apfel der Erkenntnis kosten, fallen sie aus ihrem ursprünglichen Seinszustand ahnungsloser Vollkommenheit. Sie „erkannten einander in ihrer Nacktheit“ und erfahren sich somit zum ersten Male als voneinander getrennte Wesen (begannen „Ich“ zu sagen). Zur Strafe dafür verstieß Gottvater die Menschen auf ewig aus Eden und ließ dessen Pforten fortan durch einen gestrengen Engel bewachen.

Relief am Wormser Dom:
Der Teufel wird hier als schwangere Frau dargestellt, mit Bocksfüßen und vertierter Fratze. „Die fruchtbare Frau ist für das Christentum das größte Ärgernis; sie steht seinem katholischen Anspruch am meisten im Weg … Die Fruchtbarkeit der chthonischen Natur ist ein Stein des Anstoßes.“
(Camille Paglia)

Diese Tat, die „Mutter aller Sünden“, diente den Kirchenvätern lange als Legitimation, das Weibliche herabzusetzen und zu diffamieren. Ursprünglich bezeichnete der Begriff „Eden“ im Hebräischen einen „Ort der Freude“, was in der Antike gewöhnlich einen Garten beschrieb, in dem Lust und sexuelle Liebe nicht nur erlaubt, sondern rituell gepflegt und gefördert wurden. Sexuelle Freuden waren sowohl in östlichen als auch in westlichen Religionen so lange ein Erlösungsweg, bis der Klerus lehrte, dass Erlösung nur erlange, wer allen irdischen Freuden entsage. Im Zuge der Christianisierung ging die Kirche gegen die „heidnischen Abscheulichkeiten“ der Fruchtbarkeitskulte dermaßen gewaltsam vor, dass die Anhänger der alten Religionen gezwungen waren, sich zu ihren Festen immer tiefer in die Wälder zurückzuziehen. Heilige Haine und Kultplätze wurden zerstört und auf ihnen Kirchen errichtet, in denen die religiösen Lehren sexueller Glückseligkeit fortan als Fortsetzung der Ursünde und damit als Teufelswerk verdammt wurden.

Da sexuelle Freizügigkeit allen Obrigkeiten suspekt ist, weil der Mensch in seiner Lust frei wird und seine eigene Göttlichkeit erahnt, begann die Kirche unter dem Deckmantel geistlicher Keuschheit einen Kreuzzug gegen all jene zu führen, die sich weigerten, den neuen Glauben mit all seinen Vorschriften und Verboten anzunehmen. Vor allem die männlichen Fruchtbarkeitsgötter (Cernunnos, Pan, Herne), ob ihrer zeugenden Aufgabe seit jeher mit Hörnern oder Geweih versehen, waren willkommene Ziele für die Projektion des Bösen.

Relief am Wormser Dom:
Der Teufel wird hier als schwangere Frau dargestellt, mit Bocksfüßen und vertierter Fratze. „Die fruchtbare Frau ist für das Christentum das größte Ärgernis; sie steht seinem katholischen Anspruch am meisten im Weg … Die Fruchtbarkeit der chthonischen Natur ist ein Stein des Anstoßes.“
(Camille Paglia)

Alles, was diese Naturgötter über Jahrtausende dargestellt hatten, wurde nun in sein Gegenteil verkehrt. Aus einem Sinnbild für Zeugung, Fruchtbarkeit, regenerierende Lebenskraft und einen das Dasein bejahenden Eros wurde ein dunkler, lüsterner und vom Pesthauch umwehter Höllenfürst, der die gläubigkeuschen Schäfchen der Gemeinde fortan zu Wollust zu verführen trachtete. Die Verbindung von Hörnern und permanentem Geschlechtstrieb findet sich bis heute in dem umgangssprachlichen englischen Ausdruck „horny“, zu Deutsch „geil“.

Vergegenwärtigt man sich nun, dass die christliche Lehre auch darin besteht, den Geist vom „niederen Fleische“ befreien zu müssen, wird ersichtlich, warum die alten Naturgötter zum unausweichlichen Feindbild werden mussten. Denn statt der „Herrlichkeit Gottes“ beschwören sie als „Herren der Materie“ auf dem Altar sexueller Freuden die Herrlichkeit des dampfendes Leibes. Aus ihren triebhaften Lenden schoss immer neues Leben hervor, das hierdurch unaufhaltsam weiteren „unschuldigen“ Geist in die sündhafte Materie hinabzog, sodass das Schicksalsrad des unvollkommenen Lebens niemals stillstand.

Sucht man nun die Verbindung von Baum, Schlange, Apfel und Frau in heidnischen Mythen aufzuspüren, wird dort ein ganz anderes Bild vermittelt. In der keltischen Mythologie findet sich Avalon, die geheimnisvolle Apfelinsel der ewigen Glückseligkeit. Bei den Germanen ist die Göttin Iduna Hüterin eines blühenden Apfelhaines, dessen Früchte den Göttern ihre Jugend erhalten, während sich die Griechen vom Garten der Hesperiden erzählten: ebenfalls ein paradiesischer Hain, in dem drei wunderschöne Nymphen die Äpfel der Unsterblichkeit hüten. Bewacht wird der Hesperidengarten von dem Schlangendrachen Ladon, der so alt wie weise ist und Unbefugte davon abhält, sich an den heiligen Früchten der Götter zu vergreifen.

Dass Schlangen und Drachen seit jeher nicht nur mit Gift, sondern ebenso mit Wissen, Erkenntnis und Heilung in Zusammenhang stehen, vermitteln Symbole wie der Caduceus, der Uroboros sowie der in der Medizin bis heute verwendete Äskulap-Stab. Was die Schlangendrachen fast aller großen Schöpfungsmythen gemeinsam haben, ist ihre Doppelfunktion. Zum einen sind sie oft Hüter über den „Hort der Unsterblichkeit“ und zum anderen Sinnbild jener transformierenden Trieb- und Lebenskraft, die sich im immer wieder erfolgenden Zeugungsakt selbst neu gebiert (durch Häutung verjüngt) und damit die Verwandlung und Transformation jeglicher Spezies überhaupt erst ermöglicht. Als Ausdruck des sich in ewigen Zyklen wandelnden Lebens ringelt die Schlange sich um den (Welten-)Baum der Erkenntnis und trägt dabei ihr eigenes Schwanzende im Maul.

Der „Teufel“ als Schlange:
Uroboros-Schlange (Ø ca. 1,5 Meter!) in der Neuwerk- Kirche, Goslar.

Zuletzt ein biblisches Beispiel, in dem die phallische Schlangenkraft eine Transformation göttlicher Weisheit bedingt und infolge einen Himmelssturz ihrer Überbringer nach sich zieht. In der Genesis findet sich eine Passage, wo die Rede von „Gottes Söhnen“ ist. „Diese sahen, wie schön die Töchter der Menschen waren und nahmen sich zu Frauen, welche sie wollten.“ (1. Mose, 6:2) Aus ihren Kindern sollen die Riesen auf Erden und die Helden der Vorzeit hervorgegangen sein. Da die Bibel jedoch lehrt, dass lediglich Jesus von Nazareth Gottvaters einzig wahrer Sohn ist, wurden aus jenen lüsternen Gottessöhnen die sogenannten „bene-haelohim“. Im äthiopischen Buche Henoch, das wegen seines ketzerischen Inhalts in die Textsammlungen der Bibel nicht mit aufgenommen wurde, finden sich Passagen, wo das Ereignis des Engelsturzes ausführlicher behandelt wird. Dort erhalten die Frauen im Gegenzug für ihre durch sie genossene Lust von den Nephilim (die sich an ihnen „verunreinigten“) die Gabe der Zauberei und des Heilens. Weiter lehren jene die Menschen Fertigkeiten wie das Schauen der Sterne, die Metallverarbeitung, Ackerbau, kurz, jede Menge an kulturellen Errungenschaften. Für ihr Vergehen, den Menschen diese Erkenntnisse gebracht zu haben, stürzte Gottvater seine rebellischen Diener in die tiefsten Klüfte hinab.

Ob die Nephilim nun „Engel“ waren, bleibt offen. Was jedoch bleibt, ist das Bild eines gestrengen, mitleidslosen Vatergottes, für den Vergebung wie ein Fremdwort anmutet. Verwundert es da, dass seine Söhne den Aufstand üben? Denn je unnahbarer und grausamer ein Vater, desto unerbittlicher müssen seine Söhne werden, um sich gegen ihn jemals behaupten zu können. Fazit: Luzifer/Satan, wie er sich weltweit bis heute präsentiert, ist nichts anderes als ein über die Jahrtausende hinweg verzerrtes Bild – geschaffen durch einen militant praktizierten Monotheismus und eine gezielte Einschüchterungstaktik, die vielerorts bis heute ihren Zweck erfüllt. Leider!

Voenix ist Buchautor und Illustrator.
Björn Ulbrich ist Verleger esoterischer und neuheidnischer Literatur.

Siehe auch:
www.voenix.de und
www.arun-verlag.de