Meditation in Aktion

Spiritualität und Politik, Meditation und soziales Engagement scheinen auf den ersten Blick kaum Berührungspunkte zu haben. Nicht so für den Liedermacher Konstantin Wecker und den Zen-Meister Bernard Glassman, die gerade in der Verbindung der scheinbar getrennten Wirklichkeiten einen gangbaren Weg sehen, den Zorn auf die Missstände in unserer Welt zu transformieren und als Einzelner tatsächlich etwas zu bewirken. Und das alles auf der Basis von aktiver Meditation, gelebtem Mitgefühl und einer sozial engagierten Spiritualität.

Für viele Menschen ist Meditation ein praktischer Weg, Abstand vom hektischen Alltag zu gewinnen, Ruhe in einer Welt des Lärmes zu finden – kurzum ein Weg aus der Welt hinaus und hinein in innere Sphären. Etwas, das sich in den klassischen Meditationshaltungen genauso widerspiegelt wie in den Vorstellungen, die wir oft von der Meditation haben: buddhistische Mönche oder tibetische Lamas, die mehr oder weniger starr im Lotossitz verharren und mit geschlossenen Augen nach innen blicken. Bestenfalls formen ihre Hände geheimnisvolle Mudras, während ihre Lippen monotone Mantren murmeln. Äußere und innere Stille verbinden sich zu einer Einheit und werden gleichzeitig zum Symbol für eine spirituell motivierte Weltabgewandtheit. Kann hierin tatsächlich eine Lösung für die persönlichen wie kollektiven Probleme unserer Tage liegen?

Sicher ist die Praxis der Meditation für viele Anhänger der Methode eine Weltflucht auf Zeit, ein hervorragender Weg, Stress abzubauen, zu sich selbst zu finden, um gleich darauf wieder gestärkt in die alltägliche Wirklichkeit zurückzukehren. Eine wirksame Lebenshilfe genauso wie eine Art psychische Hygiene, die unsere Gedanken und Gefühle, Ansichten und Absichten klären hilft. Und gewiss ist Meditation nicht immer eine reglose Angelegenheit – nicht umsonst freuen sich auch verschiedene Formen der Bewegungsmeditation (z.B. Yoga-Meditation, Tai Chi oder Qi Gong) wachsender Beliebtheit, die nicht nur den Geist klären, sondern auch den Körper stärken.

„Sei du selbst die Veränderung, die du dir für die Welt wünschst.“ Mahatma Gandhi

Doch wahre Meditation, verbunden mit echter Spiritualität und dem aus ihr erwachsenden Mitgefühl, kann mehr, finden der Musiker Konstantin Wecker und der amerikanische Zen-Meister Bernard Glassman in ihrem jüngst erschienenen Buch „Es geht ums Tun und nicht ums Siegen“, dessen Titel einer Hommage Weckers an die Widerstandsgruppe „Die weiße Rose“ entliehen und somit zugleich politische Aussage wie spirituelle „Kampfansage“ gegen die Missstände unserer Zeit ist. Sie beide sind der Überzeugung, dass wir die aus den Fugen geratene Welt nicht retten können, ohne die Kluft zwischen politisch-sozialem Engagement und der Spiritualität zu überbrücken. „Aktives Handeln gelingt nicht ohne Spiritualität und Spiritualität nicht ohne aktives Handeln“, fasst die Herausgeberin Christa Spannbauer die gemeinsame Erkenntnis von Wecker und Glassman zusammen. „Nur durch eine Verbindung der beiden Elemente können wir in der Welt Tiefgreifendes bewirken.“ „Mag sein, dass wir damit zwischen den Stühlen sitzen“, ergänzt Wecker, „doch wer zwischen den Stühlen sitzt, klebt auf keinem der beiden fest und kann Neues wagen.“

Der Liedermacher …

„Mein größter Lehrer ist die Musik, und die wohl schönste Form der Meditation ist für mich das Improvisieren am Instrument“, sagt Konstantin Wecker, den die meisten als Sänger und Musiker, als politisch engagierten Liedermacher, als sanften Poeten und zugleich als zornigen Rebell kennen. Seine spirituelle Seite, die sowohl im Buddhismus als auch in christlicher Mystik wurzelt, ist weniger bekannt. „Buddha sagte einmal“, fährt Wecker fort, „es gibt so viele Wege zur Erleuchtung wie es Menschen gibt. Für einen Musiker, so glaube ich, führt der Weg zur Erleuchtung über die Musik. Meine Lieder wissen mehr als ich. Und sie wissen vor allem viel mehr über mich selbst, als ich es tue.“

Für Wecker liegt kein Widerspruch zwischen Meditation und Aktion – im Gegenteil, die Synthese beider ist die Quelle seiner Kreativität. Genauso wenig sieht er einen Widerspruch zwischen Politik und Spiritualität – in ihrer Synthese findet der 2007 für seine Zivilcourage mit dem Erich-Fromm-Preis ausgezeichnete Liedermacher die Kraft, sich einzumischen. Wenn es um den Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit geht, ist er stets zur Stelle, sei es in Sachen Afghanistan- oder Irakkrieg, Atomkraft oder Stuttgart 21. Genau wie in seinen Liedern ruft er uns auch im Leben zu: „Empört euch und wehrt euch und liebt euch und widersteht!“ Genauso klar macht Konstantin Wecker, dass eine gerechtere Welt nur durch Einbeziehung einer spirituellen Weltsicht erreicht werden kann. „Hör doch auf mit deinem Esoterik-Kram“, rügten ihn dafür seine Freunde auf politischer Seite, und von spiritueller Seite riet man ihm: „Hör doch mal auf mit deinem politischen Aktivismus, das geht doch nicht zusammen mit einem spirituellen Leben.“

… und der Zen-Meister

Dass es sehr wohl eine politische Spiritualität wie auch einen sozial engagierten Buddhismus geben kann, dafür ist der Zen-Meister Bernhard Glassman lebendiges Beispiel. Sein Weg hat „Bernie“, wie er selbst lieber genannt werden möchte, direkt aus dem Zen-Kloster in die Elendsviertel der Großstädte geführt. Seine Wohn- und Arbeitsprojekte für ehemalige Obdachlose und Drogenabhängige sind ebenso vorbildlich wie erfolgreich – und nicht nur das, Bernie geht mit seinen Schülern in sogenannten „Street Retreats“ selbst auf die Straße, um ihnen die unmittelbare Erfahrung zu vermitteln, was es bedeutet, kein Dach über dem Kopf zu haben und wie man als Obdachloser von seinen Mitmenschen tatsächlich behandelt wird. Wer diese Erfahrung einmal gemacht hat, wird, so Bernie, nie mehr gleichgültig an einem Obdachlosen vorbeigehen.

Darüber hinaus leitet der mittlerweile 72-jährige Zen-Meister seit Jahren Meditationstreffen in Auschwitz, einen Ort, den er den „größten Lehrer“ nennt, einen unerbittlichen Lehrmeister, in dessen Angesicht die Teilnehmer gar nicht anders können als zu lernen und zu verstehen. „Der erste Besuch in Auschwitz“, sagt der Sohn einer jüdischen Familie aus Brooklyn, „ist wie ein Schlag auf den Kopf. Nichts, was man zuvor in seinem Leben gesehen, gehört oder gelesen hat, kann auf diese Situation vorbereiten.“ Ein Teilnehmer einer Auschwitz-Meditation berichtet: „Wir können die Schreie derjenigen hören, die hier gelitten haben. Wir können aber auch die Schreie all derjenigen hören, die heute irgendwo auf der Welt leiden. Und wir können unsere eigenen Schreie hören. Dieses Hinhören ist wichtig. Viel zu oft handeln wir, ohne wirklich gehört zu haben, was nötig ist.“

Aus dieser Art der aktiven Meditation erwächst Bernie zufolge ganz automatisch aktives Mitgefühl, die Essenz buddhistischer Praxis. „Schau einfach genau hin und frage, wie du helfen kannst“, sagt er. „Was immer du dann auch tust, ist das Beste, was du in diesem Moment tun kannst.“ Und aus ihr erwächst auch die Erfahrung der Einheit allen Lebens, eine zentrale Erkenntnis, die uns die Kraft verleiht, buchstäblich „Berge zu versetzen“. „Solange jeder nur auf seine begrenzten Möglichkeiten blickt, gibt es immer gute Gründe, sich nicht zu engagieren“, erklärt der unorthodoxe Zen-Meister. „Wenn sich jeder Einzelne jedoch als Teil der Welt und damit als die Welt selbst begreift, dann verfügen wir über unendliche Ressourcen.“

Anstiftung zum Einmischen

Die gelebte Spiritualität von Konstantin Wecker und Bernie Glassman ist ansteckend, eine „Anstiftung zum Einmischen“, wie sie selbst in ihrem gemeinsamen Werk „Es geht ums Tun und nicht ums Siegen“ betonen. „Es gibt unendlich viele Möglichkeiten für angewandtes Mitgefühl in der Welt“, erklärt Bernie. „Wir müssen einfach nur hinsehen, was genau in diesem Moment erforderlich ist. Vielleicht ist es die alte Frau, der wir beim Treppensteigen behilflich sein können, vielleicht ist es der Obdachlose auf der Straße, an dessen Seite wir uns zu einem Gespräch niederlassen. Vielleicht helfen wir dabei, Jobs und Unterkünfte für Menschen, die auf den Straßen leben, zu organisieren. Liebevolles Handeln leistet immer einen Beitrag dazu, das Leiden in der Welt zu verringern.“

Die Zukunft sehen sowohl Wecker als auch Glassman in einer Neuentdeckung der Liebe und des Mitgefühls, die jetzt schon in Form eines sozial engagierten Buddhismus neue Wege geht. Eine ebenso sozial engagierte und politisch aktive, gelebte Spiritualität jenseits der Grenzen irgendwelcher Bekenntnisse könnte in Zukunft ein Netzwerk hervorbringen, das nicht nur in der Lage ist, die scheinbar ausweglosen Krisen unserer Zeit zu meistern, sondern eine lebens- und liebenswerte Welt des Mitgefühls und Miteinanders hervorzubringen. Eine friedliche Revolution ähnlich den Aufbruchsbewegungen, die wir momentan in Teilen der islamischen Welt sehen können, so Glassman.

„Eine Revolution beginnt immer mit dem Um- und Neustrukturieren des eigenen sowie des gesellschaftlichen Denkens“, sagt Konstantin Wecker im Gespräch mit Bernie Glassman. „Für mich bedeutet dies in der gegenwärtigen Situation das Zusammenwachsen einer neuen Spiritualität mit einer engagierten sozialen Politik. Das beinhaltet die Bereitschaft, sich selbst ständig zu revolutionieren, sein eigenes Denken permanent zu hinterfragen, zu überprüfen und sich neben all der gesellschaftspolitischen Aktivität immer auch Zeiten der Stille zu gönnen. Wir beide sprechen hier über eine Revolution der Liebe. Und dieser geht es nicht darum, etwas zu zerstören, sondern Neues aufzubauen, zu entwickeln und zu unterstützen.“

Das Autorenteam
Konstantin Wecker, Jahrgang 1947, Poet, Sänger und Komponist, engagiert sich seit Jahren für Zivilcourage und Pazifismus. Wenn er nicht gerade auf Tour ist, lebt er mit seiner Familie in München. www.wecker.de

Bernard Glassman, Jahrgang 1939, ist einer der eindrucksvollsten Vertreter eines sozial engagierten Buddhismus. Der Zen-Meister gründete ein Netzwerk, das sich weltweit für Frieden und Gerechtigkeit einsetzt und überaus erfolgreiche Sozialprojekte inspiriert hat. www.peacemakers.org

Buch-TIPP
Konstantin Wecker, Bernard Glassman
Es geht ums Tun und nicht ums Siegen.
176 Seiten, € 19,99
ISBN: 978-3-466-30919-1
Kösel-Verlag

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