Buchcoverausschnitt: Mit Buddha Tee trinken

Mit Buddha Tee trinken

Die chinesische Teezeremonie – Gong Fu Cha – ist nicht nur ein optisches und geschmackliches, sondern vor allem auch ein spirituelles und philosophisches Vergnügen. Ein bekannter Ausspruch lautet: Tee und Meditation haben den gleichen Geschmack. In Asien besteht die Verbindung von Tee und Spiritualität seit Urzeiten.

Ein Einblick in die chinesische Teezeremonie von der Buchautorin und Zen-Buddhistin Sandy Taikyu Kuhn Shimu.

Buchcoverausschnitt: Mit Buddha Tee trinkenIch kann mich noch genau an meine erste Begegnung mit Gong Fu Cha erinnern: 1998 auf meiner ersten Studienreise nach China. Es war ein lauer Sommerabend hoch in den Bergen des Mittellandes, die Zikaden zirpten, ein sanfter Wind strich über die Blätter der Bambusbäume, und das Wasser im Kessel zischte. Graziös, achtsam und flink bereitete eine zierliche Teemeisterin den besten Tee zu, den ich bis dahin jemals getrunken hatte. Ich war zutiefst beeindruckt, wie elegant sie das Wasser in die kleine Kanne füllte. Wie ein Wasserfall plätscherte das heiße Wasser in die mit Oolong-Tee gefüllte edel verzierte Teekanne. Jeder Handgriff saß – unbeschwert, frei und leicht.
Lächelnd wurden der Tee „gewaschen“ und zum zweiten Mal aufgegossen sowie die Teeschalen und die Riechbecher* vorgewärmt. Nachdem der Tee gekonnt in die Riechbecher gefüllt wurde, stülpte die Teemeisterin sachte die Teeschalen darüber, drehte geschickt in einem Schwung Becher und Schale um und reichte dann feierlich den Tee. Bevor der Tee in drei Schlucken getrunken wurde, bestaunten wir die intensiv leuchtende Farbe und erfreuten uns am wohlriechenden Duft. Die Sonne hinterließ einen feuerroten Abschiedsgruß am Himmel, die Sterne und der Mond traten langsam hervor, der Tee erfreute meinen Gaumen und meinen Geist – es war um mich geschehen …

Die Seele des Tees

Tee ist für mich mehr als nur ein Getränk. Wenn ich vom Geist oder von der Seele des Tees spreche, dann verbirgt sich dahinter eine ganze Philosophie, eine Kunst, ein Weg. Wir können den Tee mit all unseren Sinnen erfahren und genießen. Der Teeweg lehrt uns Geduld, Achtsamkeit, Schönheit, Stille, Bewusstheit, Würde, Respekt und Dankbarkeit. Gerade in unserer hektischen, rastlosen Zeit und unserer oft sehr oberflächlichen Gesellschaft wird der Weg des Tees zu einem wundervollen Geschenk – einer ruhigen und friedlichen Oase – mitten im Lärm der Welt. Kein Tag vergeht ohne meine Tasse Tee und die Gespräche, die Muße und Harmonie und die tiefe Zufriedenheit, die daraus entstehen. Tee und Selbsterkenntnis haben mehr gemeinsam, als man denkt.

Der Aufguss der langen Freundschaft

Gong Fu Cha wurde in der Ming-Dynastie, 1368–1644, in der chinesischen Südprovinz Fujian entwickelt. Noch heute wird die chinesische Teezeremonie vor allem in Taiwan und in China praktiziert. In Gong Fu Cha steht das Geschmackserlebnis im Vordergrund. Jede Handlung in der chinesischen Teezeremonie zielt darauf ab, jedem der vielen Teeaufgüsse das Beste zu entlocken. Genau darin liegt die große Kunst. Die Teemeisterin oder der Teemeister muss die Veränderung der Teeblätter wahrnehmen und die Ziehdauer immer wieder anpassen können. Nicht umsonst spricht man vom Aufguss des Feindes, dem Aufguss des guten Geruchs, dem Aufguss des guten Geschmacks und den Aufgüssen der langen Freundschaft.

Gong Fu Cha ist ein geschmackliches, optisches und geistiges Vergnügen. Bei der chinesischen Teezeremonie wird geplaudert, gelacht und philosophiert. Die soziale Bedeutung der Zeremonie ist groß. Die chinesische Teezeremonie kennt nur wenige Vorschriften und Regeln. Man trifft sich spontan zu einer Tasse Tee und kultiviert Tugenden wie Respekt, Ruhe, Harmonie, Achtsamkeit und Verbundenheit. Dabei spielt es keine Rolle, ob man einen oder ein Dutzend Gäste mit Tee bewirtet. Wichtig ist, zu erwähnen, dass auch der Gastgeber fleißig Tee mittrinkt und dass man grundsätzlich an einem Tisch und auf Stühlen sitzt. Für die chinesische Teezeremonie wird traditionellerweise ein Oolong-Tee verwendet, also ein Tee, der zu 10 bis 70 Prozent fermentiert wurde.

„Wenn man sein Leben ändern möchte, ist es ratsam, bei der Zubereitung des Tees zu beginnen …“

Die Kraft der Teezeremonie im Alltag

Im Laufe der Zeit – mit fortschreitender Übung und Praxis – wird man sich der Wechselwirkung von Materiellem und Spirituellem immer bewusster. Durch die Teezeremonie erschafft man eine harmonische, friedliche Atmosphäre, und mit dem gemeinsamen Teegenuss fördert man die Verständigung, den Gedankenaustausch und die Freundschaft. Jeder Vorgang im Gong Fu Cha repräsentiert auch eine geistige Ebene. Die Gedanken kommen zur Ruhe, Geist und Körper entspannen sich. Teetrinken kann zu einem Akt der Transzendenz werden, einem Ereignis, das die mentale Dimension übersteigt.

Die Teekultur ist eng mit verschiedenen anderen Künsten verbunden. So beeinflussen sich bis zum heutigen Zeitpunkt die Kalligrafie-, die Mal-, die Dicht- und die Teekunst gegenseitig. Durch das stetige Wiederholen, das Ritualisieren der gleichen Abläufe werden positive Signale gesetzt. Rituale machen nicht abhängig – im Gegenteil, sie helfen, sich auf das Wesentliche, das Essenzielle im Leben, zu fokussieren und die Energie richtig zu lenken. Die Aufmerksamkeit auf die Handlungen in der Gegenwart zu haben verhindert das Festsetzen von Emotionen, die der Vergangenheit oder der Zukunft angehören. Sorgen, Ängste, Unsicherheit, Schuldgefühle, Zweifel, Unruhe und Gier werden durch die gegenwartsbezogene Achtsamkeit nicht genährt und verlieren dadurch an Bedrohung und Bedeutsamkeit. An ihre Stelle treten Klarheit, Bewusstheit, Geduld, Dankbarkeit, Mitgefühl, Verbundenheit, Natürlichkeit und wahres Selbstvertrauen. Ein authentisches Verhalten bedingt die absolute Akzeptanz für das, was ist. Die chinesische Teezeremonie verzichtet auf Schauspielerei. In Gong Fu Cha kommt das universelle Gesetz von Ursache und Wirkung unverhüllt zum Tragen.

Der Teeweg wird oft auch als „Teekunst“ bezeichnet, weil er eine Disziplin oder ein Pfad ist, auf dem der Praktizierende das Verständnis der eigenen Existenz und der Natur der Wirklichkeit klären kann. Die Kunst des Gong Fu Cha soll den Blick für das Wesentliche schärfen und die Sinne auf den Augenblick, auf das Hier und Jetzt, richten. Ziel ist es, einen entspannten, sorgenfreien Geisteszustand und die Verbundenheit mit der gesamten Umgebung und Umwelt zu erfahren. Aus taoistischer Sicht bewirkt das Teetrinken eine Verlängerung des Lebens. Tee wird seit jeher als Heilmittel eingesetzt. Nicht von ungefähr wird Tee in China auch als „Trank der Unsterblichkeit“ bezeichnet. Aus konfuzianischer Sicht fördert und regelt der Genuss von Tee zwischenmenschliche Beziehungen. Tee wird serviert, um Dankbarkeit oder Hochachtung zu zeigen, und hat bei Zeremonien eine tiefe Bedeutung. Mit einer Tasse Tee werden Freundschaften geschlossen und Geschäfte besiegelt. Zur Ehrerbietung und Lobpreisung reichen Kinder ihren Eltern eine Schale Tee, und Schülerinnen und Schüler der Kampfkünste bitten mit einer demütigen Haltung und einer Tasse Tee in den Händen den väterlichen Lehrer Shifu oder die mütterliche Lehrerin Shimu um Aufnahme in die hiesige Schule. Im buddhistischen Gedankengut klärt Tee den Geist und wird als Hilfsmittel zur Förderung der Konzentration beim Meditieren eingesetzt. Zudem wird dem Tee nachgesagt, dass er eine reinigende und heilende Wirkung auf den Körper hat.

Ob und wie weit man sich auf diese Dimensionen einlassen möchte, ist selbstverständlich jedem selbst überlassen. Viele Menschen erachten es seither als befremdlich, dass einem „bitteren“ Getränk so viel Lob und Anerkennung entgegengebracht wird. Die Fragen, die sich mir allerdings immer wieder stellen, sind folgende: Verdient nicht alles im Leben unseren Respekt, unsere Dankbarkeit und unsere Wertschätzung? Ist nicht genau diese urteilende, wertende und vergleichende geistige Haltung dafür verantwortlich, dass wir Menschen leiden? Was ist der Sinn des Lebens? Was ist das Leben? Als praktizierende Zen-Buddhistin und Kampfkünstlerin kann ich auf die Frage nach dem Sinn des Lebens keine Antwort geben. Aber auf die Frage, was das Leben ist, kann ich mit Bestimmtheit sagen: Das Leben ist Veränderung!

Sandy Taikyu Kuhn Shimu
Buchautorin: Sandy Taikyu Kuhn Shimu
Sandy Taikyu Kuhn Shimu absolvierte Ausbildungen zur staatlich geprüften Fachsportlehrerin sowie zur diplomierten Kampfkunst- und Yoga-Lehrerin. Sie ist praktizierende Zen-Buddhistin sowie Gründerin und Leiterin der WU LIN Organisation. Seit 1993 beschäftigt sie sich mit asiatischer Philosophie, Lebens- und Kampfkunst. Studienreisen nach Asien prägten ihr Denken, Fühlen und Handeln.

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BUCH-TIPP
Sandy Taikyu Kuhn Shimu
Mit Buddha Tee trinken. Eine Einführung in die chinesische Teezeremonie
176 Seiten, € 14,95
ISBN 978-3-8434-1033-5
Schirner Verlag