Die „POP“-Kabbalah

Madonna, die schon legendäre Pop-Ikone, wird erneut zum Trendsetter – dieses Mal im Spirituellen: Mit großzügigen Spenden und ihrem öffentlichen Vorbild bei Konzerten und im Alltag sorgt sie dafür, dass die Kabbalah, die spirituelle jüdische Geheimlehre, nicht nur in den USA in aller Munde ist. Plötzlich hat so die Kabbalah Einzug in den Bereich der Pop-Kultur gehalten!

Pop-Superstar Madonna nimmt im September 2004 anläßlich ihrer „spirituellen Pilgerschaft“nach Israel an einer Kabbalah-Konferenz in Tel Aviv teil. Madonna unterstützt vor allem das Projekt „Spirituality for Children“, das Kinder früh mit spirituellen, nicht materialistischen Einstellungen vertraut machen soll.

Im mittlerweile weltweit operierenden „Kabbalah Centre“ in Tel Aviv, dem ersten liberalen Kabbalah-Lehrzentrum überhaupt, gehen neben Madonna auch Britney Spears, Paris Hilton, Demi Moore, die Backhams, Elisabeth Taylor und Barbra Streisand ein und aus. Sie alle tragen dazu bei, dass SpirituellSein und dass Spiritualität in den USAinsbesondere mit der Kabbalah verbunden wird und von der Jugend sogar das heiß begehrte Label „cool“ bekommen hat. „Es ist nicht wichtig, ob man berühmt ist, wichtig ist es, dass man ein guter Mensch ist“, propagiert Madonna.

Öffnung der Geheimlehre
Jahrhundertelang war das Studium der Kabbalah (von hebräisch Quabbalah, „mündliche Überlieferung“) nur verheirateten Männern ab vierzig vorbehalten. Doch jetzt dürfen auch Frauen und generell junge Leute eine Kabbalah-Schule besuchen. Bisher wurde in traditionellen Kabbalah-Schulen vorausgesetzt, dass Schüler und spätere Eingeweihte von dem tiefen Wunsch beseelt sind, die mystische Dimension Gottes zu verstehen. Sie sollten die Bedeutung des menschlichen Daseins ergründen und erfahren, wie man in Kontakt zu Gott kommen und wahre Vollkommenheit erreichen kann. Dazu galten jahrelanges Gebet, selbstloses Studium und stille Meditation ebenso als absolutes Muss wie die Einhaltung der 613 Gebote (Mitzwot). Studiert wurde insbesondere das Hauptwerk der Kabbalah, der 23-bändige „Sohar“ (das „Buch des Glanzes“), das aramäische Kommentare zur hebräischen Bibel, den 5 Büchern Mose, beinhaltet.

Im Jahr 1969 aber brach Rabbi Philip Berg mit dem Kodex der traditionellen Geheimwissenschaft und gründete in Tel Aviv die erste liberale Synagoge, das Kabbalah Centre. Er begann Vorträge zu halten, bot Seminare und Kurse zum Thema „Kabbalah“ an. Er, seine Frau Karen und ihre Söhne Yehuda und Michael wollen die Kabbalah heute als Quelle spirituellen Wissens einem breiteren Publikum – ohne Ansehen von Religionszugehörigkeit, Alter und Geschlecht – zugänglich machen: Sie soll das Leben aller Menschen verbessern und transformieren. „Die Kabbalah ist die älteste Tradition der Geheimlehren. Vom Anbeginn der Schöpfung wurde sie direkt von Gott an Adam, Abraham, Sarah, Rachel und Moses und andere biblische Urväter weitergegeben“, erklärt Rabbi Philip Berg und meint weiter: „Die Kabbalah geht jeder Religion oder weltlichen Organisation voraus. Sie ist das Erbe und das Geburtsrecht der ganzen Menschheit.“

Nach Rabbi und Kabbalah-Lehrer Yuwal Ascherow ist „in den Geschichten der Bibel eine geheime Ordnung der gesamten Welt und der menschlichen Geschöpfe verborgen“. Gott gab der Welt Gestalt und Form durch die Sprache (1. Mose 1,1–31) – und so ist der Kabbalist der Ansicht, dass jeder einzelne Buchstabe und jede Zahl des hebräischen Alphabets eine messbare Manifestation der absoluten Gottheit ist. Es ist so auch nicht verwunderlich, dass in einem Hauptwerk der Kabbalah, dem Sohar, versucht wurde, die tiefere Bedeutung, den verborgenen Code der jüdischen Thorah (der 5 Bücher Mose) mithilfe von Meditation, Numerologie, Wortspielen, Buchstaben- und Zahlenmystik zu ergründen. Der berühmte „Bibel-Code“, der in den letzten Jahren für so viel Aufregung und eine Flut an Publikationen gesorgt hatte, ist also für die Kabbalisten prinzipiell nichts Neues.

Kabbalah als Trend

Die Abbildung zeigt einen der 72 heiligen Namen Gottes. Sie gelten als wesentlicher Bestandteil des kabbalistischen Systems.

Heute gibt es weltweit etwa 50 Kabbalah-Zentren unter Leitung der Rabbi-Familie Berg. Ihre Dachorganisation sieht sich selbst als „weltweit führende Lehrorganisation, „die kabbalistisches Wissen anbietet“. 3,5 Millionen Menschen sind durch sie bereits mit den Lehren in Berührung gekommen.

Mehr als 50000 Menschen pro Woche nehmen an den angebotenen Kabbalah-Seminaren teil. 30000 sollen wöchentlich die gebührenfreien Telefonnummern nutzen, um sich über die Lehre zu informieren – was auch in deutscher Sprache möglich ist. Zusätzlich werden Informationen im Internet angeboten: Im Monat soll die organisationseigene Homepage von durchschnittlich 100000Menschen besucht werden. Stolze 500000 aktive Mitglieder verzeichnet die Institution und etwa 200 Kabbalah-Lehrer. Damit gehört das Kabbalah Centre derzeit weltweit zu den am schnellsten wachsenden spirituellen Organisationen. Und so wurde dank Rabbi Berg aus der alten Geheimlehre eine Art „praktische Lebenshilfe“, die für jeden anwendbare Methoden und Hilfen für moderne Sinnsucher bereitstellt.

Kein Wunder, dass es vor allem aus den Reihen der traditionellen Kabbalisten und der orthodoxen Juden reichlich Kritik hagelt. Sie werfen der Familie Berg die Enthüllung und Profanisierung kabbalistischer Geheimnisse vor. Wasser auf ihre Mühlen ist, dass die Rabbi-Familie auf der Website des Centre nicht nur ihre Dienste anbietet – wie etwa Online-Kurse als „virtuelles Lehrzentrum“ und einen persönlichen Beratungsservice durch die Lehrer. Vielmehr werden auch Bücher, Seminare, Vorträge und die roten Kabbalah-Bändchen verkauft. Man kann eine englische Ausgabe des Sohar für stolze 415 Dollar erwerben sowie Kalender, Räucherwerk und gesegnetes Kabbalah-Wasser, das Reinigung und Heilung fördern soll.

Ebenfalls im Online-Verkauf des Centers sind CDs, Videos und DVDs, Schlüsselanhänger, T-Shirts, Poster, Steine und Kerzen mit einem der 72 Namen Gottes in hebräischen Lettern zu bestellen. Kritisch wird in den Medien auch vermerkt, dass aktive Mitglieder 10 Prozent ihres Einkommens an die Organisation spenden. Das Vermögen des Kabbalah Centre soll sich mittlerweile auf etwa 25 Millionen Dollar belaufen; allein das Zentrum in Los Angeles nahm im Jahr 2003 rund 26 Millionen Dollar ein.

Andererseits legt das Centre ähnlich wie die traditionelle Kabbalah sehr großen Wert auf die ethische Dimension des Lebens – etwas, das in krassem Gegensatz steht zu der materialistisch, selbstsüchtig geprägten Kultur, in der wir heute leben. Die Familie Berg hat es sich auf die Fahnen geschrieben, die Menschen in ein Leben zu führen, das ihrer wahren, freudvollen Natur und Bestimmung entspricht. Voraussetzung dafür ist, dass jeder Einzelne bereit ist, sein Ego zu überwinden und selbstlos zu geben – sich vom Materiellen ab- und dem Spirituellen zuzuwenden. Vorzeigebeispiel ist wiederum Madonna, sie war „durch und durch materiell eingestellt, ganz und gar körperlich, und jetzt ist sie durch und durch spirituell“, so David Shamouelian.

Nach dem großen Tsunami schickte die Organisation für die Opfer über eine Million Dollar an Hilfsgütern in die Region – darunter auch Tausende von Litern Kabbalah-Wasser nach Indonesien und ebenfalls Tausende Ausgaben des Sohar nach Thailand. Auf seiner Homepage ruft das Kabbalah Centre zu weiteren Spenden für die Tsunami-Opfer auf, denn „wir sind alle verantwortlich für das Chaos, an dem Menschen auf dieser Welt leiden“, so das Zentrum. Weiterhin wird dem Besucher hier empfohlen, auf „Mem Hey Shin“, einen der 72 Namen Gottes zu meditieren, um so dazu beizutragen, dass das Leiden der Betroffenen abnimmt und solche Katastrophen nicht mehr geschehen.

Erste Kabbalah-Zentren in Europa
Zweifelsohne aber hätte die Geheimlehre ohne diese Öffnung zur „Pop-Kabbalah“ nie eine solche Verbreitung und Förderung erfahren wie heute. Dabei hat natürlich die intelligente Vermarktungsstrategie der Familie Berg – die Kabbalah jedem, ob Jude oder Nicht-Jude, Erwachsener oder Kind, weltweit direkt über die Kabbalah Centres, via Internet oder Telefon als ein für jedermann anwendbares „Werkzeug zur Selbstverbesserung“, wie Yehuda Berg selbst sagt, anzubieten – mit Sicherheit zur Popularität der Lehre beigetragen. Das liegt auch an der völlig unüblichen Aufbereitung des Geheimwissens in den Büchern und Publikationen des Centre. Da werden durchaus auch mal Songtexte der Rap-Stars Eminem und Jay-Z verwendet. „Die Kabbalah wird deine Welt erschüttern – du wirst die Art, wie du dein Leben siehst und lebst, total verändern. Du wirst ein Verstehen erlangen, wie du es nie zuvor erlangt hast“, so Jay-Z zum Thema „Kabbalah“.
Auf diese Weise ist das Interesse an der Kabbalah explosionsartig angestiegen – in den USA verstärkt auch noch einmal nach den Ereignissen vom 11. September 2001. Den Menschen wurde wohl dadurch allzu deutlich, dass es keine wirkliche Sicherheit im Leben gibt.

Derzeit schwappt die Welle der Begeisterung nach Europa über: Madonna unterstützte mit 6 Millionen Dollar den Aufbau eines Kabbalah Centre in London. In Deutschland wurden bereits in Hannover und Berlin Zentren eröffnet. Zudem sind im deutschsprachigen Raum erste Veranstaltungen und Seminare mit den Rabbis Yehuda und Michael Berg in Planung (siehe Infos).
Unterdessen wirbt Madonna unermüdlich für die „pop“-ularisierte Kabbalah – allein dadurch, dass sie ihr Leben verändert: Seit sieben Jahren studiert sie die Kabbalah nicht nur und schreibt Kinderbücher, die mit kabbalistischen Hinweisen gespickt sind. Sie gibt seitdem auch keine Konzerte mehr an Freitagabenden, denn die „Queen of Pop“, die sich nun alttestamentarisch „Ester“ nennt, hat den Sabbat für die innere Einkehr reserviert. Sie schwört auf das Kabbalah-Wasser und ordert bei ihren Konzerten für ihre gesamte Crew nur noch das gesegnete Nass. In ihrem Video zum James-Bond-Film „Stirb an einem anderen Tag“ trägt sie hebräische Lettern als Tätowierung und um ihren Arm einen rituellen, traditionell nur von Männern getragenen ledernen jüdischen Gebetsriemen (Teffilin).

Und in der Öffentlichkeit sieht man sie mit dem Rachelfaden, einem roten Wollfaden, am linken Handgelenk – das Erkennungszeichen der Kabbalisten der Neuzeit. Das rote Bändchen soll vor dem bösen Blick schützen und, wie Rabbi Michael Berg erklärt, kann „es dem Träger mehr Kraft und ein höheres Bewusstsein geben“.

Yehuda Berg ist eingeweihter Rabbiner und gilt weltweit als eine führende Autorität auf dem Gebiet der Kabbalah. Er ist Autor des Bestsellers „Die Macht der Kabbalah“ (Goldmann Taschenbuch) und gibt weltweit Seminare und hält Vorträge. Er spielt eine bedeutende Rolle bei der Verbreitung und Erläuterung der Weisheit und praktischen Anwendbarkeit der Kabbalah. Yehuda Berg lebt mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Los Angeles und New York City.

Weitere Infos unter:
www.kabbalah.com
www.nietsch.de

BUCH-TIPP
Berg, Michael
Werden wie Gott
180 Seiten, € 17,90
ISBN: 978-3-934647-88-6
Hans-Nietsch-Verlag

BUCH-TIPP
Berg, Yehuda
Die 72 Namen Gottes
205 Seiten, € 19,90
ISBN: 978-3-934647-79-4
Hans-Nietsch-Verlag