Jeder von uns feiert Weihnachten. Mit Baum und Schmuck und Kerzen, im Kreise der Familie. Weitere treue Begleiter in der dunklen Zeit sind der Nikolaus, Knecht Ruprecht, Adventskränze und selbstgebackene Plätzchen. Aber wer weiß denn noch, warum wir das alles machen? Wer ist heute noch in der Lage, einem Kind die Bedeutung der einzelnen Weihnachtsbräuche zu erklären?
Niemand kann dem Vorweihnachtsrummel entgehen. Bereits im Oktober werden wir mit den ersten Weihnachtsauslagen in den Geschäften konfrontiert. Überall Leuchtsterne, Kränze und Lametta, Konsum und Kommerz. Geschenke müssen her, viel und teuer. Spätestens Ende November rieselt dann zwar selten „leise der Schnee“, dafür aber sicher umso lauter die Weihnachtsmusik aus den Lautsprechern. Die Medien stimmen ein. Und kaum ein Nadelbaum in den Vorgärten, der keine Lichterkette trägt. Selbst aus den Fenstern der Wohnhäuser blinkt uns die frohe Botschaft entgegen … ja, welche denn eigentlich?
Nun, sicher nicht die von Jesu Geburt, denn die hat – wie historisch erwiesen – rein gar nichts mit Weihnachten und dem damit verbundenen Brauchtum zu tun. Die Christen mögen dies heute so feiern, aber es ist noch nicht lange her, da wetterte die Kirche noch kräftig gegen den heidnischen Brauch. Verschiedene Konzilienbeschlüsse im ersten Jahrtausend verboten das Aufstellen von Weihnachtsbäumen als typischen Bestandteil des naturreligiösen Baumkultes. Besonders erwähnt wurde, man dürfe „kein Licht an Bäume setzen“. Im Jahr 354 wurde der Geburtstag Jesu auf den 25. Dezember festgelegt, also in die Nähe der Wintersonnenwende, um heidnische Kulte wie Mithras und Sol Invictus zu bekämpfen. Wenige Jahre zuvor hatte die Kirche jegliche Spekulation über das exakte Geburtsdatum von Jesus noch bei Strafe als Gotteslästerung verboten. Aus dem Jahr 580 ist ein kirchliches Verbot überliefert, „mit dem Grün der Bäume die Häuser zu umgeben oder zu bekränzen“. Später wurde untersagt, „Tannenbäume abzuhauen“ bzw. „herauszuputzen“. Im Jahre 640 verordnete der Bischof von Noyon, dass niemand mehr „die Scheußlichkeit besitzen solle, Kälbli, Haselein oder andere Teigwaren anzufertigen“; auch von „Götzenbildern aus geweihtem Mehl und süßem hefelosen Teig“ (Weihnachtsgebäck) ist die Rede. Noch im Jahre 1508 wetterte ein Geistlicher im elsässischen Kaysersberg gegen die Unsitte, „Tannreis in die Stube zu legen und einander Gaben zu schenken“. Später dann, als klar wurde, dass es nicht gelingen würde, den heidnischen Weihnachtsbrauch und -glauben auszurotten, wurde versucht, ihn in das christliche Gedankengut einzubeziehen. Aus dem „Lichter- bzw. Weihnachtsbaum“ wurde der „Christbaum“, aus dem „Weihnachtsfest“ das „Christfest“. Der Baum wurde mit Engeln und Hostien behängt, seine Sterne umgedeutet usw. Dennoch blieb allein die Tatsache, dass es ein Baum war, den Kirchenoberen bis heute ein Dorn im Auge. Selbst 1935 sprach der “Osservatore Romano”, das amtliche Blatt des Vatikans, noch von der „heidnischen Mode des Weihnachtsbaumes“ als einem „Überbleibsel alter Naturgebräuche…“!
Und eben diese alten Naturgebräuche beruhten auf ehrfurchtsvoller Beobachtung der großen Ordnung am Himmel. Bereits in der Steinzeit wussten sich unsere Ahnen als Mitglied der „kosmischen Familie“. Man feierte das Leben im Einklang mit “Mutter Erde” und „Vater Sonne“. Der Liebestanz der „Eltern“, bei dem sich die Erde um ihren Gatten Sonne dreht, verschafft den beiden alle eineinhalb Monate – acht mal im Jahr –eine besondere Begegnung: die beiden großen Sonnenwenden, die Tagund-Nachtgleichen in Herbst und Frühjahr und die vier Fixpunkte dazwischen. Sie bilden Gezeitenströme des Jahres.
Jedes Jahr droht die Sonne gegen Ende des Jahres für immer zu verschwinden, bevor sie dann mit der Wintersonnenwende wieder an Kraft gewinnt. Auch die irdische Natur folgt diesem Rhythmus. Nach der (Wieder-)Geburt des Lichtes beginnt die Erde bereits im Winter neues Leben hervorzubringen. Mit dem Frühjahr endet der Todesschlaf, alles wächst und blüht und reift über den Sommer zu voller Pracht. Mit der Ernte im Herbst gelangt der neue Samen in den Boden, gut geschützt vor dem folgenden Winter. All dies geschieht im Takt der Sonne. Ihr Lauf am Himmel war den alten Völkern ein tiefsinniges Symbol des eigenen Lebens, denn auch Mensch und Tier vollziehen diesen Zyklus von Geburt, Jugend, Reife und Tod.
Die religiöse Verehrung der Sonne und deren Erforschung waren eine Einheit, Religion und Wissenschaft kein Widerspruch. Tempel – von lat. tempus – waren ursprünglich Orte der astronomischen Beobachtung und der Zeitmessung. Forschung und „Gottesdienst“ waren ein- und dasselbe, denn mit dem Ergründen immer weiterer Zusammenhänge stieg die Ehrfurcht vor der göttlich wirkenden Natur. Keine kausale Einsicht entgötterte den Kosmos, sondern mit dem Erkennen und Erleben stieg das Verehren. Man feierte das Leben spendende Gestirn und seinen dramatischen Lauf durch das Jahr in Kultspielen, Ritualen und Prozessionen. Diese Sonnenfeste bilden die Speichen des Jahresrades, Symbol für Kreislauf und Unendlichkeit.
Weihnachten ist ein altes deutsches Wort. Das Wort „wjh“ bedeutet ursprünglich „heilig“, daher die analoge Bezeichnung „Heilige Nacht“. Im Mittelhochdeutschen hieß die Mehrzahl „wihen nachten“ – geweihte Nächte, was darauf zurückzuführen ist, dass eigentlich mehrere Nächte, nämlich die Zwölften, gefeiert wurden. Die Nächte um den 21. Dezember erschienen unseren Vorfahren „geweiht“, weil in dieser dunkelsten Zeit des Jahres der Leben sichernde Wechsel erfolgt: die Wintersonnenwende, mit der sich der Sieg von Licht und Wärme über Kälte und Dunkelheit wieder neu anbahnt. Das Weihnachtsfest wurde auch „Jul“ gennant, Fest des Rades. Der Kreis des alten Jahres wird geschlossen, der des neuen aufgetan. Die Wortwurzel „Jul“ ist in vielen (alten) Sprachen zu finden, z.B. englisch wheel, aber auch joel, yule, hvel und hveól. Andere Quellen verweisen auf die lateinischen Wörter joculus (fröhlich) und iugulare (schlachten). Das mittelhochdeutsche Wort „sunngiht“ (Sonnenwende) trägt den Hinweis auf den magischen Inhalt des Festes in seiner Komponente „giht“ (Verzauberung).
Es ist aber auch eine wilde Zeit, denn alles ist in der Schwebe und wirbelt bunt durcheinander: Helles und Dunkles, Großes und Kleines, Junges und Altes. Die Seelen der Menschen sind so empfindsam wie das kleine Lichtfünkchen, das sich in der Weihe-Nacht gerade erst entzündet hat. Die Julzeit ist die Zeit der Regeneration und des fruchtbaren und schöpferischen Chaos, aus dem die Keime des Lebens erwachsen.
Der Weihnachtsbaum bildet ohne Zweifel den Mittelpunkt des Festes und ist wahrscheinlich so alt wie die Menschheit selbst. Der Nachweis von Kultbäumen reicht über die Bronzezeit bis in die Jungsteinzeit zurück. Über Ruten (z. B. die gebogene Haselrute als Symbol für den kleinsten Sonnenbogen am Tag der Wintersonnenwende), Kränze und Lichterreihen entstand der lichtergeschmückte Tannenbaum.
Drei Wesensmerkmale kennzeichnen unseren Weihnachtsbaum: Grünsymbol, Licht und die Eigenschaft als Gabenbaum. Alle drei sind bereits aus der Antike überliefert. Immergrüne Zweige und Misteln als Symbol der Fruchtbarkeit, Licht und neues Leben zur Ehre der Sonne sowie Äpfel, Nüsse und Gebäck als Gaben vom Weltenbaum, Geschenk und Opfer zugleich. Im Weihnachtsbaum verschmelzen diese Ursymbole zu einer ausdrucksstarken Einheit. Wir erleben hier sinnbildlich die harmonische Vereinigung des Grüns der Vegetation mit dem hellen Glanz des Sonnenlichts.