Geheimnissvolle Kundalini

Das Wissen um die verborgene Lebenskraft Kundalini, die im Inneren des Menschen auf ihre Erweckung wartet, gehört zu den bestgehütetsten Yoga-Geheimnissen. Die großen Weisen des Ostens gaben diese Lehren stets nur an wenige auserwählte Schüler weiter, von deren charakterlicher Eignung sie sich über viele Jahre hinweg überzeugt hatten. Kiu Eckstein hat nun in seinem Buch „Kundalini-Erfahrungen“ zum ersten Mal einen Insider-Bericht vorgelegt, in dem ein Abendländer seine langjährige Schulung durch einen großen Kundalini-Meister dokumentiert.

Es ranken sich zahlreiche Gerüchte um die „Kundalini Shakti“, die sogenannte Schlangenkraft,

Die phantastische „Darstellung-mit-Augenzwinkern“ des amerikanischen Künstlers Niki Adams zeigt einen Yogi mit „aufgestiegener Schlangenkraft“.

die das dynamische weibliche Prinzip der Schöpfung repräsentiert und die in ihrem mikrokosmischen Aspekt als eine im Wurzel-Chakra hausende, dreieinhalb Mal eingerollte Schlange dargestellt wird. Solange sie schläft, ist sie inaktiv – wenn sie aber durch spezielle spirituelle Praktiken geweckt wird oder, was auch häufig geschieht, spontan erwacht, strebt sie in ihrem Aufstieg durch die Chakren zum absoluten Bewusstsein zurück, aus dem sie hervorgegangen ist.

Ein solcher Aufstieg ist naturgemäß mit einem großen Transformations- und Reinigungsprozess verbunden, da die Kundalini bei ihrem Aufstieg auf Blockaden stößt und die einzelnen Chakren nur nach und nach durchbricht. Vor allem das spontane Erwachen der Schlangenkraft kann bei den Betroffenen zu regelrechten „Kundalini-Krisen“ führen, da deren Aufstieg körperliche und seelische Probleme verursachen kann – von starken Hitzewallungen und Fieber über Schmerzen und unwillkürliche Zuckungen bis hin zum Hören von Stimmen oder spontanen Visionen.

Vor allem bei hartnäckigen Blockaden im ein oder anderen Chakra kann eine solche Krise so heftig sein, dass man einen Arzt oder Psychiater aufsucht, der in einem solchen Fall aber gewöhnlich kaum helfen kann, da verschiedene Fehldiagnosen geradezu vorprogrammiert sind. Auch Kiu Eckstein ging durch einen solch schweren Kundalini-Prozess, fand aber Hilfe bei Swami Chandrasekharanand Saraswati, einem indischen Kundalini-Meister, der ihm half, eine hartnäckige Blockade in seinem eigenen Prozess zu überwinden. Die nachfolgenden Passagen sind Auszüge aus Ecksteins Selbsterfahrungsbericht, die hier mit freundlicher Genehmigung des Aquamarin Verlages unverändert abgedruckt werden, um die Beschreibung des Kundalini-Prozesses möglichst unverfälscht wiederzugeben.

Shakti (Kraft) steht im Hinduismus für die weibliche Urkraft des Universums, die die aktive Energie darstellt. Sie gilt als weiblicher Gegenpart zur hinduistischen Trimurti, der Dreiheit von „Brahma, Vishnu und Shiva“.

Die Erfahrungen steigern sich
„Nach einiger Zeit bemerkte ich, wie vor allem die dritte der von Swamiji verordneten Übungen eine Art von Spirale schuf, die sich unablässig aus der Brust in den Kopf hochschraubte. Ich konnte fühlen, wie sich die nach oben strömende Energie im Kopf ausdehnte, also Udana Vayu stärkte, und somit wohl den weiteren Aufstieg von Kundalini vorbereitete. Es war ein angenehmes Gefühl, das oft auch nach der Übungszeit anhielt, vor allem nachts, und wenn es aufhörte, stellte sich so etwas wie Sehnsucht nach dieser aufsteigenden Drehbewegung ein.

Hin und wieder begann Energie schon vor Beginn der Übung in den Beinen hochzuströmen, und gelegentlich schien es, als ob sie mit einem kurzen, stechenden Schmerz von außen in die Füße eindrang. Wenn ich mich dann auf den Rücken legte, setzte bald spontanes und ziemlich schnelles Atmen durch beide Nasenlöcher ein, und ich spürte deutlich, dass sich etwas im oder entlang des Rückgrats vom Wurzel-Chakra über das Nabel-Zentrum und schließlich durch den Hals bis in den Kopf hocharbeitete.

Wie viel durch die täglichen Übungen aufgewühlt und eliminiert werden muss, wurde mir nun vor allem in den unendlich langen Nächten vorgeführt. Kaum hatte ich mich nach der letzten Übungs-Einheit zum Schlafen niedergelegt, begannen Ströme starker Energie kreuzweise durch die Beine und dann durch den ganzen Körper nach oben zu rasen. Mir war es, als ob das Gehirn im Inneren des Kopfes kleiner oder der Kopf größer wurde, so als ob ich in meinem eigenen Kopf schwebte.

Swami Chandrasekharanand Saraswati

mikrokosmischen Aspekt als eine im Wurzel-Chakra hausende, dreieinhalb Mal eingerollte Schlange dargestellt wird. Solange sie schläft, ist sie inaktiv – wenn sie aber durch spezielle spirituelle Praktiken geweckt wird oder, was auch häufig geschieht, spontan erwacht, strebt sie in ihrem Aufstieg durch die Chakren zum absoluten Bewusstsein zurück, aus dem sie hervorgegangen ist.

Bald konnte ich nicht mehr still auf dem Rücken liegen. Doch auch wenn ich mich auf die Seite drehte oder die Beine anwinkelte, die krampfartigen Verspannungen, die diesen energetischen Wirrwar begleiteten, ließen nicht nach, was immer ich auch tat. Mir schien, dass immer neue und stärkere Wellen von Energie vor allem durch die großen Zehen in meinen Körper eindrangen, den Weg nach oben suchten, ihn nicht fanden und ihn dann erzwangen.

Ausgerechnet in dieser Zeit, in der sich die inneren Stürme ihrem Höhepunkt näherten, war Swamiji nicht da. Er brachte eine Besucherin zum Flughafen nach Delhi, und zuvor war er mit ihr und einem der Schüler für ein paar Tage nach Agra zum Taj Mahal und nach Fatehpur Sikri gefahren. Doch auch wenn er da gewesen wäre, hätte ich ihn wohl kaum gerufen. Es war mir klar, dass man durch solche Prozesse, auch wenn sie schmerzhaft sind, hindurchgehen muss, dass sie einen Sinn haben, ein Ziel verfolgen und der Versuch, sie abzubrechen, nur eine Verschiebung, aber keine Lösung mit sich bringen würde. Schließlich war ich ja hier, um den Weg für Kundalini endlich freizulegen. Ich hatte, lange bevor ich zu Swamiji nach Rishikesh kam, schon härtere Nächte hinter mich gebracht, die nicht die Folge zielgerichteter Übungen waren, sondern die ich mir, in einem dumpfen Verlangen, Kundalini zum Durchbruch zu verhelfen, selbst eingebrockt hatte.“

Schematische Dartsellung der Kundalini mit den 7 Haupt-Chakras des Menschen.

Die Blockierung löst sich
„Ich ging in Rishikesh wieder durch harte Nächte. Doch sie waren ganz unverkennbar von anderer Qualität. Es war kein gewaltsames Anrennen gegen eine unaufbrechbare Barrikade mehr, sondern eher der schmerzhafte, doch gezielte Versuch, verhärtete Durchgänge an verschiedenen Stellen des Körpers aufzulösen, vor allem in den Beinen. Das konnte ich mir nicht erklären. Ich wusste, die große Blockade saß im Hals. Warum also dieses eindringliche Einwirken auf die unteren Teile des Körpers, diese in kurzen Abständen wiederkehrenden krampfhaften Verspannungen der Fuß- und Beinmuskeln? Egal wie ich mich drehte, sie hielten an, ein unbeeinflussbarer, aufreibender Vorgang. Erst nach Stunden dieser qualvollen Prozedur spürte ich, wie Energie in oder entlang der Wirbelsäule nach oben floss. Ich lag dann noch lange wach, erschöpft und erfreut – und beobachtete die Arbeit der Kundalini.

Nach solchen Nächten konnte ich weder lesen noch schreiben. Ich ging zum Ganges, setzte mich in die Morgensonne, dachte fast nichts, schaute und horchte nach draußen und drinnen, und dankte den Göttern, dass sie mich hierher gebracht hatten. Danach war es schwer, sich wieder zur täglichen Praxis aufzuraffen. Etwas in mir sagte, „der innere Schweinehund” will sabotieren, und ich wunderte mich, dass dieser Unteroffiziersjargon aus der verhassten Militärzeit des Dritten Reiches mir gerade jetzt in den Kopf kam. Später wurde mir klar, dass das bevorstehende tiefe Eintauchen in eine Vergangenheit, die ich längst vergessen glaubte, sich im Hochkommen solcher Wortfetzen schon ankündigt hatte.

In diesen Tagen, in denen Swamiji in Agra und Delhi war, begann die Kundalini manchmal schon am Nachmittag, vor der dritten Übungsstunde, mit ihrer Arbeit. Sie hielt sich nicht an die eingefahrenen Schemata in unseren Köpfen. Mehrere Male und deutlich spürbar drang stoßweise Energie mit brennendem Schmerz in den Körper ein, vor allem durch den linken großen Zeh. Kurz danach wurden die Beine springlebendig. Ich konnte sie nicht stillhalten. Dann dehnte sich die eingetretene Energie aus und drängte zielstrebig, wie es mir schien, nach oben. Ich tat nichts, es geschah mit oder in mir, wobei sich ein ehrfürchtiges Staunen einstellte. Zuweilen kam es mir vor, als ob mein Körper, das Gefäß, in dem dieser Prozess ablief, nicht stark genug war, um diese konzentrierten Kraftströme auszuhalten.

Als ich später die Geschichte von Nandi las, dem glühenden Verehrer Shivas, der die Gestalt eines Stieres annahm, weil sein menschlicher Körper seine ekstatische Hingabe nicht hätte ertragen können, dachte ich gleich, das kann nur eine Metapher für einen hochkarätigen Kundalini-Prozess sein. Der weiße Stier Nandi ist seither der unzertrennliche Begleiter Shivas. Nach vier dieser intensiven Tage und Nächte, kurz vor der letzten Meditation, gegen zehn Uhr am Abend, kam Swamiji zurück. Ich erzählte ihm zwischen Tür und Angel, was in der Zwischenzeit passiert war. Er sagte, die Kundalini sei ins Gehirn aufgestiegen, ich solle versuchen zu schlafen. Am nächsten Morgen, auf der sonnigen Terrasse, stellte er ein paar Fragen, beantwortete die meinen und sagte dann: Vorerst keine Übungen mehr, ich solle viel gehen. Gehen sei jetzt gut für mich. Außerdem solle ich kräftig essen und noch öfter den ayurvedischen Kräutertee einnehmen, den er gleich zu Anfang verordnet hatte.“

Verschiedene Quellen vergleichen die Kundalini-Schlange mit dem griechischen Schlangenstab des Äskulap oder der mexikanischen Federschlange Quetzalcoatl. Auch auf der Totenmaske des Tutanchamun (Abb. links) ist sie symbolisch dargestellt. Die Kundalini ist in fast allen Kulturen der Erde bekannt, wenn auch unter verschiedenen Namen und mit unterschiedlicher Interpretation. Danach sind Kundalini, Bioenergie, Quamaneq (bei den Eskimos), N/um (bei den Einwohnern der Kalahari Wüste), Chi (im Osten) lediglich andere Bezeichnungen für dieselbe bioenergetische Realität. Als bekannteste Vertreter der westlichen Psychologie beschäftigten sich Wilhelm Reich und Carl Gustav Jung (Abb. rechts) intensiv mit dem Kundalini-Phänomen.

BUCH-TIPP
Kiu Eckstein
Kundalini Erfahrungen
400 Seiten, € 19,95
ISBN: 978-3-8942 7-381-1
Aquamarin Verlag