Mission Klima

Al Gore und die globale Erwärmung

Der ehemalige US-Vizepräsident und gescheiterte Präsidentschaftskandidat Al Gore, der im Jahr 2000 nur knapp George W. Bush unterlag, ist heute erfolgreicher denn je, wenn auch nicht auf der politischen Bühne, sondern in Hollywood und in den Medien. „Mr. Klima“ hat mit seinem Doku-Film „Eine unbequeme Wahrheit“ nicht nur zwei Oscars und zahlreiche andere begehrte Medienpreise abgeräumt – im Oktober 2007 wurde ihm für sein klimapolitisches Engagement sogar der Friedensnobelpreis verliehen.

Eine unbequeme Wahrheit
Al Gores Hollywood-Spektakel geht eindrucksvoll auf die bereits existierenden und drohenden Gefahren der globalen Erwärmung ein, die nicht nur seiner Meinung nach zumindest teilweise auf die übermäßige Ausschüttung von Treibhausgasen durch den Menschen verursacht wird. Und obschon die Folgen des Kimawandels weithin bekannt sind, machen bewegte Bilder die Auswirkungen vom Abschmelzen von Gletschern und Polen, von Sturm-, Überflutungs- und Dürrekatastrophen, von ausgetrockneten Seen und ansteigenden Meeresspiegeln das ganze Ausmaß der Bedrohung erst wirklich greif- und begreifbar.

Auch wenn Kritiker wie der Journalist Matthias Horx den Film als propagandistisches Meisterwerk schelten und dem Ex-US-Vize vorwerfen, er würde mit seinen worst-case-Szenarien lediglich einen medienwirksamen Alarmismus betreiben, geben eine Reihe von bekannten Klimatologen Al Gore Recht: Er gebe den aktuellen Stand der Klimaforschung bis auf wenige nebensächliche Details im Großen und Ganzen richtig wieder.

Sicher kann man darüber streiten, wie „nebensächlich“ diese Details sind: An britischen Schulen darf Al Gores Film seit Oktober 2007 zum Beispiel nicht mehr unkommentiert gezeigt werden. Ein Gericht befand ihn für fehlerhaft und verlangt von den Lehrern bei einer Vorführung auf Fehler hinzuweisen wie etwa darauf, dass das Abschmelzen der Gletscher in der Westantarktis und in Grönland nicht „in naher Zukunft“, wie im Film behauptet, die Meeresspiegel dramatisch ansteigen lasse, sondern eher in Jahrhunderten.

Viel schwerer wiegt da der Vorwurf, der Film gehe nicht ausführlich genug auf die Darstellung der notwendigen Gegenmaßnahmen ein und konzentriere sich zu stark auf emotional wirksame Effekte wie auf Eisbären, die heute oft viele Kilometer bis zum rettenden Packeis schwimmen müssen oder es gar nicht mehr erreichen. Die Medienstars Knut und Flocke lassen grüßen: Bilder von putzigen Bären gehen nun mal ans Herz und transportieren Botschaften geschickt am Verstand vorbei in unser Unterbewusstsein.

Wege zum Gleichgewicht
Ist Al Gore also nichts weiter als ein Populist, der auf den (Kreuz-)Zug gegen den Klimawandel aufgesprungen ist? Wohl weniger, wie klar aus der jüngst erschienen Biographie „Al Gore – Mission Klima“ von Stefan Kornelius hervorgeht. Al Gores Interesse für die globale Erwärmung geht bis in die 60er Jahre zurück: Damals hatte Gore in Harvard einen Kurs bei dem Ozeanografen und Klimatologen Roger Revelle belegt, der als einer der ersten Wissenschaftler systematisch den Kohlendioxidgehalt in der Luft erforschte. Seit dieser Zeit hat Gore das Thema nicht mehr losgelassen.

Ernsthaft zugewandt hat er sich seiner jetzigen Lebensmission wohl aber erst nach dem Unfall seines Sohnes im Jahr 1989. Er begann an dem Buch „Earth in Balance“ zu arbeiten, das bei uns als „Wege zum Gleichgewicht – Ein Marschall-Plan für die Erde“ erschienen ist und schnell die Bestsellerlisten eroberte. In diesem Werk schildert Gore die Umweltkrisen, die wir unserem Heimatplaneten aufgezwungen haben: Verwüstung, Wasserknappheit, Gletscherrückgang, Ozon-Belastung, globale Erwärmung, Überbevölkerung und Ressourcenschwund. Und er tut das auf eine äußerst eindringliche Art, die sich später auch im Film „Eine unbequeme Wahrheit“ wieder finden lässt. Doch das Buch hat eine Tiefe, die der Film nie erreicht.

„Kern des Buches sind eindeutig die Kapitel, in denen Gore sich auf die Suche nach dem Gleichgewicht begibt“, schreibt Kornelius. „Die Analyse über die ‚dysfunktionale Zivilisation’ und die Beschreibung der ‚Ökologie des Geistes’. In diesen Kapiteln analysiert Gore das ewig labile Verhältnis des Menschen zu seiner Natur.“

Al Gore kritisiert, der Mensch habe sich so weit von seiner natürlichen Umwelt gelöst, dass er glaube, unabhängig von der Schöpfung zu existieren. Ein Trugschluss, den uns Technik und Fortschritt in unserer Wohlstandsgesellschaft vorgaukeln. Gore schreibt: „Wir haben uns von den Versprechungen der industriellen Zivilisation so sehr verführen lassen, dass wir uns unbesorgt der synthetischen Routine des modernen Lebens in einer unechten Welt hingeben.“

Laut Gore liegt das Problem in der unheilvollen Trennung von Wissenschaft und Religion und an dem Anhängen an Denkschulen, die heute überholt, aber doch in ihren Grundannahmen omnipräsent sind. „Letzten Endes sind alle Diskussionen über Moral und Ethik in der Wissenschaft praktisch sinnlos“, betont Gore, „solange die Welt des Intellekts als getrennt von der physischen Welt angesehen wird.“ Nur in der Illusion des Getrenntseins könne sich laut Gore ein „Vakuum zwischen Denken und Fühlen“ entwickeln, das seinen perversesten Ausdruck in den Massenmorden Hitlers und Stalins findet. Al Gore zufolge ist es dasselbe Vakuum, das es uns gestattet, Regenwälder ohne moralische Zweifel abzuholzen, Pflanzen und Tiere auszurotten, die Atmosphäre zu zerstören oder die Gewässer zu vergiften.

Auch wenn Gore laut Kornelius nie ein ausgesprochen religiöser Mensch gewesen ist, hat seine „Mission Klima“ schon lange vor seinem Erfolg in Hollywood zutiefst ökologisch-spirituelle Züge: „Wenn wir die Natur in all ihrer Fülle erfahren“, schließt Gore sein Kapitel über die Religion, „mit unseren Sinnen und unserer spirituellen Vorstellungskraft, dann können wir ein unendliches Bild Gottes erhaschen, leuchtend hell wie die Sonne.“ Etwas, das es zu entdecken gilt und zu erhalten lohnt, wenn wir wirklich etwas ändern wollen.

BUCH-TIPP
Stefan Kornelius
Al Gore – Mission Klima
160 Seiten, € 12,90
ISBN: 978-3-451-03020-8
Herder Premiere