Bewusstseinsevolution

In der heutigen Zeit wird Bewusstsein sowohl von der breiten Öffentlichkeit als auch von den meisten wissenschaftlichen Schulen gern als feste Größe betrachtet, als ein Parameter, der sich nur kaum verändert, geschweige denn entwickeln kann. Dem widersprechen die meisten spirituellen Schulen und Denkrichtungen, die gerade in der Evolution und im Wachstum des kollektiven und individuellen Bewusstseins den eigentlichen Fortschritt sehen. Doch wohin führt diese Entwicklung? Ist es überhaupt möglich, sie aktiv zu fördern oder zu beschleunigen? Diesen und ähnlichen Fragen ist Wilfried Nelles in seinem neuen Buch „Das Leben kennt keinen Rückwärtsgang“ nachgegangen.

Im Gegensatz zu der vom historischen Denken der Mainstream-Kultur getragenen Ansicht, der Mensch sei bereits das mehr oder minder „vollendete“ Endprodukt seiner Entwicklungsgeschichte, vertritt der promovierte Politologe, Soziologe und Psychologe Wilfried Nelles die These, dass wir uns gerade erst in der Mitte der Entwicklung des Bewusstseins befinden. „Vielleicht ist diese Mitte ein besonders kritischer Ort,“ meint Nelles, „ähnlich wie die individuelle Lebensmitte mit ihrer ‚midlife crisis’, weil hier – mit der Verwirklichung von Vernunft und Individualität – tatsächlich der gesamte bisherige Prozess kulminiert und sich die Entwicklung in gewisser Weise umkehrt (nämlich hin zu einer neuen Form von Ganzheitlichkeit). Aber die Vorstellung, das menschliche Bewusstsein hätte in uns, abgesehen von der Verbesserung unserer technischen Mittel, seinen Höhepunkt erreicht, scheint mir nicht nur ziemlich vermessen, sondern auch Ausdruck eines ganz ungeschichtlichen, egozentrischen und nicht gerade logischen Denkens.“ Und er fragt sich: „Wieso sollte es nicht auch ein Jenseits der Vernunft, ein transrationales Bewusstsein geben, das sich qualitativ vom rationalen Bewusstsein abhebt und dieses überschreitet?“

Ausgehend von der Chakren-Lehre und seiner langjährigen Erfahrung als Therapeut zeichnet Nelles eine Art Landkarte des Bewusstseins und seiner Entwicklung, die sowohl Orientierung bietet als auch persönlich berührt: Von der Reifung im Mutterleib, dem er das Einheitsbewusstsein zuordnet, über die Kindheit mit ihrem Wir-Bewusstsein, die Jugend mit dem erstarkenden Ich-Bewusstsein, dem jungen Erwachsenen mit einem erwachenden Verbundenheits-Bewusstsein, dem reifen Erwachsenen mit seinem Sendungsbewusstsein, dem weisen Alter mit seinem Ganzheitsbewusstsein bis hin zum ins Allbewusstsein mündenden Tod. Vor dem Hintergrund dieser Landkarte zeigt Nelles dann, welche Rolle die Therapie im Allgemeinen und das Familienstellen im Besonderen im Prozess der spirituellen Entfaltung des Bewusstseins spielen.

Dabei verliert sich Nelles erfreulicherweise nicht im Systematisieren – im Gegenteil, er warnt davor, die Stufen des Bewusstseins im hierarchischen Sinne zu begreifen, in der eine Stufe besser sei als die andere. Sie seien lediglich schlüssige Folge und ganz im Sinne des Buchtitels „Das Leben hat keinen Rückwärtsgang“ etwas, das wir sowohl individuell als auch kollektiv integrieren sollten. Hierbei hilft laut Nelles vor allem die „Aufstellungsarbeit“ (ein Begriff, dem er dem auf die Familie beschränkten „Familienstellen“ vorzieht), da sie besonders geeignet sei, zwei Probleme zu lösen: „Erstens bei der Würdigung dessen, woher wir kommen, und zweitens bei der Sichtbarmachung einer Perspektive, wohin wir gehen. Und da die Aufstellungen mit Körper, Seele und Geist unmittelbar erlebt werden können, unterstützen sie diese Prozesse auf eine erfahrbare und ganzheitliche Weise.“ Praktische Philosophie im Dienste der individuellen und kollektiven Entwicklung.

BUCH-TIPP
Wilfried Nelles
Das Leben hat keinen Rückwärtsgang – Familienstellen, spirituelles Wachstum und die Evolution des Bewusstseins
304 Seiten, € 16,80
ISBN: 978-3-936360-51-6
Innenwelt Verlag