Ulli Olvedi befasst sich seit Jahrzehnten in Theorie und Praxis mit dem tibetischen Buddhismus und lebte zeitweilig in exiltibetischen Klöstern. Die Dokumentarfi lm-Autorin, Übersetzerin und Lehrerin der „Meditativen Energiearbeit“ ist heute vor allem als Romanautorin bekannt: Aus ihrer Feder stammen die Bestseller Wie ein Traum, Stimme des Zwielichts, Der Schrei des Garuda und Tibet hinter dem Spiegel. Daneben vermittelt sie über Sachbücher, CDs und Seminare die Inhalte der buddhistischen Geisteswelt.
newsage: Gerade ist Ihr Buch „Die Energien des Lebens und des Sterbens“ erschienen. Was erwartet den Leser und an welches Zielpublikum richtet sich Ihr Werk?
Ulli Olvedi: Der Untertitel sagt schon einiges aus: „Meditative Energiearbeit nach den Prinzipien des buddhistischen Tantra“. Es geht um subtile Körper-Geist-Energie, um die praktische Arbeit damit, und es geht natürlich auch um den theoretischen Hintergrund. Im Buddhismus sagt man: Ein Vogel braucht zwei Flügel, um zu fl iegen. Auf dem spirituellen Weg sind diese zwei Flügel Theorie und Praxis. Die Theorie und die praktischen Übungen in diesem Buch stützen sich auf die Prinzipien des buddhistischen Tantra, wie mein Lehrer Tarab Tulku, einer der für den Westen bedeutendsten tibetischen Gelehrten und Meditationsmeister, sie unter dem Namen „Unity in Duality“ – Einheit in der Dualität – dem westlichen Verständnis zugänglich gemacht hat. Das heißt, ohne tibetische Kulturverpackung, in unserem vertrauten Sprachgebrauch und unserer Erfahrung so nahe wie möglich.
Im Buch gehe ich so vor wie in den Seminaren: Theorie und Praxis wechseln einander ab. Die einzelnen Themen reichen von der Frage „Was ist Selbst“ bis zu einem spirituellen Umgang mit Sexualität, Traumarbeit und Sterbeprozess. Die Praxis beinhaltet Tiefenentspannung, Atemarbeit, Fühlendes Wahrnehmen und meditative Annäherung an die subtile Energie-Ebene. Das alles sind natürliche Fähigkeiten, die jede und jeder entfalten kann. Vorausgesetzt, die Bereitschaft dazu ist groß genug.
Obwohl diese meditative Arbeit aus dem Buddhismus stammt, kollidiert sie nicht mit anderen religiösen Orientierungen. Es geht um die menschliche Körper-Geist-Energie – und die ist kulturübergreifend. Ich zitiere gelegentlich auch Forschungsergebnisse aus der Neurowissenschaft, da sie den buddhistischen Erfahrungen entsprechen. Wissenschaft und Spiritualität können sich durchaus gut miteinander vertragen, was mir schon vor mehr als zwanzig Jahren einer meiner Freunde, der Gehirnforscher Francisco Varela, überzeugend vermittelt hat. Und last but not least beschreibt dieses Buch den geistigen Hintergrund meiner Romane, für den sich viele meiner Leserinnen und Leser nach der Lektüre der in Tibet und im nepalesischen Exil spielenden Geschichten interessieren.
newsage: Fast gleichzeitig wurde die CD „Meditative Energiearbeit“ veröffentlicht – inwiefern unterscheiden sich CD und Buch?
Ulli Olvedi: Die CD bietet geführte Meditationen. Das ist natürlich viel intensiver, als wenn man nur im Buch liest, wie es geht. newsage: Was sind die zentralen Aspekte der „Meditativen Energiearbeit“? Können Sie uns ein Beispiel geben? Ulli Olvedi: Wir können zum Beispiel darüber reden, dass unser Körper aus den Elementen besteht, dass wir ein Teil der Natur sind und dass die Elemente eine „Energie-Ebene“ haben, mit der man sich bewusst verbinden kann, um so die geistige Gesundheit zu unterstützen. Aber wie macht man das? Der Schlüssel liegt in der Überwindung der rationalen Dominanz. Also ist es wichtig, zur Ebene des reinen Fühlens hingeführt zu werden. Das ist sozusagen die Rutschbahn in die Energie-Ebene – oder besser, die Ebenen; denn es gibt Grade groberer und feinerer innerer Energie. Die tiefe Verbindung mit dem Körpergefühl ist ein sehr wichtiges Element in dieser Praxis.
newsage: Vom 29.10. bis zum 1.11.2007 halten Sie im Rahmen des Kongresses der „Internationalen Gesellschaft für Tiefenpsychologie“ in Lindau ein Seminar mit dem Titel „Innere Freiheit gewinnen“. Was erwartet die Teilnehmer?
Ulli Olvedi: Innere Freiheit ist vor allem Freiheit von störenden und quälenden Emotionen. Darüber hinaus ist sie die Freiheit von der Fixierung auf ein bestimmtes Bild von uns selbst, auf Meinungen und Vorstellungen. Das ist gemeint,wenn man den spirituellen Weg als „Weg zum Glück“ bezeichnet. Um diese Freiheit zu erreichen, gibt es grundlegende Methoden, die in dem Seminar vorgestellt werden.
newsage: Sie erwähnten den tibetischen Gelehrten und Meditationsmeister Tarab Tulku. Vor Jahren hatte ich das Vergnügen, diesen äußerst beeindruckenden Lehrer im Rahmen eines Seminars kennenzulernen. Inwiefern hat er Ihre Arbeit beeinfl usst?
Ulli Olvedi: Es war für mich eine Offenbarung, wie Tarab Tulku die buddhistische philosophisch- psychologische Tradition in unsere westliche Denkweise „übersetzte“ und vor allem mit den Bereichen „Persönlichkeitsentwicklung“ und Psychotherapie verband. Ich kenne keinen unter den älteren tibetischen Meistern, der so viel Verständnis für unsere abendländische psychische Grundbefi ndlichkeit hatte – vielleicht, weil er mehr als dreißig Jahre lang in Europa lebte, mit Frau und Kind und einer Dozentenstelle an der Universität Kopenhagen.
newsage: In Ihren Werken taucht immer wieder der Begriff „Tantra“ auf – ein Ausdruck, der hierzulande meist anders verstanden bzw. missverstanden wird. Was versteht der tibetische Buddhismus unter „Tantra“?
Ulli Olvedi: Das buddhistische Tantrayana kann man als „Weg der Energie“ übersetzen. Tarab Tulkus Merksatz lautete: „Das Äußere der Materie ist das Sichtbare – das Innere der Materie ist Energie. Das Äußere des Geistes ist das Denken – das Innere des Geistes ist Energie.“ Auf der Ebene der Energie werden also Körper und Geist, die wir normalerweise als getrennt auffassen und erleben, als untrennbar miteinander verbunden erfahren. Die traditionellen Methoden dienen dazu unsere subtilen Energie- Ebenen zugänglich zu machen. Dazu werden alle Aspekte des Geistes und des Körpers eingesetzt – unter bestimmten Voraussetzungen sogar Sexualität. Das ist für westliche Gemüter schockierend und führt noch immer zu verwirrten Ideen.
newsage: Sie sind in Ihrem Leben einigen großen Meistern begegnet – wer hat Sie am meisten beeindruckt?
Ulli Olvedi: Diese Frage kann ich so nicht beantworten. Jeder der inzwischen leider verstorbenen Meister des Geistes, deren Schülerin ich sein durfte, hat mich in seiner Weise zutiefst beeindruckt. Trungpa Rinpoche, der „Meister der Verrückten Weisheit“, war unnachahmlich in seiner Fähigkeit, die Psychologie des Buddhismus verständlich zu machen und einem religiöse Flausen auszutreiben. Tulku Urgyen, der große Dzog-Chen-Meister, verkörperte in vollkommener Weise den Raum des reinen Geistes. Tarab Tulku öffnete die Tür zum echten Verständnis der Energiewelt des Tantrayana. Und Chökyi Nyima Rinpoche, der hoffentlich länger leben wird als ich, ist mir ein kostbarer Freund und brillianter Inspirator bei jedem weiteren Schritt auf dem spirituellen Weg.
newsage: Noch eine letzte Frage: Woran arbeiten Sie zurzeit? Schreiben Sie ein neues Buch?
Ulli Olvedi: Wie sollte es anders sein – ich schreibe meinen fünften Roman. Und der thematische Fluss geht direkt weiter: Es ist die Geschichte einer Sterbenden, die erkennt, dass sie erst sterben muss, um leben zu lernen. Für mich ist es sehr inspirierend, Tag um Tag mit dieser Frau im Geiste zu sterben. Und es passt doch gut dazu, dass ich gleichzeitig mithelfe, eine „Akademie für einen neuen Umgang mit Sterben, Tod und Trauer“ (www.apr-ammersee. de) aufzubauen.
Weitere Informationen unter:
www.ulli-olvedi.de
Die Energien des Lebens und des Sterbens
20 Seiten, € 19,90
ISBN: 978-3-502-61173-8
Verlag O.W. Barth
Meditative Energiearbeit
CD in einem kleinen Büchlein, 40 Seiten, € 19,90
ISBN: 978-3-936855-50-0
bor Verlag