Die erfahrene Sterbebegleiterin und Autorin Erica Maria Meli berichtet über die große Bedeutung des Loslassens beim Prozess des Sterbens. Loslassen ist jedoch nicht nur auf der Seite der Sterbenden wichtig, sondern auch auf der der Angehörigen, Partner und Freunde, damit der Übergang von diesem ins nächste Leben möglichst reibungslos ablaufen kann.
Zum Loslassen-Können gehört vor allem das Loslassen von Besitz, Bindungen, Angehörigen, von allem Liebgewordenen, das Loslösen der Gedanken und aller Gefühle irdischer Natur.
Sehr hilfreich ist es auch, wenn Ehepartner die Größe und die Kraft aufbringen, wenn sie sehen, dass der andere Teil schwer leidet und gehen möchte, zu sagen, dass es in Ordnung ist, wenn er gehen möchte; dass sie allein schon zurechtkommen und er oder sie jetzt in Liebe einschlafen könne.
Schon viele Male haben meine Kolleginnen und ich erlebt, dass ein Patient einfach nicht sterben konnte. Die Angehörigen waren rund um die Uhr am Bett und haben ihn bewusst oder unbewusst gehalten. War der Patient ein paar Minuten allein, weil sein Partner schnell einen Kaffee trinken ging, konnte er loslassen. In so einem Moment muss man den Angehörigen erklären, dass der Sterbende deshalb gehen konnte, weil er – eben – alleine war. Jedoch einem geliebten Menschen sagen zu können, „er dürfe jetzt sterben, es sei gut so“, ist sehr schwer und erfordert seelische Reife. Er oder sie könnte ja auf die Idee kommen, man liebe sie nicht mehr oder möchte sich von einer Last befreien.
Vielleicht sollte man einem Schwerkranken, der nicht sterben kann, liebevoll ins Ohr flüstern: „Ich bin hier bei dir und ich liebe dich sehr. Ich möchte auf gar keinen Fall, dass du noch länger leiden musst. Geh nur, wenn du gehen willst. Wir werden uns wiedersehen, daran glaube ich fest. Danke für alles.“
Ich habe es mehr als einmal erlebt, dass dann, wenn ein Sohn seiner geliebten Mutter oder ein Mann seiner lieben Frau solche Worte sagen konnte, sich der/die Sterbende besser lösen konnte. Das geht übrigens auch, wenn der Patient schon bewusstlos ist. Man kann auch nonverbal kommunizieren. Es kommt immer an, nur Antwort kommt keine mehr. Von den Sinnen erlischt das Gehör zuletzt.
Der Übergang ist völlig schmerzlos. Es ist ein sanftes, ruhiges Hinübergleiten. Atemnot, Zuckungen, Stöhnen sind nur Reflexe der physischen Hülle. Manchmal sprechen Sterbende noch Namen aus. Sie sehen mit ihrem erhobenen Bewusstsein verstorbene Angehörige, die sie abholen. Schon mehr als einmal habe ich diese Bestätigung erhalten. Ein Sterbender flüsterte zum Beispiel: „Emil, du?“ Wenn dann die Angehörigen, die beim plötzlichen Tod nicht dabei waren, fragten: „Wie ist er gestorben, hat er noch etwas gesagt?“ Dann kam immer die Bestätigung, dass der zuletzt geflüsterte Name ein lieber verstorbener Angehöriger war, zu dem der Kranke eine enge Beziehung hatte.
Sterben ist also ein sanftes, allmähliches Loslösen, etwas Ähnliches wie Einschlafen. Auch zum Einschlafen müssen wir loslassen.
Erica Maria Meli kam schon als Kind mit der Geistigen Welt in Kontakt und widmete ihr ganzes Leben der Suche nach geistiger Erkenntnis. Durch ihre Arbeit als Krankenschwester wurde sie immer wieder mit dem Thema „Sterben und Tod“ konfrontiert und fand hier ihre eigentliche Bestimmung. Sie entwickelte ihren Beruf Krankenschwester zur „Berufung Sterbebegleiterin“ weiter. Sie gilt in der Schweiz als eine der angesehensten Praktikerinnen zum Thema „Sterben in Achtsamkeit“ und ist Autorin des gleichnamigen Buches.