In den Tiefen der New Yorker Subkultur ist in den vergangenen zwei Jahren eine Initiative entstanden, die Amerikaner „Grassroot Organisation“ nennen, was auf Deutsch „Graswurzel-Bewegung“ heißt und eine Initiative „von unten“, von der Basis aus meint. „The Interdependance Project“ beruht auf der bunten Verbindung von Meditation, freien Künsten sowie ökologischem Aktivismus, und in der „hippsten Stadt der Welt“ gehört sie unter jungen Künstlern und Intellektuellen zum Angesagtesten, was die Szene derzeit zu bieten hat. Es gibt Schreib-Workshops und Poetry Slams, Kunstseminare und politische Debatten, Tipps zum täglichen Umweltschutz und vor allem: Meditationskurse und Retreats – irgendwo im New Yorker Großstadtdschungel des 21. Jahrhunderts.
Ethan Nichtern hat das „Interdependance Project“, dessen Podcast* mehrere tausend Mal pro Woche angefordert wird, gegründet, und in seinem jetzt auf Deutsch erschienenen Buch „Buddhismus 3.0“ stellt er auf unkonventionelle Weise vor, was ihn seit zwei Jahren bewegt: Er möchte der „Generation Web 2.0“ die Essenz des Buddhismus vermitteln – denen, die gleichzeitig SMS schreiben, iPod hören und MTV schauen und sich überhaupt nicht vorstellen können, ihre ohnehin knappe Zeit mit gekreuzten Beinen auf einem Meditationskissen zu verbringen, Buddhas Weisheit und ein neues Lebensgefühl nahe bringen.
Ethan Nichtern entstammt selbst dieser Generation, und über sein Buch sagt er, dass es vor allem ein „Survival Guide für das moderne Leben“ sei. Dabei setzt er, wie sein Vorbild Chögyam Trungpa, auf die Kraft des Geistes, und er beginnt dort, wo die meisten Globalisierungsansätze aufhören: im Herzen jedes Einzelnen. Sein Credo zieht sich wie ein Leitfaden durch das gesamte Buch: „Einsamkeit ist eine Illusion, denn sobald wir uns unseres Geistes bewusst werden, desto klarer wird, mit wie vielen Menschen wir täglich verbunden sind“ und „wenn Menschen sich ihres Geistes bewusst werden, ist das ein wesentlicher Schlüssel, um langfristig auch die Gesellschaft zu ändern.“ Was Nichtern in den Suburbs von New York und Brooklyn umsetzt, ist nicht weniger, als das, was 2000 Jahre zuvor bereits den Prinzen Siddharta dazu bewegte, seine privilegierte Heimat zu verlassen und zu erkennen: Eine Veränderung des Einzelnen sowie der Gesellschaft, in welcher er lebt, ist kraft der Bewusstheit des eigenen Geistes möglich. Das Bewusstsein darüber, dass alles miteinander vernetzt ist, schafft eine auf Mitgefühl und Verantwortung basierende Gesellschaft, denn „Dinge, die wir als voneinander getrennt oder gegensätzlich ansehen, existieren in Wirklichkeit nur dadurch, dass das eine vom anderen abhängt. Selbst der langweiligste Tag ist für uns eine ideale Erinnerung daran, dass sich kein einziger Teil unseres Lebens im luftleeren Raum abspielt. Und was immer einen von uns angeht, geht alle an“, so Ethan Nichtern. Eine Sichtweise, die in der von Isolation und Anonymität geprägten westlichen Gesellschaft auf fruchtbaren Boden fällt. Zeigt sie doch, wie es sich inmitten grauer „Sardinenbüchsen, genannt Einzimmerappartements“ (Zitat Nichtern) mit einem ganz neuen Gefühl von Verantwortung und Gemeinschaft leben lässt. „Was du heute trägst, was du sagst, was du kaufst und wo du es kaufst, spielt auf einmal eine wichtige Rolle, wenn du dir vorstellst, dass alles, was du tust, Einfluss hat auf einen Menschen irgendwo auf dem Erdball“, sagt Dave, Redakteur von TWINY. com, einem New Yorker Szene- und Kulturmagazin, und auf seine Art ein prägnanter Vertreter der „Generation Web 2.0“.
Das Gefühl des Miteinander-Verbunden- Seins und das damit einher gehende Bewusstsein schaffen die Basis für die ökologische Bewegung innerhalb des „Interdependance Projects“, in deren Mitte „Verantwortungsvoller Konsum“ steht. „Nie mehr Plastiktüten“, lautet das Motto der aktuellen Kampagne, die von Ethan Nichtern und dem Senator Eric Schneidermann geleitet wird und deren zentraler Bestandteil neben dem Umweltschutz- Aspekt Meditation und Achtsamkeitstraining sind. Doch „Theidproject“, wie es im Insiderjargon heißt, ist mehr als eine der momentan wie Pilze aus dem Boden schießenden „Loha- Organisationen“. Umweltbewusstsein ist wichtig – ebenso wichtig jedoch ist, sich in der New Yorker Subkultur zu engagieren. Neben den zahlreichen Meditationsgruppen organisiert das „Theid-Team“ Poetry Slams, Parties und ausgeflippte Kunst-Sessions. Seit Kurzem gibt es auch das „Sentient City Magazine, The Art of the Urban Dharma“, das Kultur-Trends mit Tipps zur Meditationspraxis verknüpft.
Ethan Nichtern ist gelungen, was in einer Stadt wie New York ganz sicher nicht einfach ist: Menschen unterschiedlichster Coleur zusammenzubringen und eine Geisteshaltung zu wecken, die getragen ist von Gemeinschaftsgefühl, Verantwortung und der Gewissheit, dass jeder Einzelne auf seine Art wichtig ist und etwas für alle bewirken kann. Der große Erfolg von „Theidproject“ und seinem Buch „Buddhismus 3.0“ haben Ethan indes nichts von dem Elan, seine Vision zu verfolgen, verlieren lassen. Ihm ist Transformation wichtig, anstelle von Widerstand, und dass „Theidproject“ eine Gegenkultur schafft, ist für ihn nicht mehr als eine Illusion. „Wir haben nicht länger den Luxus, eine Gegenkultur bilden zu können. Der Wunsch, eine utopische Gegenkultur zu bilden, die im Widerspruch zum ungeliebten Mainstream steht, bricht auf der höchsten Ebene der gegenseitigen Abhängigkeit in sich zusammen. Denn diese beiden Kulturen sind aufgrund ihrer gegensätzlichen Identitäten aufeinander angewiesen. Es ist nicht möglich, sich dem Mainstream zu widersetzen. Selbst das Wort „alternativ“ bedeutet heute Mainstream. Das lässt uns nur noch eine Wahl, die keine Wahl mehr ist: Statt uns der Kultur zu widersetzen, müssen wir sie transformieren. Wir müssen die vorhandenen Kulturformen verwenden, um die Schichten der grell leuchtenden Fassaden abzulösen und das schlagende Herz zu enthüllen, das unter ihnen liegt.“
Ethan Nichtern (29) ist Gründer des „Interdependance Project“ in New York City, das die Prinzipien von Meditation und universeller Verbundenheit mit der unkonventionellen Kreativität freier Künstler und Autoren kombiniert. Er hält Vorträge über Buddhismus und Meditation in Nordamerika und sein Podcast „21st Century Buddhism“ zählt mit über 3.000 Downloads pro Woche zu den populärsten seiner Art. Ethan Nichtern lebt in Brooklyn.
www.theidproject.com
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*Kunstwort aus iPod und broadcasting. Podcasting bezeichnet das Produzieren und Anbieten von Mediendateien – Audio oder Video – über das Internet, d. Hrsg.