Mit „Weshalb Sie kein Buddhist sind“ gelang D.J. Khyentse der wohl unterhaltsamste derzeit erhältliche Crashkurs zum Buddhismus. Was das Buch so lesenswert macht, ist nach Ansicht zahlreicher Leser die Mischung von tiefgründiger spiritueller Weisheit mit dem „Drive“ westlicher Unterhaltungsliteratur. Den Mix aus West und Ost lebt der buddhistische Mönch und Lehrer auch in seinem Alltag, was für jemanden, der in seiner Heimat Bhutan als lebende Gottheit verehrt wird, keinesfalls selbstverständlich ist. In diesem Interview erzählt der „Jet-Set-Lama“, was ihn an seiner Wahlheimat Indien fasziniert und welche neuen Projekte er derzeit plant.
newsage: Herr Khyentse, in Ihrem Buch „Weshalb Sie kein Buddhist sind“ schreiben Sie sehr frei über buddhistische Klischees und Doppeldeutigkeit. In gewisser Weise werfen Sie der buddhistischen Szene den Fehdehandschuh hin. Fürchten Sie nicht, mit Ihren Thesen in konservativen buddhistischen Kreisen ziemlich anzuecken?
Khyentse: Ich glaube, dass konservative buddhistische Kreise mein Buch erst gar nicht in die Hand nehmen, daher mache ich mir über ihre Reaktionen ehrlich gesagt keine Gedanken.
newsage: Sie wurden bereits im Alter von sieben Jahren als Reinkarnation des großen Jamyang Wangpo (1820-1892), eines heiligen Mannes und religiösen Erneuerers erkannt und werden in Ihrer Heimat Bhutan als lebende Gottheit verehrt. Wie dürfen wir uns Ihren Alltag vorstellen?
Khyentse: Mein ganzes Leben ist ziemlich chaotisch. Ich weiß, dass ich noch viel mehr meditieren sollte, als ich es derzeit aus zeitlichen Gründen schaffe. Morgens stehe ich um halb sechs auf, wo auch immer ich gerade bin. Anschließend meditiere ich zwei bis drei Stunden. Wenn ich nicht gerade im Retreat bin, treffe ich daran anknüpfend Freunde und Schüler, die ich in der Buddhistischen Lehre unterrichte. Wenn es meine Zeit erlaubt, gehe ich ins Kino, denn ich bin ein leidenschaftlicher Cineast, den so ziemlich jedes Genre fasziniert. Und ich versuche, auch regelmäßig Sport in meinem Terminplan unterzubringen.
newsage: Sie sind in der Vergangenheit sehr viel gereist, haben vorwiegend in Hotels gelebt und einige Jahre in London verbracht. Zur Zeit sind Sie häufig in Indien anzutreffen. Gibt es einen Ort, den Sie als Ihre „Heimat“ bezeichnen?
Khyentse: Das ist eine schwierige Frage. In der Vergangenheit bin ich in der Tat ein ziemlicher Vagabund gewesen, dem es schwer gefallen ist, irgendwo Wurzeln zu schlagen. Jetzt lebe ich seit einiger Zeit in Bir, Indien und dieser Ort kommt meiner Vorstellung von „Heimat“ am Nächsten. Ich fühle mich in dem spirituellen und kulturellen Klima, das derzeit in Indien herrscht, hervorragend aufgehoben.
newsage: Sie gelten als Brückenbauer der Kulturen, als Vermittler zwischen östlicher Weisheit und westlichem Lebensstil, der Tendenzen und Strömungen im Westen wie im Osten sehr genau beobachtet. Welche Themen bewegen Sie derzeit?
Khyentse: Hier möchte ich wieder auf Indien zurückkommen. Was dort derzeit geschieht, sowohl politisch als auch gesellschaftlich, ist nicht nur für mich sehr interessant, sondern eine Ermutigung für die ganze Welt. Generell kann man sagen, dass Ost und West im Zuge der Globalisierung sehr materialistisch geworden sind und auch immer materialistischer werden. Wenn es um positive gesellschaftliche Entwicklungen geht, um ein neues Demokratieverständnis zum Beispiel, dann muss ich sagen, dass abgesehen von Skandinavien, wo ich leider bislang nicht gewesen bin, Indien zurzeit den demokratischen Gedanken weltweit hervorragend umgesetzt hat. In meinen Augen weitaus glaubwürdiger als es zum Beispiel in den USA der Fall ist. Ich glaube sogar, dass die Demokratie in Indien noch stabiler ist als in Skandinavien, denn dort gibt es nicht die Herausforderungen und Gegenströme, denen sich Indien immer wieder stellen muss. In Skandinavien kann man mit seiner Demokratie prahlen, ist jedoch nicht tagtäglich mit den großen und kleinen Themen und Herausforderungen konfrontiert, wie in Indien, wo es ein enormes Bevölkerungswachstum gibt, wo Hungersnöte herrschen, wo eine Vielzahl unterschiedlicher Kasten und Religionen aufeinanderprallen. Sehen Sie sich nur die unterschiedlichen Strömungen innerhalb der indischen Regierung an, die im Grunde schon alles besagt: Der Präsident ist ein Moslem, der Premierminister Sikh, der Vorsitzende der Regierungspartei ist Italiener und ein Viertel der Regierungsstimmen liegt bei Kommunisten, wobei es einige Staaten in Indien gibt, die von Kommunisten regiert werden. Das ist für mich einfach ein wunderbares Beispiel für eine tatsächlich gelebte Demokratie!
newsage: An welchen Projekten arbeiten Sie zur Zeit?
Khyentse: Derzeit schreibe ich ein neues Buch, in dem es um Karma und Reinkarnation gehen wird. Und seit langem steht auch wieder ein Filmprojekt an, wofür ich gerade das Drehbuch entwickle. Dazu kann ich gegenwärtig jedoch nicht mehr verraten.
In seiner Heimat Bhutan wird DZONGSAR (berühmtes tibetisches Kloster) JAMYANG („weiche Stimme“ ) KHYENTSE („mitfühlende Weisheit“) RINPOCHE („Juwel“) wie eine lebende Gottheit verehrt. Bereits im Alter von sieben Jahren wurde er als Reinkarnation des großen Jamyang Wangpo (1820-1892), eines heiligen Mannes und religiösen Erneuerers erkannt.
Seine umfassende buddhistische Ausbildung erhielt er in Indien und Bhutan. Zu seinen Mentoren gehörte u. a. der 14. Dalai Lama. Heute ist Khyentse einer der bedeutendsten Lamas des tibetischen Buddhismus.
Seit er mit 19 Jahren seinen ersten Spielfilm sah, ist Khyentse Cineast aus Leidenschaft. Wann immer es seine Zeit erlaubt, sieht er sich aktuelle Kino-Hits an. Selber aktiv als Regisseur wurde er mit dem Spielfilm „Spiel der Götter“ über junge tibetische Mönche während der Fußball-Weltmeisterschaft. Der Streifen wurde zum Publikumsliebling auf den Filmfestspielen in Cannes. Khyentse war Berater von Bertolucci während der Dreharbeiten zu „Little Buddha“. Für ihn sind Kino und Buddhistische Unterweisungen kein Widerspruch: „Man muss nur geduldig die Fähigkeit entwickeln, beides zu harmonisieren und das gilt genauso für die alten buddhistischen Traditionen und die moderne Welt.“