Der Globus verbindet uns alle

An Visionären für eine bessere Welt mangelte es nie und mangelt es auch heute nicht. Immer wieder tauchten sie aus der Masse auf, als Mahner, Querdenker oder Rebellen. Allzu oft wurden sie ihrer neuartigen Ideen wegen verschmäht oder verfolgt. Heute ist es leichter denn je, eine Person mittels der Medien großflächig zu diffamieren. Gleichzeitig bietet das Internet eine immer bessere Vernetzung der Visionäre unserer Zukunft – denn sie werden dringlichst gebraucht.

Die Globalisierung hat uns näher zusammengebracht. Nie war unsere Welt vernetzter als heute. Es besteht jedoch eine starke Tendenz, dass sich die Einflüsse der Industrienationen mit größerer Wucht in die Welt verbreiten als umgekehrt. Die bessere Finanzlage auf dieser Seite wird eingesetzt, um derzeit noch tragende Ideen und Strategien werbewirksam in die vermeintlich weniger zivilisierten Länder zu verkaufen. Dabei haben diese Ideen und Konzepte längst einen Großteil ihrer Wirksamkeit verloren. Der Sozialdarwinismus, der das Leben als Kampf jedes gegen jeden darstellt, obwohl Kooperation einen ebenso, wenn nicht sogar viel wichtigereren Punkt darstellt; der Trugschluss einer gerechten Marktwirtschaft, die angeblich allen nutzt, aber längst keine Chancengleichheit mehr bietet; der unablässige Appell an mehr Konsumfreude, die Überbewertung materieller Güter, die uns nicht wirklich erfüllen, sondern lediglich die Mülldeponien überfüllen – all diese Konzepte zeigen in den letzten Jahren vermehrt ihre Kehrseite: Die Ausbeutung und Zerstörung der Natur, Wirtschaftsmärkte, die nur noch unter Aufbietung gewaltiger Anstrengungen seitens der Politik auf ihren wackeligen Beinen gehalten werden und Menschen, die um ihre Lebensgrundlage bangen, obwohl Jobs oder gar Berufe etwas vollkommen Überteuertes und vielfach Überflüssiges geworden sind.

Dass es auch anders geht, zeigen dennoch mehr und mehr Menschen durch persönlichen Einsatz und neue Ideen, die den Kurs des Zeitgeistes ändern können. Martin Häusler, Publizist und Journalist, hat in seinem Buch „Die wahren Visionäre unserer Zeit“ Porträts von 15 Vorausschauenden zusammengestellt, die allesamt außergewöhnliche und funktionsfähige Visionen für eine lebensfreundlichere Welt in die Tat umgesetzt haben – oder umsetzen wollen. Die Reise führte ihn dabei vom Bodensee bis zum Lake Ontario, von Münster bis Manhatten und von Paris bis Pisa. „Selbst ernannte Visionäre gibt es viele. Wahre Visionäre jedoch erkennt man daran, dass sie mutig gegen den Mainstream in Taten umsetzen, was sie in Gedanken erkannt haben“, erklärt der Autor in einem Interview und qualifiziert sich damit gleich selbst zum Visionär. Auch er will mit seinem Buch „in die größte Krise der Menschheit verändernd und gestaltend eingreifen“, wie er sagt, will neue Horizonte öffnen und zum kritischen Hinterfragen anregen.

Das Rezept für die Heilkur der Erde könnte seiner Meinung nach längst angerührt sein. Seine 15 Visionäre stehen für das Innovative, für den Wandel, für das Infragestellen des blind Akzeptierten. „Es tut sich etwas, aber die Widerstände vor allem aus der Wirtschaft sind immer noch erheblich. Es ist beruhigend und es macht Hoffnung, dass es Leute wie Marcelo De Andrade, Aldo Berti, Dieter Broers, Dickson Despommier, Han Shan, Ervin Laszlo, Jekaterina Moschajewa, Tilo Plöger, Bilaal Rajan, Bibi Russell, Adolf und Inge Schneider, Joseph Stiglitz, Georg Thurn-Valsassina, Jakob von Uexküll gibt, die von hunderten anderen Visionäre unterstützt werden“, sagt Häusler und gibt uns damit gleichzeitig einen Überblick über die 15 Persönlichkeiten, die er vornehmlich nach dem Kriterium der Varietät ausgesucht hat. Sie wirken im Bereich der Medizin, Architektur, Wirtschaft, Philosophie, Ernährung, Ökologie und anderen – Bereiche, die besonders neue Denkansätze und Handlungsempfehlungen benötigen.

Den Persönlichkeiten gemeinsam ist, dass sie teils eine harte oder beengte Kindheit erfahren haben und Brüche in ihrer Biografie aufweisen. Besonders aber ist ihnen gemein, dass sie ganzheitlich und ungewohnt denken. Sie beweisen Mut und Ausdauer, wo andere sich schon längst von gängigen Zweifeln oder der Stärke des Mainstreams überwältigt lassen hätten. Anknüpfend an ihr ganzheitliches Denken, haben Worte wie Einheit und Liebe für sie ernst gemeinten und erfahrenen Wert – ihre Stärke und gleichzeitig ihre Schwachstelle, die Kritiker gerne zur Abstempelung als „Esoteriker“ nutzen, denn immer noch hat dieser Begriff in der Welt der Wirtschaft, in der Welt des „harten Mannes“ eine negative Konnotation, die eine Person als „verweichlicht“ oder irrational darstellt.

So kommt es, dass man in Häuslers Biographiensammlung von einem erfolgreichen Geschäftsmann erfährt, der sich eines Tages dafür entscheidet, seine Firma zu verschenken, um als buddhistischer Bettelmönch zu leben, von einem renommierten Erfinder, der seine seherischen Kräfte genauso mit einbezieht wie physikalische Gleichungen, einem Architekten, der die Energieflüsse der Erde in seinen Konstruktionen nutzt, und von einem Topmodel, das seinem Heimatland Bangladesch trotz Karriere im Westen nicht den Rücken kehrt, sondern sich für die Ärmsten des Landes einsetzt und ihnen zur Selbsthilfe verhilft, indem sie an das reiche kulturelle Erbe des Landes anknüpft.

Anschaulich schildert Häusler den Werdegang eines jeden Visionärs, wie etwa den eines berühmten Opernsängers, der zu seinen außergewöhnlichen heilerischen Fähigkeiten und einem tiefen Glauben findet, eines gefeierten Nobelpreisträgers, der nach einer enttäuschenden Zusammenarbeit mit höchsten Gremien und Instanzen zum unermüdlichen, parteilosen Redner und Verfechter nachhaltiger Konzepte wird, die auch nachfolgende Generationen beachten, eines Mikrobiologen, der mit der genialen Idee der „vertikalen Agrarwirtschaft“ bei seiner Studentenschaft bereits für ein Umdenken gesorgt hat und einem Wissenschaftler, der mit ebenso genialen Heilinstrumenten noch nicht die nötige Resonanz bei finanzkräftigen Investoren und den Medien erreichen konnte.

Nur allzu oft scheitert die Umsetzung der Ideen unserer Visionäre am Finanziellen. Die Lobbys der Pharmaindustrie beispielsweise haben eine solch große finanzielle Macht, dass sie unerwünschte Konkurrenzprodukte, die keine großen Gewinnspannen für sie versprechen, einfach unterdrücken. Selbst die großen Medienkonzerne und die Politiker sind in diese Machenschaften verwickelt. Gelingt es dennoch dem ein oder anderen „Rebellen“, sein Konzept an eine breitere Masse zu bringen, kommt es nicht selten zu regelrechter Bedrohung, wie einige der Geschichten der 15 Visionäre belegen. Dies wird verständlich, wenn man bedenkt, dass Erfindungen, die bestimmte medizinische Produkte oder etwa Öl oder Kohle zu Nebensächlichkeiten reduzieren würden, ganze Industriezweige beschneiden könnten. Doch ebenso fatal ist es, kurzsichtige, egoistische Sichtweisen vorherrschen zu lassen, wenn unser Planet weiterhin ein lebenswürdiger Platz für uns bleiben soll.

Deutlich wird dadurch, dass ein neuer Kurs weniger „von oben“, von den Instanzen kommen wird, die Positionen der Macht inne haben. Vielmehr werden diese Impulse aus anderen Richtungen kommen. Sobald dann eine kritische Masse an Menschen erreicht ist, die einen neuen Kurs einschlagen will, wird sich dieser auch durchsetzen können. Es kommt also auf jeden Einzelnen an. Interessante Gedanken hierzu hat Ervin Laszlo, Pianist und Philosoph, der ebenfalls als einer der Visionäre in Häuslers Buch beschrieben wird. Für ihn ist der Punkt, an dem das alte marode System kippen könnte, bereits sehr nahe gerückt. In seiner Evolutionstheorie geht er davon aus, dass jedes System nach Erhalt strebt und erst dann nachgibt, wenn zunehmendes Chaos und Labilität eintreten. So sieht er in dieser Zeit der Umbrüche eine unvermeidliche Phase, die ermöglicht, dass etwas Neues eintreten kann. „Die Frage ist, ob es dafür erst zu einem totalen Zusammenbruch des bestehenden Systems kommen muss oder ob der Weg für neue Einsichten und deren Umsetzung noch rechtzeitig freigegeben wird“, sagt Laszlo.

Wie die meisten der Visionäre verbindet der gebürtige Ungar Komponenten verschiedener Systeme, anstatt sie getrennt zu behandeln. Seine Evolutionstheorie lässt sich nicht nur auf die biologische Entwicklung des Menschen anwenden sondern auch auf seine soziale Entwicklung. Unter den Visionären findet sich diese Vorgehensweise immer wieder. Disziplinen werden miteinander verbunden oder ergänzend zueinander in Bezug gesetzt. Die Tendenz ist hier, genau wie in vielen esoterischen Traditionen, nicht die Vereinzelung und Trennung, sondern das Vereinen, die Einheit. Nicht Angst sondern Respekt, Toleranz und Liebe zeichnen diese Mentalität aus.

Manch einer muss dabei den Weg zur Liebe erst finden. Andere wiederum scheinen ihn bereits längst gefunden zu haben, wie der junge Bilaal Rajan, der als jüngster Visionär seit seinem vierten Lebensjahr Geld und Sachspenden für notleidende Kinder sammelt, nachdem er einmal einen längeren Blick auf die Schlagzeilen der Tageszeitung seines Vaters geworfen hat.

Teilweise unglaublich, immer außergewöhnlich und fast durchweg herzerfrischend lassen sich in Martin Häuslers Buch die spannenden Lebensläufe von Menschen verfolgen, die Mut machen, inspirieren und jeden ansprechen, der nicht nur global denken, sondern auch global handeln will. Der Globus ist rund und bezieht alle(s) mit ein. Genauso sollte unser Denken und Handeln sein.

BUCH-TIPP
Martin Häusler
Die wahren Visionäre unserer Zeit
416 Seiten, € 21,95
ISBN: 978-3-942166-02-7
Scorpio Verlag www.diewahrenvisionäre.de www.scorpio-verlag.de