Asli Bayram, Miss Germany 2005, Theater- und Filmschauspielerin, ist eine Grenzgängerin zwischen zwei Kulturen, der türkischen und der deutschen. Sie hat mit ihrem Mut, ihrer Zuversicht und ihrer Ausdauer aber auch andere Grenzen gesprengt. Ein senkrechter Karrierestart und die Überwindung eines großen Traumas sind die Früchte, die sie geerntet hat.
Über 1,5 Millionen Menschen mit türkischem Migrationshintergrund leben heutzutage in Deutschland. Als 1961 das Anwerbeabkommen zwischen der Türkei und Deutschland abgeschlossen wurde, konnte niemand absehen, dass die so genannten Gastarbeiter einst dauerhafte Bürger in diesem Land werden würden. Heute gibt es bereits Urenkel der ersten Migrantengeneration. Die meisten davon besitzen die deutsche Staatsbürgerschaft und sind sozial gut in die Gesellschaft integriert. Mit jeder Generation gelingt die Synthese der beiden Kulturen besser. Ein reger Austausch zum gegenseitigen Verständnis muss aber auch weiterhin verfolgt werden.
Mit ihrem Debut als Schriftstellerin trägt Asli Bayram deutlich zu diesem Ziel bei. In Deutschland aufgewachsen, zur Schule und Universität gegangen, ist die 27-Jährige das Paradebeispiel für einen erfolgreichen Lebenslauf, der an diesem Punkt noch lange nicht endet. Mit 23 Jahren wurde sie zur Miss Germany gekürt und hat heute Engagements als Schauspielerin in der ganzen Welt.
Wer in ihrem autobiographischen Buch „Grenzgängerin“ liest, wird nicht umhin können, sich von der positiven, herzlichen Art der Autorin anstecken zu lassen. In ihren Worten steckt viel Weisheit und natürlich ein gutes Stück türkischer Mentalität. Man mag sich dabei fragen, woher dieses tiefe Verständnis von einer positiven Gesinnung und wahrhaftigen Lebenshaltung bei ihr herrührt. Dies wird schnell klar, wenn man ein wenig mehr über Aslis Vergangenheit erfährt. Denn trotz gelungener Integration der ganzen Familie – die Eltern hatten ein kleines Unternehmen aufgebaut, Asli und ihre Geschwister haben alle Jura studiert – hat ein brutales Erlebnis die ganze Familie Bayram bis aufs Mark erschüttert: Als Asli 12 Jahre alt war, erschoss ein rechtsradikaler Nachbar ihren Vater an der Haustür, während sie daneben stand und durch einen Streifschuss getroffen wurde. Das Trauma, das dieses Ereignis hinterließ und die Enttäuschung der Familie über ihre Wahlheimat müssen sehr groß gewesen sein. Der Täter wurde frühzeitig entlassen und die Medien maßen dem Fall damals wenig Aufmerksamkeit bei. Von einem Nachbarschaftsstreit war die Rede.
Da Fälle von Fremdenhass sich aber in den 90er Jahren mehrten, sind Öffentlichkeit und Politik inzwischen aufmerksamer geworden. Die Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit in diesem Bereich darf nicht einschlafen. Ein wichtiger Bestandteil des friedlichen Zusammenlebens in diesem Land ist die Auseinandersetzung mit dem anderen, dem Nachbarn, ein Verringern von unbegründeter und auf falschen Annahmen beruhender Angst.
Umso schöner und symbolträchtiger ist daher das Gewinnen Aslis bei den Wahlen zur Miss Germany 2005. Auch wenn die Medien, wie sie in ihrem Buch schreibt, teilweise mit unangemessenen Fragen und Formulierungen aufwarteten, die ihr klar machten, dass sie trotz deutscher Staatsbürgerschaft weiterhin als Türkin betrachtet wurde, kann man den Wink des Schicksals, den hier ein ganzes Volk live und direkt vor die Nase gesetzt bekam, kaum übersehen.
Für Asli selbst war die Teilnahme an den Wahlen dabei zuerst gar nicht so wichtig. Sie wandelte auf ihrem Weg, ihre Kräfte zu erproben, ihre Grenzen zu überschreiten und Herausforderungen anzunehmen. Ihre Leidenschaft für das Setzen von hohen Zielen und ihre große Liebe zum Reisen gaben dem Projekt „Miss Germany“ den nötigen Anreiz. Sie lernte dabei viel über öffentliches Auftreten und menschliches Verhalten in außergewöhnlichen Situationen, während sie, wie sie sagt „just for fun“ dem ganzen Spektakel beiwohnte – all dies ein wunderbares Beispiel für den Ratschlag, dem man in Ratgebern zum erfolgreichen Wünschen immer wieder begegnet, wo stets erklärt wird, dass nach der Bearbeitung das Loslassen des Wunsches von großer Wichtigkeit ist.
Ebenso symbolhaft mutet auch eine weitere Station in Aslis Leben, genauer gesagt, in ihrer Schauspielkarriere an. Nach ihrem Erfolg bei den Misswahlen folgte Asli weiter ihrem Lebenstraum: Schauspielerin werden. Sie traf bald auf die richtigen Leute und erhielt ihre erste Rolle: Sie sollte ein Solostück als Anne Frank spielen! Die Tagebuchaufzeichnungen der jungen Jüdin, die im 2. Weltkrieg in einem Versteck lebt und ihrem Tagebuch Leid und Freud anvertraut, bilden die Grundlage dieser Aufführung, die nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Ländern und in Kanada und den USA großen Beifall erntete. Wieder scheint sie hier zu einer Figur, einer Projektionsfläche zu werden, auf der sich der deutsche Geist, der menschliche Geist an sich ins eigene Antlitz schauen darf und verstehen muss, dass die Greuel der Vergangenheit einen Namen, ein Gesicht haben, das nicht in Vergessenheit geraten darf.
Asli Bayrams Schritte mögen dem einen oder anderen gewagt erscheinen. Doch wie heißt es so schön? Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Wer zu sehr vor den eigenen oder den gesellschaftlich verordneten Grenzen zurückschreckt, darf nicht auf das Interesse der Menschen auf der anderen Seite der Grenzen hoffen. Asli schreibt: „Die Frage, die sich jeder Mensch in seiner Lebenszeit immer und immer wieder stellen muss, lautet: Was kann ich tun?“ Sie beantwortet sich diese Frage: „Ich will für eine bessere Welt einstehen, durch meine Arbeit und mein Leben. Die Wahrheit verändert die Welt. Ich will mit aller Kraft versuchen wahrhaftig zu sein, die Wahrheit zu suchen, leben und unterstützen. Ich will nicht über Unrecht und Lügen schweigen. Ich habe eine Stimme!“
Die Grenzen in alle Himmelsrichtungen überschreitend, macht Asli Bayram somit Mut, sich für höhere Ziele und Ideale einzusetzen. Toleranz, Wahrhaftigkeit und Hoffnung sind für sie nicht nur Worte. Sie integriert diese Dinge in ihr Leben und ihre Arbeit. Mit ihrer Zuversicht und Tatkraft lässt sie sich nicht unterkriegen, sondern kämpft für ihre Überzeugung. Und auch sonst lebt sie jeden Tag wie ein Geschenk. Die direkte Konfrontation mit dem Tod mag Asli sehr weh getan haben, ihr Herz aber hat die Erfahrung stärker und größer gemacht.