Wir alle denken, alles über das Denken zu wissen – denken wir doch andauernd, sei es in Form eines mehr oder minder monotonen inneren Dialogs oder in Gestalt von Kalkulationen, Wertungen, Abschätzungen, Vorstellungen und so weiter. Aber wir denken nur selten über das Denken selbst nach. Dies überlassen wir gern den Denkern und Philosophen wie etwa Dr. Ina Schmidt, die sich in ihrem neuen Buch „Macht Denken glücklich?“ überaus interessante Gedanken über das Denken gemacht hat, die uns allen zu denken geben sollten – und zwar im positiven Sinne.
„Geht es jetzt um positives Denken?“, mögen Sie sich fragen. Nein, ganz und gar nicht: Es geht um philosophisches Denken und das beginnt, wie einer meiner alten Philosophieprofessoren zu sagen pflegte, immer mit einer Katastrophe. Dabei ist die ursprüngliche Bedeutung des altgriechischen Begriffs καταστροφή nicht unbedingt so negativ, wie die heutige Konnotation vermuten lassen könnte, denn wörtlich übersetzt bedeutet es soviel wie „Umwendung“, eine Wende im Denken oder in unserer Auffassung. Etwas, das erst einmal langweilig oder banal klingen mag, aber tatsächlich abenteuerlich und spannend ist.
Ein Beispiel hierfür ist die kopernikanische Wende, die dem geozentrischen Weltbild ein Ende setzte und einige Vertreter dieses neuen Denkens wie etwa Galileo Galilei den Nachstellungen der Inquisition aussetzte. Allerdings ist diese Wende bis heute nicht wirklich in den Köpfen aller Menschen vollzogen: Sicher, jeder weiß und akzeptiert, dass sich die Erde um die Sonne dreht und nicht umgekehrt, und dennoch wähnt sich so manch moderner Homo sapiens immer noch als Krone der Schöpfung im Zentrum des Universums und betrachtet die Erde als einzige Wiege des Lebens und des Bewusstseins.
Umdenken ist oft ein langwieriger Prozess, aber – wie die Erfahrung zeigt – äußerst lohnenswert: Wenn zum Beispiel Kolumbus die kopernikanische Wende für sich nicht vollzogen hätte, dann hätte er vermutlich Amerika nie entdeckt und sich genau wie die vorkopernikanischen Flachweltler davor gefürchtet, am Ende des Ozeans über den Rand der Welt in einen namenlosen Abgrund zu stürzen. Umdenken kann also – auf kollektiver wie auch auf persönlicher Ebene – neue Horizonte eröffnen, neue Möglichkeiten und Perspektiven, aber es erfordert auch den Mut, sich über eingefahrene Konzepte und Gedanken hinwegzusetzen, genau wie über die eigene Furcht, wie Lots Frau zur Salzsäule zu erstarren, wenn man den Blick allen Warnungen zum Trotz umkehrt.
Mut zum Umdenken, Neudenken und Andersdenken brauchen wir auch heute, wie die studierte Kulturwissenschaftlerin und Philosophin Dr. Ina Schmidt in ihrem gerade erschienenen Buch „Macht Denken glücklich?“ betont. „Wir brauchen einen Aufbruch im Denken“, sagt sie nachdrücklich, „eine neue Richtung, daran scheint politisch wie gesellschaftlich kaum jemand zu zweifeln.“ Und sie kritisiert zu Recht die moderne Variante des Krisenmanagements, die meist entweder auf altbekannte Rezepte, sprich auf dieselben Denkmuster setzt, die uns die Krise eingebrockt haben, oder eben auf blinden, gedankenlosen Aktionismus: „Am liebsten hätten wir ein Handeln, das ohne komplexe Gedanken auskommt: Möglichst schnell auf den Punkt kommen, klare Entscheidungen treffen und dann eine effiziente Lösung präsentieren, die sich auf wenigen Power-Point-Folien abbilden lässt. Das verspricht Erfolg und Erfolg macht glücklich, denken wir.“
„Nun hatte ich beobachtet, dass in dem Satz: „Ich denke, also bin ich“, überhaupt nur dies mir die Gewissheit gibt, die Wahrheit zu sagen, dass ich klar einsehe, dass man, um zu denken, sein muss.“ René Descartes, frz. Philosoph (1596-1650) |
Ina Schmidt weiß natürlich ganz genau, dass die Philosophie nicht unbedingt als ernstzunehmende Disziplin betrachtet wird, wenn es darum geht, die brennenden Fragen unserer Zeit zu beantworten. Es fehle ihr der Ehrgeiz oder die Bereitschaft, finanzielle Zielsetzungen als geistige Leitlinien anzuerkennen. Und schlimmer noch, eine ihrer Kernmethoden, der Zweifel, wende sich sogar gegen jedes Erreichen klar gesteckter Ziele. Das philosophische Denken kreise doch ohnehin nur um die Klärung von Begriffen und die Seinsfrage, die uns in unserer jetzigen Situation nun wirklich keinen Zentimeter voranbringe. Die Fragen unserer Zeit seien doch klar umrissen – wozu dann noch lange „herumphilosophieren“?
„Wissen wir tatsächlich, wonach wir fragen sollen?“, gibt Schmidt zu bedenken. „Was führt eigentlich momentan unsere Agenda an – was ist das Wesentliche? Geredet wird darüber sehr viel – keine Frage, aber: Wissen wir tatsächlich, was unsere Welt im Innersten zusammenhält, wie komplexe Prozesse verlaufen, wie ‚Gesellschaft’ funktioniert, was ein erfolgreiches Unternehmen steuert oder wie ‚gute’ Bildung aussehen muss? Was bedeutet es eigentlich, ‚glücklich’ zu sein? Haben wir wirklich begonnen, diesen Themen nachzudenken, ihnen möglicherweise ihren ganz eigenen Raum zu geben? Wissen wir überhaupt, was damit gemeint ist?“
So rüttelt Schmidt in ihrem Buch nicht nur am Thron all dieser modernen Götzen, sondern auch an den Grundfesten ihrer Handlanger: eben jenen Denkformen, die unsere Zeit bestimmen. Da ist zum Beispiel das bürokratische Denken, welches sie im Kapitel „Die Herrschaft des Niemand oder der Sieg der Gedankenlosigkeit“ auf amüsante und treffende Art porträtiert und kritisiert. Diese allgegenwärtige Form organisierter Verantwortungslosigkeit bediene sich des Schubladendenkens und aus all jenen Schubladen entstehe ein hübsches Baukastensystem, aber nichts anderes und schon gar nichts Neues: „Darüber täuschen auch schnell einberufene Arbeitsgruppen, Kommissionen oder Teamstrukturen nicht hinweg, in denen meist viel geredet, aber nicht immer wirklich gedacht wird“, betont sie. Um sich daraus und aus anderen festgefahrenen Denkmustern wie etwa dem „Entweder-oder“ zu befreien, müsse man erst einmal Abstand zu ihnen gewinnen und die Muster selbst thematisieren. Erst dann könne man zu einem „Denken ohne Geländer“ gelangen, das auch ein „Sowohl- als-auch“ gelten lässt. „Im nächsten Schritt bedeutet ein solcher Aufbruch das Loslassen bzw. Hinter-sich-Lassen der überkommenen Strukturen, ohne sofort den Blick auf den Wiederaufbau zu richten“, so Schmidt. „Ähnlich dem Aufbrechen zu einer geistigen Entdeckungsreise, die uns möglicherweise in fremde und neue Gefilde führt und deren Bereicherung erst bei der Rückkehr deutlich wird, wenn wir im Reisegepäck einen neuen Blick auf die Welt mitbringen.“
Womit wir wieder bei Kopernikus und Kolumbus wären und natürlich auch bei der eigentlichen Macht der Gedanken. Ina Schmidt betont: „Wir gestalten unsere Welt, indem wir sie denken – wie auch immer unsere Gedanken dazu aussehen. Wir bestimmen die Farben, die Möglichkeiten, die Optionen, wir gestalten sie und nehmen dadurch Einfluss, ob wir es wollen oder nicht. Allein die Entscheidung für eine Perspektive unter vielen möglichen beeinflusst unsere Sicht auf das, was später Teil unseres Handelns sein wird.“
Denken und Handeln sind für Schmidt nur scheinbar voneinander getrennt, genauso wie Verstand und Intuition. Es gehe beim Aufbruch des Denkens darum, meint sie, sich einen Zugang zu den eigenen Gedanken zu verschaffen, der die Aspekte der Ratio ebenso ernst nehme wie die der Intuition. „Gern bemühen wir dafür bestimmte körperliche Regionen“, erklärt Schmidt. „Der Verstand sitzt angeblich im Kopf, die Intuition im Bauch. Aber auch hier haben wir es of mit einem Denken in ‚Entweder-oder’-Kategorien zu tun, irgendwie scheint man sich für die eine oder die andere Seite entscheiden zu müssen. Es geht aber um ein Gleichgewicht zwischen beiden, nicht um die Frage, wer die besseren Antworten hat. Der ‚Kopf’ sollte also in jedem Fall den ‚Bauch’ zu Rate ziehen, aber auch der ‚Bauch’ darf nicht vergessen, sich mit dem ‚Kopf’ zu verständigen, wenn man in dieser körperlichen Zuordnung bleiben will.“ Gerade die Verbindung von Intuition und Verstand kann laut Schmidt eine tiefere Schicht menschlichen Erkennens freilegen. „Es scheint, als würden wir beim Lösen von Problemen unser sinnliches Erleben an die Garderobe hängen – doch das innere Gespräch mit der Seele gehört mit an den Konferenztisch“, sagt sie.
Und wie steht es mit der Frage nach dem Glück? Schmidt sieht es unter anderem in dem durch die Praxis dieses ganzheitlichen Denkens erkannten Wert der eigenen Persönlichkeit: „Das persönliche Glück kann also nur bedeuten“, schließt sie, „dass der Schwerpunkt des Menschen in ihm selbst liegt: Er darf nicht an Äußerlichkeiten hängen, sich aber ebenso wenig völlig von der Außenwelt lossagen. Daraus entsteht eine Balance, in der sich der Einzelne ‚in aller Heiterkeit’ der äußeren Welt zuwenden kann, weil er sich seiner eigenen Persönlichkeit sicher ist. Diese Form der Heiterkeit kann zwar die Schwere des Daseins nicht aufheben, aber sie ist für eine reiche Persönlichkeit die Möglichkeit, das Leben mit einem geistigen ‚Trotzdem’ zu ertragen.“ Etwas, worüber es sich nachzudenken lohnt.
Dr. Ina Schmidt, geboren 1973 in Flensburg, studierte Kulturwissenschaften mit dem Schwerpunkt Sprach- und Kulturphilosophie an der Universität Lüneburg. In ihrer Promotion widmete sie sich dem Einfluss der Lebensphilosophie auf das Denken Martin Heideggers. 2005 gründete Schmidt in Hamburg die „denkraeume“, wo sie Unternehmen und Privatpersonen in Seminaren und Workshops in die Kunst des philosophischen Denkens einführt. Schmidt ist Mutter von drei Kindern.
Weitere Infos:
www.denkraeume.net
BUCH-TIPP: |
Ina Schmidt |
‚Macht Denken glücklich? – Eine philosophische Betrachtung‘ |
220 Seiten, € 17,50 |
ISBN 978-3-89901-265-1 |
Verlag J. Kamphausen |
Anastrophe ist die Wende, Katastrophe ist das Verschlimmern/Ausufern!!!