Manch einer fragt sich, was es mit der Beziehung zwischen Guru und Devotee auf sich hat. Führt die Verehrung eines Erleuchteten wirklich zur Erleuchtung bei einem selbst? Und was macht einen wirklich Erleuchteten überhaupt aus? Wer den Erfahrungsbericht des einst spirituellen Suchers Jeff Kagel, heute Krishna Das, liest, wird Licht in diese Fragen bringen – und in sein Herz.
In den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts gab es einen großen spirituellen Boom. Junge Menschen widmeten sich besonders dem Buddhismus und anderen aus dem asiatischen Raum stammenden spirituellen Traditionen mit großer Leidenschaft. Kaum einer, der nicht irgendwann einmal zu einem Guru in Indien pilgerte, Segnungen erhielt und im Grunde versuchte, sein Welt- und Selbstbild zu verändern, es oftmals sogar zerstört sehen wollte, um ein besserer Mensch zu werden. Einer dieser jungen Menschen war Krishna Das. Er verschrieb sich diesem Unterfangen mit Leib und Seele und veränderte sich einerseits wirklich, doch andererseits wurde nur der Kern freigelegt, der im Innern eines jeden von uns liegt und … unveränderlich ist.
Insofern ist die Einsicht, dass man nicht wirklich vor seinem ungeliebten Selbst fliehen kann, unvermeidlich. Krishna Das, heute Sänger von Kirtans, religiöser indischer Lieder, die die Namen Gottes preisen, hatte im Verlauf seiner spirituellen Suche diese Einsicht. Sein Weg begann in Amerika, wo er dem spirituellen Lehrer Ram Dass begegnete, der ihm wiederum von dem legendären Guru Neem Karoli Baba erzählte. Fasziniert von den Erzählungen reiste Krishna Das nach Indien, um selbst den Meister zu treffen. Aus einer Reise wurde ein Aufenthalt mehrerer Jahre, die ganz nebenbei dem Traum vom Rock- ‘n‘-Roll-Star ein gewolltes Ende setzte.
Krishna Das war auf der Suche nach Erfüllung und Liebe, in seinem Innern verspürte er eine Leere, die ihn immer wieder in Depressionen stürzte. Im Grunde war er auf der Flucht vor seinem eigenen Spiegelbild, wie er in seinem Buch „Mit den Augen der Liebe“ schreibt. Neem Karoli Baba indes war ein Mensch, der eine Liebe verströmte und lebte, die wenig mit dem Begriff von Liebe zu tun hat, wie wir ihn in der westlichen Welt verstehen. Krishna Das lernte – auf teils schmerzhafte Weise –, dass die Liebe seines Gurus unbestechlich und frei war, von einer Hingabe an das Sein an sich geprägt. So spürte er in der Gegenwart des Meisters einerseits ungekannten Frieden und absolutes Angenommensein. Doch seine anerzogene Ansicht von Liebe ließ ihn andererseits immer wieder in alte Muster verfallen, die ihn dazu veranlassten, die Liebe und Anerkennung des Gurus für sein Ego zu beanspruchen. So segelte er durch seine inneren Prozesse, die ihn vom Himmel in die Hölle und zurück katapultierten, ihn vor Enttäuschung fast alles hinwerfen ließen, wenn der Baba ihm wieder einmal nicht genügend Aufmerksamkeit schenkte, oder ihn im 7. Himmel schwelgen ließen, wenn er sich selbst genügend vergessen konnte.
Doch Kirshna Das gab nie auf. Immer wieder an seine Grenzen stoßend, fand er in letzter Minute stets eine Möglichkeit, diese zu überwinden. Allein dieser Mut unterscheidet ihn bereits von etlichen anderen Suchenden auf dem Weg, die nur allzu oft an einer großen Hürde scheitern und an diesem Punkt stecken bleiben oder umkehren. Sein Mittel, seine Methode, um mehr Bewusstheit und Präsenz in sein tägliches Leben zu bringen, wird das Kirtan-Singen. Die meditative Gesangspraxis, bei der die Namen Gottes in Frage-und-Antwort-Manier im Chor besungen werden, ist sein Weg – neben dem Bhakti Yoga, dem Yoga der Hingabe an einen Guru.
Die Abwendung von der ständigen Beschäftigung mit dem Selbst und das Mindern der Gedanken, die sich immer nur zwischen den Schranken der Polarität bewegen können, vergleichen, beurteilen und begrenzen, ist in fast jeder spirituellen Praxis von ungeheurer Bedeutung. Fast ausschließlich und doch ganz subtil lehrt Meister Neem Karoli Baba seine Devotees, sich ihrer Selbstwichtigkeit bewusst zu werden. Und kaum einer kann gut damit umgehen. Der Guru handelt dabei nicht aufgrund persönlicher Vorlieben, denn er ist Mittler des Geistes geworden – ohne Wünsche und Absichten. Er gibt vorbehaltlos, ohne Angst vor Verlust, ist dem Geist ganz hingegeben, ohne Anerkennung zu erwarten.
So zumindest, stellt sich dem Leser das Bild des Neem Karoli Baba dar, der 1973 verstarb. Folgt man Krishna Das‘ Lebenslinien soweit, wie er uns daran teilhaben lässt, so bleibt wenig Zweifel daran, dass der Baba ein außergewöhnlicher Mensch war. Es sind seine Handlungen, in denen sich die Liebe als Akt des Loslassens von jeglicher Anhaftung zeigt. Der Guru räumt ein, dass auf der materiellen, kausalen Ebene des Lebens immer wieder Anhaftung eintritt, da dies ihre Existenz erst ermöglicht. Doch „die Früchte der Anhaftung sind Tränen“, so der Meister. Und nur das Gewahrwerden der Ebene der Einheit und der Stille ermöglicht das Loslassen dieser Anhaftung. Viel Weisheit spricht aus den Zeilen, die uns Krishna Das mitteilt, lebhaft und aufrichtig, gelebte, verarbeitete Geschichte. Was bleibt, sind wertvolle Nachempfindungen, dass Liebe wirklich nicht außen zu finden ist, in der Aufmerksamkeit anderer, sondern man selbst aufmerksam sein sollte, um aus dem Herzen zu leben.
BUCH-TIPP: |
Krishna Das |
‚Mit den Augen der Liebe‘ |
270 Seiten, € 21,95 |
ISBN 978-3-86728-135-5 |
Koha Verlag |