Über 400.000 Tonnen Heilpflanzen-Rohware gelangen jährlich in den internationalen Handel – Tendenz steigend. Rund 80 Prozent davon werden wild in der Natur gesammelt, leider oft ohne jede Rücksicht auf das langfristige Überleben der Pflanzenarten. Zu dieser gewissenlosen Ernte gesellt sich oft ein ebensolches Verhalten von Handel und verarbeitender Industrie. Der Preis regiert den Markt, ausnahmslos.
Woher die Ware kommt und wie sie an ihren Bestimmungsort gelangt, ist nicht selten zweitrangig. Dieses Problem wird zudem verschärft durch die völlig unangemessene Beifügung von Heilpflanzen in Kosmetika, in Reinigungs-, Hygieneund anderen Produkten, die die heilenden Wirkungen der Pflanzen gar nicht brauchen – diese dienen hier lediglich als „natürliche“ Verkaufsargumente. So wird die Nachfrage erhöht, was den Raubbau an der Natur wiederum weiter in die Höhe treibt.
Das Beispiel der Schlüsselblume (Primula veris und Primula elatior) zeigt diese gefährliche Entwicklung der „Übernutzung“ sehr deutlich: Die von April bis Juni gelb blühende Pflanze kommt natürlicherweise in ganz Europa und Vorderasien vor und ist seit jeher eine wichtige und häufig eingesetzte Heilpfl anze. Arzneien aus der Schlüsselblume werden vor allem bei chronischer Bronchitis und anderen Erkrankungen der Atemwege, aber auch bei Rheuma angewendet. Die verarbeitende Industrie produziert eine große Menge Produkte, die angereichert sind mit den Inhaltsstoffen der Schlüsselblume. Der daraus entstehende hohe Bedarf wird ausnahmslos aus Wildsammlungen gedeckt und erreicht mittlerweile Zahlen, die für sich sprechen: Allein ein einziger großer deutscher Händler importiert jährlich 10.000 Kilogramm Schlüsselblumen. Das entspricht etwa 30 Millionen Blüten! Und diese Unmengen geernteter Blüten werden allesamt keine Samen mehr bilden, sie werden also nicht für den Fortbestand der Schlüsselblume in der Natur sorgen können. Und die immer wieder abgeernteten Pflanzen werden ihr Wachstum irgendwann einstellen, wodurch sich der Bestand an Schlüsselblumen dramatisch verringern wird. Zusätzlich führt die Intensivierung der Landwirtschaft zu einem starken Rückgang der Art, denn die natürlichen Standorte der Schlüsselblume – trockene Wiesen und Waldränder – verschwinden langsam, aber sicher. Die Schlüsselblumen sind daher schon jetzt in weiten Teilen ihres ursprünglichen Verbreitungsgebietes selten geworden oder sogar vom Aussterben bedroht.
Die Bundesrepublik Deutschland macht hier – trotz ihrer augenscheinlichen Natur- und Umweltliebe – keine Ausnahme: Mit einem Verbrauch von 45.000 Tonnen Heilpflanzen im Jahr sind wir im europäischen Vergleich Spitzenreiter. Beim Heilpflanzen-Import nehmen wir weltweit die vierte und beim Export die fünfte Stelle ein. Somit ist Deutschland eines der wichtigsten Handelszentren für Heilpflanzen. Wenn wegen der Gefahr ihres Aussterbens nach internationalen Abkommen geschützte Arten bei uns importiert und verarbeitet werden, obwohl sie nicht mit Sicherheit aus landwirtschaftlichem Anbau oder nachhaltiger Wildsammlung stammen, dann wirkt die viel proklamierte Naturliebe nur noch scheinheilig.
Die Schlüsselblume ist nur ein Beispiel unter sehr vielen. Was kann der verantwortlich denkende und handelnde Mensch hier konsequenterweise tun? – Suchen Sie nach alternativen Nutzarten von Heilpflanzen, die die lebende Pflanze so wenig wie möglich beeinträchtigen. Die in dieser Ausgabe von newsage vorgestellten „Love Remedies“ sind eine solche Alternative, denn für ihre Gewinnung wird keine Blüte geerntet und keine Pflanze zerstört. Verzichten Sie weiterhin auf Produkte, die überflüssigerweise Zusätze von Heilpflanzen enthalten, und nutzen Sie Heilpflanzenprodukte nur von Herstellern, denen Sie vertrauen. Fragen Sie Ihren Therapeuten, erkundigen Sie sich im Bioladen und recherchieren Sie im Internet … so lange, bis Sie wirklich sicher sind.
An dieser Stelle sei auch der Raubbau an Umwelt und Menschen erwähnt: Große Gebiete werden von vielen Menschen nach den gefragten Pflanzen abgesucht, dabei werden auch andere, noch seltenere Arten zertreten oder auf andere Weise zerstört. Die Ernte selbst ist ein massiver Eingriff in das ökologische Gleichgewicht und betrifft Insekten und später auch andere Tierarten direkt. Natürlich werden die vielen Pflückerinnen und Pflücker in oft sehr armen Ländern extrem gering bezahlt, denn, wie bereits oben angemerkt, regiert der Preis den Markt. Hierin zeigt sich die leider nach wie vor tolerierte Ausbeuter-Mentalität unserer Gesellschaft.