Hermann Ricker war Diplomkaufmann, als er 1974 nach Asien auswanderte und dort eine Firma gründete, die bald Vertretungen in der ganzen Welt eröffnete. Der erfolgreiche Geschäftsmann jettete durch die Nationen und war immer auf Achse. Doch ein Schicksalsschlag veranlasste ihn, sein Firmenimperium innerhalb kürzester Zeit zu verkaufen und all seinen Besitz hinter sich zu lassen.
Es war ein schwerer Autounfall in Malaysia, der den gebürtigen Deutschen zu dieser Kehrtwende bewegte. Ein Lastwagen scherte vor ihm aus und drängte ihn von der Spur. Platz zum Ausweichen gab es nicht, so dass Hermann Rickers Jaguar sich mehrere Male überschlug. Obwohl der Unfall sehr heftig war und das Auto völlig zerstörte, überlebte der Unternehmer unverletzt – ein Wunder.
In dieser Nacht änderte sich alles in ihm. Er erkannte, dass das Bild, das er von sich selbst hatte, nichts als Illusion war. Nichts von all dem, was er besaß, hätte er mitnehmen können, wenn er gestorben wäre – das wurde ihm glasklar. Von diesem Tag an trieben den Überlebenden ganz andere Fragen an. Er wollte wissen, wer er wirklich war, woher er kam und warum er lebte.
Neustart
Ricker überschrieb sein Unternehmen, das zu diesem Zeitpunkt 33 Millionen US Dollar Jahresumsatz erwirtschaftete, seinen engsten Mitarbeitern und zog sich nach Thailand zurück, wo er als buddhistischer Mönch ordinierte. Von da an wurde er Han Shan genannt. Die nächsten 2 Jahre lebte Han Shan, nur mit Strohmatte und Moskitonetz als Grundausstattung, allein und isoliert auf einer unbewohnten Insel im riesigen Nong Han See, im Nordosten Thailands. Die zwei Jahre waren eine große Herausforderung für ihn. Er war Bettelmönch und musste jeden Tag von seiner Insel aufs Festland fahren, um für seinen täglichen Nahrungsbedarf zu betteln.
Doch der durch den Unfall Geläuterte meisterte die Zeit problemlos. Etwas ganz anderes als das Betteln und die Widrigkeiten des einsamen, einfachen Lebens stellte eine Herausforderung für ihn dar. Auch wenn er sich befreit fühlte von seinen alten Fesseln in Form von Verpflichtungen und Verantwortung, so merkte er doch bald, dass da etwas war, das ihn trotz der äußeren Freiheit innerlich nicht frei sein ließ.
Er erkannte, dass das, was ihm sein Verstand als Freiheit vorgespielt hatte, keine wirkliche Freiheit war. »Gerade mal die Art der Abhängigkeit hatte sich geändert: Jetzt war ich statt von Kunden, Angestellten und Zulieferern abhängig vom Wetter, dem ich ausgesetzt war, den Essensspenden der Bevölkerung, der Tauglichkeit des Bootes, das mich jeden Tag ans Ufer brachte, und statt dem ständigen Termindruck gab es Moskitos, die mich stachen, und Ameisen, die bissen«, erzählt der heute 62-Jährige. Etwas in ihm blieb gefangen in sich selbst. Seine Gedanken hatten das Thema gewechselt, aber sie plagten ihn immer noch – genau wie die Insekten. Er begriff, was Meditation wirklich bezweckt: uns befreien von einem Plagegeist, der uns fester im Griff hat, als wir glauben.
Materielles Loslassen war leicht gewesen im Vergleich zum mentalen Loslassen.
Heute ist Han Shan ein Meister, der Buddhas Wege ausgiebig studiert hat. Er hat sich jahrelang der Meditation gewidmet und auch eigene Wege gefunden, Achtsamkeit und Mitgefühl in seinem Leben zur Alltäglichkeit werden zu lassen – Wege, die ihm als Europäer die Übung im inneren Stillsein erleichterten. Inzwischen gibt er sein Wissen als Lehrer und Autor weiter. In seinem neusten Buch »Achtsamkeit – die höchste Form des Selbstmanagements« beschreibt er praxisnah den Weg zu einem Leben, das zu innerem Frieden führt.
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Han Shan sieht in der Art, wie wir unseren Verstand verwenden, das größte Hindernis auf dem Weg zu einem erfüllten Dasein. Er erkennt durchaus die Leistungen an, derer unser Verstand fähig ist, aber er weiß auch, dass unseren alltäglichen Denkprozessen Strukturen zugrunde liegen, die wenig innerliche Genugtuung schenken können; denn es sind tatsächlich die Gedanken, die uns unglücklich machen, und nicht die Geschehnisse in unserem Leben selbst. Erst unsere Interpretation derselben wertet sie als positiv oder negativ. Ein großer Teil unserer Denkprozesse beschäftigt sich z.B. mit Vorstellungen, wie etwas Bevorstehendes aussehen oder vonstatten gehen wird. Wünsche, Erwartungen und Illusionen begleiten diesen Prozess. Wir machen dies aus dem Bedürfnis nach Sicherheit heraus, wollen stets auf alles gefasst sein und die Kontrolle darüber haben. Aber Illusionen entsprechen selten der Realität. So werden wir immer wieder desillusioniert und es entsteht Leid.
Durch Achtsamkeit den Gedanken entkommen
Ein weiterer Minuspunkt des Verstandes ist, dass sein inneres Gerede hauptsächlich das Ego in den Mittelpunkt stellt, jenen Teil also, der immer etwas Besonderes sein will. So stellt der Verstand gerne Vergleiche an, urteilt und kommentiert, um das Ich hervorzuheben oder es zumindest zu rechtfertigen. Häufig sind die Kommentare negativ gefärbt. Das liegt daran, dass unser Verstand wie ein Computer-Prozessor operiert, der lediglich bereits Vorhandenes verarbeiten kann. Alle Schöpfungen des Verstandes sind lediglich ein Spiegel dessen, was auf unserer »Festplatte«, unserem Gedächtnis, vorhanden ist. Und auf dieser befinden sich unsere Konditionierungen und Glaubenssätze. Die ältesten Konditionierungen, aus der Zeit des Heranwachsens, scheinen dabei die stärkste Wirkung zu haben und uns gleichzeitig am wenigsten bewusst zu sein. Kinder sind nun einmal leichter prägbar, da ihr Geist noch gewissermaßen »leer« ist.
14.09. Hamburg / 17.09. Hannover
18.09. Münster / 19.09. Köln
20.09. Traben-Trarbach
21.09. Frankfurt / 24.09. Karlsruhe
25.09. Nürnberg / 26.09. Leipzig
27.09. Berlin / 28.09. Augsburg
Workshop: »Kraft der Achtsamkeit«
15./16.09. Hamburg
22./23.09. Frankfurt
29./30.09. Augsburg
So fabriziert unser »Mind« auch heute noch eine Wirklichkeit, die auf längst vergessenen Prämissen beruht. Und aufgrund des Konditionierungseffekts besteht das Gerede in unserem Kopf aus unendlichen Wiederholungen. Ein regelrechter Sog kann entstehen, wenn einmal eine bestimmte Gedankenkette in Aktion versetzt wird. Automatisch verfallen wir dann in ein bestimmtes Verhalten und merken kaum, dass wir abschweifen und uns wieder in einer alten Gedankenschleife befinden. Derartige Gedanken zu verdrängen oder ins Positive umzuwandeln hat dabei wenig Zweck, denn die Grundenergie des Affekts bleibt vorhanden und will sich ausdrücken. Das beste Gegenmittel ist Achtsamkeit. Achtsamkeit verhindert, dass wir vom automatischen Ablauf der mentalen Prozesse fortgetragen werden. Und da die aufkommenden Gedanken auch bestimmte Emotionen freisetzen, können wir durch Achtsamkeit nicht nur unsere Denkgewohnheiten, sondern auch unser Verhalten ändern. Es eröffnen sich ganz neue Möglichkeiten, mit uns selbst und anderen umzugehen. Unser ungenutztes Potenzial wird wieder verfügbar, wenn wir mittels Achtsamkeit nicht mehr ins Spiel der automatischen Reaktionen einsteigen.
Vipassana-Meditation
Master Han Shan wandte während seiner Zeit als Mönch eine Mediationstechnik an, die aus den Lehren Buddhas bekannt ist. Buddha beobachtete in seinen Versenkungen alles, was in seinem Körper und seinem Geist auftauchte, ohne es zu kommentieren oder zu beurteilen. Sobald ein Vorgang im Körper oder im Geist auftauchte, richtete er die Aufmerksamkeit darauf. Auf dieser Grundlage schuf Buddha die sogenannte »Vipassana-Meditation«, um sich des wahren Wesens der Dinge bewusst zu werden.
Han Shan wandte die Methode an und wurde ebenfalls zum neutralen Beobachter seiner selbst. Er entwickelte die Methode zudem weiter, indem er mit der Technik des Benennens arbeitete – etwas, das – wie er später merkte – auch andere Vipassana-Schulen machen. Tauchten Gedanken auf, machte Han Shan jedes Mal eine mentale Notiz: »Denken, denken, denken«. Tauchten Gefühle auf, sagte er sich: »Fühlen, fühlen, fühlen«. Nur Sinneswahrnehmungen adressierte er direkt. Im Lauf seiner späteren Tätigkeit als Meditationslehrer machte er die Erfahrung, dass diese Methode, die er »Insight Mind Focusing« nennt, den Menschen einen schnellen Zugang zur Achtsamkeit ermöglicht.
Bei der Insight Mind Focusing Methode wechseln sich Konzentration und Achtsamkeit ab. Dies hat den Vorteil, dass eine Ermüdung, die bei der Achtsamkeitsübung auftreten kann, verhindert wird. Hier wird z.B. der Körper innerlich »gescannt«, der Atem beobachtend begleitet oder am Morgen die Grundstimmung im Innern ermittelt. Dann folgt die Phase, in der die mentalen Notizen zu auftauchenden Gedanken und Gefühlen oder Sinneswahrnehmungen gemacht werden.
Achtsamkeit ähnelt dem Licht einer Laterne, die uns den Weg weist
Wendet man Achtsamkeit auch im alltäglichen Leben an, so ergeben sich ganz neue Möglichkeiten, sein Selbst zu managen, erklärt Master Han Shan. Man wird weniger anfällig für emotionale Ausbrüche, für Vergesslichkeit und Enttäuschung. Ist man bei jeder Handlung geistig voll bewusst, so entstehen Klarheit und Zufriedenheit. Lenkt man die Achtsamkeit auf die einzelnen Schritte eines Weges, und zwar immer nur auf den gegenwärtigen Schritt, erreicht man sein Ziel viel müheloser, als wenn man ständig sehnsüchtig – oder sorgenvoll – in die Ferne schaut. Diese Art des Seins erfüllt von innen her und verleiht Sinn – Sinn im einfach Da-Sein. »Achtsamkeit in unserem Leben öffnet eine Welt voller Staunen und Verbundenheit mit anderen Wesen. Wer achtsam ist, versteht sich selbst und erlangt universelles Verständnis. Er schafft Glück und Frieden in sich und trägt es in unsere Welt«, schreibt Han Shan.
Nach den Jahren als Bettelmönch in der Einsiedelei lebte Han Shan weitere zwei Jahre in einem der vielen Waldtempel in der Nähe, um auch die traditionellen buddhistischen Gebräuche und Zeremonien in Thailand zu studieren. 1999 zog er auf ein großes Waldgelände und widmete sich seinem neuen Lebenstraum – dem Aufbau des Nava Disa Metaphysic Retreat Center. Master Han Shan hat die thailändische Mönchskutte abgelegt, um sein Wissen auch anderen interessierten Menschen in Europa leichter zugänglich zu machen. Ansonsten hat sich nicht viel in seinem Leben geändert. Auch heute lebt er ein äußerst schlichtes Leben, oft findet man ihn in seiner kleinen Waldhütte – allein mit sich und der Natur.
Achtsamkeit – Die höchste Form des Selbst-managements
256 Seiten, € 18,95
ISBN: 978-3-941837-75-1
Trinity Verlag
Eine DVD und Chanting-CD von Han Shan erscheinen in Kürze.