»Suche nicht – sei!« lautet der Titel des neuen Buches von Bestsellerautor Werner Ablass. In diesem Werk räumt er aus der Perspektive einer gelebten Nondualität mit weit verbreiteten Vorurteilen in Sachen »Erleuchtung« und »spirituelle Suche« auf, wie z.B. mit der Vorstellung, Erleuchtung bedeute gleichsam permanente Glückseligkeit. Wir wollten von ihm wissen, was genau es mit dem Verlust des Ich und der Nondualität auf sich hat.
newsage: Im Jahr 2004 erfuhren Sie das, was andere »Erleuchtung« nennen. Was genau war geschehen und wie wirkt es nach?
Werner Ablass: Die abenteuerliche Vorstellung, ich sei ein real existierender Denker, Entscheider und Täter, wurde als nützliche Illusion durchschaut und daraufhin in meinem Körper-Geist-System deaktiviert. Und blieb seitdem deaktiviert. Da fiel eine gewaltige Last von meinen Schultern. Das Leben ist seitdem wesentlich leichter. Übrigens auch dann, wenn es schwer ist …
Können Sie den Zustand der Nondualität näher beschreiben? Was bedeutet er im Alltag? Ist er mit Glückseligkeit, innerer Stille oder besonderen Formen der Wahrnehmung verbunden?
Der beste Begriff, der mir dazu heute einfällt ist »innere Stabilität«. Zu Beginn bezeichnete ich diesen Zustand wie mein »letzter Guru« Ramesh Balsekar als »inneren Frieden«. Ich dementiere das nicht. Jedoch wird der Begriff häufig mit einem Gefühl assoziiert. Der natürliche Zustand – wie ich ihn nenne – hat jedoch überhaupt nichts mit Gefühlen zu tun. Gefühle kommen und gehen. Der natürliche Zustand ist keinem Wechsel unterworfen. Er ist jenseits aller Gefühle. Und in meiner Wahrnehmung irreversibel. Oder eben – stabil. Da wirft einen nichts mehr um. Selbst dann nicht, wenn man stolpert und hinfällt.
Noch mal konkret: Wie unterscheidet sich Ihr Leben und Erleben im Wesentlichen sonst von dem des Otto-Normalverbrauchers? Oder von Ihrem Erleben in der Zeit vor 2004?
Ich werde von meinen Nachbarn bezüglich meines Verhaltens sicher nicht als ein besonderer Mensch wahrgenommen und bin es auch in meiner eigenen Wahrnehmung nicht. Innendrin hat sich jedoch jede Menge verändert. Wie bereits erwähnt, bin ich nicht mehr auf »gute Gefühle« fixiert, wie das vor 2004 der Fall war. Vor meiner Nase hängt keine Mohrrübe mehr, die Glücklichsein oder Erleuchtung oder Transformation oder gar Perfektion heißt und der ich eifrig nachjagen müsste. Schuldgefühle kenne ich gar nicht mehr. Eine vorwurfsvolle Haltung gegenüber unangenehmen oder unverschämten Zeitgenossen einzunehmen funktioniert selbst dann nicht, wenn es mir angemessen erscheint. Schlicht deshalb, weil mir bewusst ist, dass niemand etwas tut, bzw. dass jeder nur gemäß seinem genetischen und konditionierten Programm funktioniert. Und mit hypothetischer Angst vor der Zukunft habe ich auch nichts mehr am Hut. Gewaltige Lasten, die die meisten Menschen täglich mit sich herumtragen, wurden mir abgenommen.
Dann gibt es noch die medial-virtuelle »Realität«: Hat Fernsehen einen Platz in Ihrem Leben? Schauen Sie Nachrichten oder lesen Sie Zeitung? Bilden Sie sich eine Meinung zum aktuellen politischen Geschehen? Nutzen Sie ein Smartphone? All diese Dinge spielen ja heutzutage im gewöhnlichen Alltag oft eine große Rolle …
Ich lehne nichts von alldem, was Sie aufzählen, ab. Und es hat auch einen gewissen Raum in meinem Alltag. Aber all diese Dinge sind in meiner Wahrnehmung wie die Schrift auf einem Blatt Papier. Oder wie die Geschichte, die man darauf schreibt. Ich aber bin in meiner Wahrnehmung das weiße Blatt Papier. Und das wird durch die Schrift, egal ob sie schön oder hässlich ist, nie beschädigt. Schaue ich mir beispielsweise einmal einen Politik-Talk im TV an, kann ich keinen der geäußerten Standpunkte gänzlich ablehnen oder annehmen. In meiner Wahrnehmung ist das Leben ein Spiel und wie es jeweils gespielt wird, ist nur scheinbar unter der Kontrolle der Agierenden bzw. Reagierenden. Mir erscheint das Leben wie ein Märchen oder ein Traum, der sich selbst träumt. Ohne jemanden, der es inszeniert. Wird ein Choreograph erfunden, sehen wir doch, was dabei herauskommt. Rigide Typen wie Joseph Ratzinger oder Ali Khamenei. Doch selbst diese Figuren werden gespielt und haben von daher ihre Existenzberechtigung.
Was ist mit dem Bewusstsein des Eins-Seins, von dem in spirituellen Kreisen so viel gesprochen wird? Fühlen Sie sich eins mit Gott und der Welt und dem All?
Einheit oder Eins-Sein hat in meiner Wahrnehmung überhaupt keine Bedeutung. Wozu auch? Ich betrachte jedes Lebewesen als unverwechselbaren Ausdruck der einen und einzigen unpersönlichen Quelle. Selbst wenn ich mit jemandem nicht eins bin und eins sein kann, gerade weil jedes Lebewesen ein Unikat ist. Ich bin nicht einmal eins mit Gott. Übrigens: Würde ich das behaupten, dürfte ich mich mitnichten Lehrer der Nondualität nennen, weil ich überhaupt nicht verstanden hätte, was nonduales Bewusstsein bedeutet. Ich bin Gott in Menschengestalt. Gott im Fleisch. Gott verkörpert. Doch das trifft nicht nur auf mich zu. Oder auf besondere Menschen wie Jesus, sondern selbst auf ein grunzendes Schwein oder ein gackerndes Huhn.
Welche Vorteile bietet ein solcher Bewusstseinszustand dann überhaupt? Lohnt es sich wirklich, nach ihm zu streben?
Nonduales Bewusstsein ist ein Luxus. Ein Luxusgut kann das Leben erleichtern, es verleiht ihm womöglich einen besondebesonderen Glanz. Niemand braucht es jedoch, um zu überleben. Nicht einmal, um friedlich zu sterben. Das könnte man auch mit dem festen Glauben an ein jenseitiges Wesen, das uns in den Himmel aufnimmt. Oder mit dem Todesmut, der so manchem Atheisten eigen ist. Wenn Sie aber, wie es bei mir der Fall war, ein vitales Verlangen nach der absoluten Wahrheit in sich tragen, haben Sie gar keine andere Wahl, als nach ihr zu streben. Ich käme niemals auf die verwegene Idee, Menschen nonduales Bewusstsein wie eine Ware verkaufen zu wollen. Oder gar zu missionieren. Nonduales Bewusstsein ist kein Massenprodukt und wird niemals eines werden. Ich kann daher nur denen dienen, die sich für diesen Dienst öffnen. Ihnen stehe ich allerdings gern zur Verfügung.
Was ist mit dem Streben nach Glück? Was halten Sie ganz allgemein davon und wie sieht es bei Ihnen persönlich aus? Steht »Glück« – in welcher Form auch immer – im Zustand der Nondualität überhaupt noch zur Debatte?
Wie schon erwähnt, überhaupt nicht. Wobei mir bewusst ist, dass dies schwer vorstellbar und zumindest verbal überhaupt nicht vermittelbar ist. Mir fällt es sogar schwer, auf die allgemein übliche Frage: »Wie geht’s dir?«, zu antworten. In meiner Wahrnehmung ist es schlicht sekundär, wie es mir gerade geht.
Und was ist mit der Liebe? Empfinden Sie da anders als zuvor? Ich frage auch im Bezug auf Ihren Bestseller von 2003 mit dem Titel »Leide nicht – liebe« …
»Liebe die Liebe« ist ein Konzept, das im besten Fall zu der Erkenntnis führen kann, dass Liebe die Essenz allen Seins ist. Man liebt, egal was man denkt, egal was man tut. Bis man die Übung nicht mehr benötigt. Sie wird überflüssig. Wie eine Diät, mit der man sein Idealgewicht erreicht hat. Oder eine Fahrkarte, nachdem man sein Reiseziel erreicht hat.
Viele Menschen glauben grundsätzlich, bestimmte Lehren oder traditionelle Praktiken würden sie zur Erleuchtung führen. Was halten Sie selbst von Lehren oder Methoden?
Es sind spirituelle Spiele. Nicht mehr. Man kann sie freilich spielen und wird sie spielen müssen, solange man erwartet, sie könnten zur Erleuchtung führen. Ich habe das immerhin nahezu 40 Jahre lang getan. Und diese Spiele hatten wirklich einen phänomenalen Effekt. Sie führten alle in die Sackgasse und daher zum Scheitern. Etwas Besseres konnte mir gar nicht passieren.
Wenn Lehren und Konzepte uns nicht weiterbringen, wie gelangen wir dann ans Ende unserer Suche? Raten Sie den Menschen, ihre Suche oder ihr Streben einfach aufzugeben? Oder muss man das Glück haben, auf einen Meister wie Ramesh Balsekar zu treffen?
Die Suche aufzugeben ist völlig unmöglich, solange ein Suchender existiert. Scheinbar existiert. Denn genau der ist Illusion oder eine Fata Morgana. Wird das erkannt, ist die Suche vorbei. Denn Suche funktioniert nur mit einem Suchenden. Daher empfehle ich Suchern, nach dem Sucher zu suchen bzw. zu überprüfen, ob es ihn überhaupt gibt. Diese Überprüfung ist übrigens der Fokus in meinen Seminaren, die ich »Luxus-Tage« nenne.
Wie kommt man überhaupt aus dem Zustand der Nondualität heraus dazu, ein Buch über dieselbe zu schreiben oder Seminare zu veranstalten? Was motivierte Sie dazu im Speziellen und was motiviert Sie im Allgemeinen, seit das Suchen und Streben beendet ist?
Da ist niemand, der Bücher schreibt, Interviews gibt, Luxus-Tage veranstaltet oder Einzelcoaching anbietet. Es wäre theoretisch zweifellos möglich gewesen, nach der Deaktivierung der Ich-Illusion darüber zu schweigen und meinen damaligen Job als Managementtrainer weiter zu verfolgen. Aber das Feuer der absoluten Wahrheit war schlicht nicht zu löschen. Es hat nicht nur mein illusionäres Ich verbrannt, es brannte weiter und fraß dermaßen um sich, dass ich de facto unfähig wurde, für einen anderen Dienst zur Verfügung zu stehen. Und das scheint kein Ende zu nehmen. Wobei man natürlich nie weiß, was die Zukunft bringt. Ich muss jedoch nicht mehr wissen, was auf mich zukommt. Ich bin. Das genügt.
Suche nicht – sei!
100 Seiten, € 9,50
ISBN 978-3-930243-64-8
Omega Verlag