Buddhismus in der neuen Zeit

Buddhismus für »The Next Generation«

Nicht nur die ansteigende Zahl der Kirchenaustritte zeigt es: Für viele Menschen ist die traditionelle Religion der Elterngeneration kein zeitgemäßes Modell mehr. Der Alltag wird zunehmend komplex, die Gesellschaft, zumindest die westliche, wird stetig liberaler. Da finden in den Kirchen viele Menschen keine befriedigenden Antworten mehr.

Buddhismus in der neuen Zeit

Zwischen Lady Gaga und Hornbrillen ohne Stärke wirken Beichtstühle und Ministranten, in lange Gewänder gehüllt, eher wie ein Anachronismus. Die klassisch christliche Spiritualität hat für viele ausgedient. Dennoch will heute niemand mehr bezweifeln, dass Leib und Seele eine Einheit bilden. Der gesunde Mensch zeichnet sich also nicht nur durch vollwertige Mahlzeiten und ein angemessenes Work-out aus. Ein gesunder Geist gehört ebenso dazu und will gepflegt werden. Noch viel mehr: Spiritualität kann für ihn auch ein deutliches Bedürfnis sein.

Zunehmend etablieren sich also neue Formen der Spiritualität. Sie sind vielseitig und das Spektrum reicht von fernöstlichen Traditionen wie dem Buddhismus über diverse New-Age-Strömungen bis hin zu Schamanenkult und Scientology. Die Bandbreite ist groß und die Akzeptanz alternativer Glaubensrichtungen schon längst im Establishment angekommen. Vorbei sind die Zeiten, in denen Yoga und Meditation der Zeitvertreib einer exotischen Subkultur waren. Gerade der Buddhismus mit dem Dalai Lama als anerkannter Galionsfigur ist weit davon entfernt, neospirituellen Hype zu erzeugen. Der Reiz des Neuen stützt die buddhistische Mystik nicht mehr, seit Tante Gisela auch eine Einführung in die Meditationspraxis im Bücherregal stehen hat.

Die neue buddhistische Meditationspraxis

»Das hier ist nicht das Meditationsbuch deiner Großmutter. Es ist deins!«, sagt Lodro Rinzler. Und er meint mit dieser Aussage seine neue Einführung in die buddhistische Meditationspraxis. Auch dessen Titel: »Triffst du Buddha an der Bar, gib ihm einen aus«, lässt keinen Zweifel daran. Schließlich läuft man seinen geschätzten Verwandten nicht allzu häufig bei einer gepflegten Kneipentour über den Weg.

Die Bar ist auch nicht das einzige Symbol für den Typ Lebenswandel, dem Rinzlers neuer, buddhistischer Ansatz gerecht werden will. Was die meisten spirituellen Konzepte an der Generation junger Menschen scheitern lässt, sind ihre Verbote und ihr antiquiertes Erscheinungsbild. Ein Turnus von fünf Gebeten täglich passt ebenso wenig zum Coffee-to-go-Lifestyle wie frühmorgendliche Messetermine an Sonntagen. Von der vorehelichen Enthaltsamkeit mal ganz abgesehen. Der junge Mensch von heute will sich nicht für seine Art zu leben entschuldigen müssen. Spiritualität sollte nicht mit der Lebensart in Konflikt stehen, sie sollte sich vielmehr damit verbinden lassen oder besser noch, der fehlende Baustein zum vollkommenen Glück sein.

Lodro Rinzler ist 29 Jahre alt und lebt in New York; er weiß also, wie dieses moderne Leben aussieht und welche Ansprüche an moderne Spiritualität herangetragen werden. Er selbst ist Lehrer der Shambala-Tradition und mit dem Meditieren groß geworden. Dass Buddhismus nicht nur für Leute geeignet ist, die von Natur aus introvertiert sind oder keinen Gefallen an materiellen Gütern finden, ist ihm ein besonderes Anliegen. »Ich gehe davon aus, dass du ab und zu gerne mal ein Bier trinkst, Spaß am Sex hast, dass dir klar geworden ist, dass deine Eltern verrückt sind, oder dich deine Arbeit manchmal frustriert.« Und das alles will er uns auch nicht »aberziehen«. Denn der Buddhismus ist nicht irgendeine Superreligion, die puritanischer wäre als alle anderen religiösen Traditionen. Es gibt hier, genau wie in anderen Glaubensrichtungen, ein paar Buddhisten, die sich z.B. für ein Leben in Abstinenz entscheiden, und andere, die das nicht tun.

Spiritualität in der Moderne

newsage 1/2013
Chakraheilung. Das Titelthema der newsage-Ausgabe 1/2013 dreht sich rund um die Frage: »Wie können wir Spiritualität authentisch im Alltag leben?«
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Spiritualität authentisch leben

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Rinzlers Ansatz zielt auf eine Veränderung der Sichtweise, statt auf eine Veränderung der Welt. Der Weg, den er dafür einschlägt, führt aber dennoch über das traditionelle Meditationskissen. Denn Meditation ist das Werkzeug zur Selbstreflexion. Durch sie lernt man, Dinge wahrzunehmen, bevor der Geist sie mit Hoffnungen und Ängsten einfärbt. Diese Freiheit der Gedanken lockert starre Vorstellungen, wie Dinge sein sollten, und öffnet uns die Sicht auf das breite Feld an Möglichkeiten, das unsere Wahrnehmung bietet. Und was sich bis hierher schon ganz ansprechend anhört, verlangt von uns nicht einmal, unser buntes Leben aufzugeben. Es führt uns vielmehr in die Mitte des Lebens. Aussortiert werden lediglich die Aspekte, die uns unglücklich machen.

Nehmen wir beispielsweise das Bier. Es ist an sich weder gut noch schlecht. Um ein paar seiner Freunde zum Quatschen in der Kneipe zu treffen oder mit dem Arbeitskollegen ein abgeschlossenes Projekt zu begießen, ist das Bier sogar ein ganz guter Anlass. Wenn allerdings die Freundin Schluss gemacht hat oder das Arbeitsprojekt eine mittlere Katastrophe geworden ist, kann Bier eine schlechte Option sein, denn dann ist der Grund für das Trinken, etwas vergessen zu wollen. Im Bier versuchen wir, unseren Frust zu ertränken und müssen dann spätestens im nächsten nüchternen Moment feststellen, dass er Schwimmflügel an- hatte. Es lässt sich absehen, dass Bier in so einem Fall nur als kurzfristiges Trostpflaster herhalten kann. Wieder klar im Kopf, hat sich die Situation nämlich nicht gebessert; wenn sie sich nicht sogar verschlechtert hat, weil man beispielsweise in seiner alkoholischen Euphorie den Ex-Partner auch noch angerufen und vollgetextet hat.

Deshalb lautet die Devise, alle Entscheidungen der Frage zu unterziehen, ob sie langfristig Glück oder Leid fördern.

Meditation in Mundart

»Nimm dich erst mal zusammen!«, lautet die erste Handlungsanweisung Lodro Rinzlers. Von ihr ausgehend führt »der Buddha an der Bar« humorvoll durch die buddhistische Tradition und gibt generationsgerechte Meditationsanweisungen in Mundart. So werden die drei Durchgangsstadien bis zum Meditations-Profi weitestgehend unkonventionell betitelt. Bei der Praxis angekommen, fragt man sich während der ersten Versuche im Schneidersitz: »Wo kommen bloß all diese Gedanken her?« Dabei ist die Shamatha-Meditation vom Prinzip her relativ simpel. Auch die Bedeutung des Namens, nämlich »ruhig verweilend«, verspricht, eher angenehm entspannend zu sein.

Konkret geht es darum sich mit dem Körper zu verbinden und den Geist auf den eigenen Atem auszurichten. Dafür nimmt man an einem ruhigen, angenehmen Ort eine aufrechte Sitzposition ein. Der Atem dient als Anker, der uns genau in diesem Augenblick hält, in der gegenwärtigen Erfahrung. So weit so gut. Doch scheinbar plötzlich stürzen nun Bäche von To-do-Listen auf uns ein, mit Dingen, die wir nach der Meditation unbedingt erledigen wollen. Dabei ist die Aufgabe doch, einfach nicht zu denken. Aber »einfach« ist leichter gesagt als getan.

Obwohl man ja schon in Gedanken das Outfit für den Abend zusammenstellen kann, die Chefin verteufeln, weil sie einem Überstunden aufgebrummt hat, oder den Stromanbieterwechsel und die Kostenersparnis kalkulieren kann, ist innehalten scheinbar unmöglich. Am liebsten würde man einfach aufspringen und zumindest das Nötigste notieren. Wenn solche Gedanken aufkommen, sind wir angewiesen, sie wahrzunehmen und sie weder als gut noch als schlecht zu bewerten. Wir sollen dann unsere Aufmerksamkeit wieder dem körperlichen Gefühl des Atmens zuwenden. Wenn es uns hilft, können wir im Geiste sogar »Denken« zu uns selbst sagen, um wahrzunehmen, dass wir gerade zwar nicht etwas verboten Schlimmes tun, aber einfach wieder zum Atem zurückkehren können.

Nicht verzweifeln, durchhalten!

Während der ersten Versuche, bei der Meditation ruhig zu verweilen, kommt oft Frustration auf. Langsam, aber sicher ist man davon überzeugt, die eigenen Gedanken seien so endlos wie die Kette unnützer Casting-Shows im Fernsehen. Dass andere damit Erfolg haben, mag ja sein, aber man selbst steht unter Verdacht, das erste Exemplar der menschlichen Gattung zu sein, das gegen Meditation immun ist – nach all den Jahrtausenden buddhistischer Tradition.

Dabei ist einer der schönsten Aspekte in dieser Religion, dass Buddha nicht wie eine Gottheit verehrt wird. Eigentlich war er ein ganz gewöhnlicher Mensch namens Siddhartha, womöglich war er sogar nur ein Otto-Normalbürger oder ein Mauerblümchen. Was ihn aber zum Begründer einer der größten Glaubenstraditionen der Welt machte, war eine Super-Maxi-Sparmenü-Portion Disziplin und Sanftmut in seiner Meditationspraxis. Auch er durchwatete die zähe Phase der scheinbar endlosen Gedankenstürme, bis er über die Phase »Dieses Zeug bringt mir ja tatsächlich was« endlich die »Meditation ist wie Crack«-Stufe erreichte. Und das können auch wir, verspricht das etwas andere Meditations-Konzept Rinzlers.

Nach dem sein Blog »What would Sid (Siddhartha) do?« in der Huffington Post bereits Kultstatus erreicht hat, steht Rinzlers »Buddha an der Bar« den Sinnsuchenden seit diesem Herbst als umfassende Lifestyle-Lebensberatung zur Seite. Beispiele aus dem Alltag machen dieses Konzept in dem Maße praktisch und lebensnah, wie ihm Beispiele aus Hollywood-Produktionen jede Staubschicht von Tradition nehmen. Dadurch werden die verschiedenen Übungen nicht zu einem quengelnden Punkt auf unserer To-do-Liste. Stattdessen verlassen wir das Hamsterrad unseres Alltagstrotts und tauschen die »Welt als Schlachtfeld« gegen einen fruchtbaren Boden zum Üben von Wachsamkeit und Offenherzigkeit ein. Und wenn du Buddha an der Bar triffst, sei versichert, dies ist ein guter Anlass, ein Bier zu trinken, und gib ihm einen aus!

Lodro Rinzler
Die Suche nach Spiritualität ist ein weit verbreitetes Phänomen, das alle Gesellschaftsschichten und Altersstufen einschließt. Jedoch lassen sich lediglich wenige Ansätze mit dem Lifestyle der jüngeren Generation in Einklang bringen. Wo auf einen Afterwork-Drink und wild durchtanzte Nächte nicht verzichtet werden will, ist es von Vorteil, seinen Mentor an der Bar zu treffen. Das verkündet jedenfalls der Pop-Buddhist Lodro Rinzler mit seinem Appell:
»Triffst du Buddha an der Bar, gib ihm einen aus!«

Buch-TIPP
Lodro Rinzler
Triffst du Buddha an der Bar
234 Min., € 19,99
ISBN: 978-3-86266-042-1
Kamphausen