Der Physiker Hans-Peter Dürr gilt als einer der bedeutendsten Brückenbauer zwischen Natur- und Geisteswissenschaft. Als langjähriger Wegbegleiter Werner Heisenbergs und Direktor des Heisenberg-Instituts ist er wie kaum jemand anderes qualifiziert, Grenzen zu überschreiten und scheinbare Abgründe zu überbrücken und vermag Buddhisten die Quantenphysik sowie Quantenphysikern den Buddhismus nahezubringen. In dem gerade neu erschienen Buch »Es gibt keine Materie!« sprach er mit dem Verleger Peter Michel über seine Erkenntnisse. Hier ein Auszug aus dem spannenden Gespräch:
Newsage: Die Beziehung von Geist und Materie steht im Mittelpunkt Ihrer aktuellen Arbeiten. Sie sprechen z. B. davon, dass »Materie nicht aus Materie zusammengesetzt« oder »Stoff geronnene Form« ist. Das erinnert mich an eine Formulierung von David Bohm, der einmal gesagt hat, »Materie ist gefrorener Geist«. Interessant in diesem Zusammenhang ist auch, dass der bedeutendste Kirchenvater der Antike, Origenes, das Wort »Psyché« vom griechischen psychesthai (erkalten) ableitet. Das »klare Licht des Geistes« wäre sozusagen die warme, lebendige Form des Seins, während die menschliche Psyche, die erkaltete Materie, eine Verfestigung oder Verkrustung darstellte. Eine Lebensform, die in eine »weniger lebendige« Existenz hinabgesunken wäre.
Hans-Peter Dürr: Für mich ähnelt das Ganze einem Gleichnis. Was auch damit im Zusammenhang steht, dass die meisten Menschen unter Materie das verstehen, was wir »Festkörper« nennen würden. Wenn man sagt, Wasser oder Dampf seien auch Materie, dann verknüpft man nicht die gleichen Vorstellungen damit. Materie ist etwas Massives, an dem ich anstoßen kann. Wobei wir wissen, dass dies in Wirklichkeit eine Illusion ist. Das alles hat mit elektrischer Abstoßung zu tun. Die »Materie« befindet sich ja nur im Atomkern, der zehntausend Mal kleiner ist als das, was ich beim »Anstoßen« spüre. Das sind eigentlich nur die Elektronen, die ich ein wenig von ihrer Bahn ablenke. Gewicht hat etwas mit Materie zu tun; das ist aber etwas anderes als das, woran ich mich stoße. Kälte, Energie und andere Dinge spielen eine Rolle. Es ist nicht ganz einfach, die richtigen Worte zu finden. Auch Bohm verwendet meines Erachtens noch die »alte« Sprache.
Heisenberg hat mir einmal die Geschichte von Schrödinger und seinen »Wellengleichungen« erzählt. Schrödinger hielt in München einen Vortrag, und alle waren ganz begeistert. Das ist ja wunderbar, wir haben überhaupt kein Problem zwischen Welle und Teilchen! Nach Schrödinger ist es ganz einfach:
Das, was wir ein Teilchen nennen, ist eine Überlagerung von Wellen, die zu einer lokalen Schwingung führt, einem »Wellenpaket«, wie zum Beispiel dem Krach. Der Krach ist nur ein Ton, der ganz kurz schwingt. Er ähnelt lokalisierten Ereignissen. Ein reiner Ton ist immer unendlich ausgedehnt. Wenn ich schneller spiele auf einer Geige, dann benötige ich immer höhere Frequenzen, die den Eindruck der Verschiedenheit erwecken, bis ich irgendwann den Ton verliere.
Heisenberg hat dann darauf hingewiesen, dass mit diesen Aussagen die Quantenphysik keinesfalls abgelöst sei. Er sprach dann über seine mathematischen Überlegungen und inwiefern er auf Resultate gestoßen sei, die denen von Planck ähnelten.
Heisenberg war mit der mathematischen Erklärung als Matrix-Mechanik nicht zufrieden, sondern wollte wissen, was dieses »dynamisch« bedeutet. Gespräche mit seinen Kollegen führten zu einer überraschenden Erklärung, dass nämlich an die Stelle einer Zahl die Vorstellung eines Prozesses treten müsse. Er sagte: »Jetzt haben die den Eindruck, es sei die große Erfindung, dass sie in der Mathematik etwas entdeckt haben, was bedeutet, dass wir jetzt eine Matrix und nicht mehr einfach ein Zahl haben. Dort, wo vorher eine Zahl war.« Dazu kam dann noch ein Gespräch, ich glaube es war mit Pauli, in dem die Rede darauf kam, es gebe kein Zahl mehr, sondern nur noch den »Prozess«. Beim Prozess weiß man, etwa wenn sich zwei Männer duellieren, dass es eine große Rolle spielt, ob erst A schießt und dann B oder erst B und dann A. Das war die große Revolution, dass das »Ding« verschwand und zum »Prozess« wurde. Die Materie, im Sinne von einer greifbaren Substanz, war nicht mehr vorhanden.
Newsage: In diesem »Prozess«, wie spielt da die Vorstellung eines »gefrorenen Geistes« hinein? Ist er das Endergebnis oder ein Teil des Prozesses?
Hans-Peter Dürr: Für den Physiker ist das eine Analogie. Man kann diese Idee natürlich auf den Big Bang übersetzen. Da gab es den »heißesten Zustand« des Universums, dann gab es noch heiße Zustände, die Sonnen, und wenn man nur lange genug wartet, dann kühlt sich alles ab, bis sich nichts mehr bewegt und alles dieselbe Temperatur hat – das Universum endet im Wärmetod.
In diesem Stadium kann man den Eindruck gewinnen, als ob das kreative Element nicht mehr vorhanden sei. Wie bei einem Pendel, das, wenn es an den Punkt angelangt ist, wo seine Energie verbraucht ist, bewegungslos herunter hängt. Wenn die Energie verloren geht, kühlt sich alles ab.
Dieses Bild vom Abkühlen oder Zusammenziehen würde ich eher mit Ordnung und Unordnung verbinden. Der ungeordnete Schreibtisch befindet sich in einem Zustand höchster Unordnung. Auch wenn ich eine Stunde darauf herumwühle, wird er nicht ordentlicher. Wir nennen das den »Thermodynamischen Grundzustand«. Die Unordnung ist maximal, sie kann nicht in eine Ordnung übergehen. Manche werfen hier ein, der Zustand könne sich verbessern, wenn ich ihm mehr Energie zuführe; aber eigentlich nimmt die Unordnung nicht ab.
Newsage: Er ist schon faszinierend, dass moderne Physiker und frühchristliche Mystiker ähnliche Bilder wählen, um die bestehende »Unordnung« zu charakterisieren. Der eine nennt es einen »kosmischen Sündenfall«, der andere das »Ergebnis einer quantenphysikalischen Untersuchung«. Zwei völlig verschiedene Herangehensweisen, die aber zu einer sehr ähnlichen Begrifflichkeit führen. Gibt es da nicht inhaltliche Berührungspunkte oder wäre das eine rein intellektuelle Konstruktion?
Hans-Peter Dürr: Doch, das sehe ich schon. Ich benötige nicht einmal die Quantenphysik, wenn ich sehe, dass ich kreativer und lebendiger bin, wenn ich voller Energie stecke.
Newsage: Könnten wir an diesem Punkt für Energie nicht »Geist« sagen?
Hans-Peter Dürr: Ja. In diesem Fall würde ich zustimmen. Diese Energie, die geordnete Energie, verfügt über LEBEN und LIEBE. Die andere, ungeordnete verharrt einfach in einem stillen, warmen Zustand.
Newsage: Hier stoßen wir also an das Bindeglied, wenn ich es so ausdrücken darf, zwischen Geist und Energie.
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Hans-Peter Dürr: Was die wenigsten Menschen wissen, ist, welche Beziehung wir zur Sonne haben. Sie sagen, wir benötigen die Sonnenenergie, damit wir auf der Erde leben können. Das ist im Grunde nicht ganz korrekt. Die ganze auf die Erde eingestrahlte Sonnenenergie muss wieder entsorgt werden in den Weltraum, sonst würden wir allmählich flüssig und gasförmig werden und die Erde sich auflösen. Was wir eigentlich von der Sonnenenergie aufnehmen, das ist nur der geordnete Teil, der über eine Richtung verfügt. Mit anderen Worten ausgedrückt: Die Energie, welche uns die Sonne zusendet, die ist geordneter als jene, die ungeordnet wieder in den Weltraum, in den schwarzen Himmel zurückgesandt wird. Das Ganze kompensiert sich wieder. Die Ordnungsfähigkeit, die Syntropie (die Negentropie), die Energie als Ganzes bleibt auf der Erde zurück und ermöglich eine wachsende Entfaltung des Lebendigen.
Newsage: Das ist ein spannender Gedanke, wenn man es vor dem Hintergrund der mystischen Tradition betrachtet. Dort ist die Rede vom »Solaren Logos«, der als Ordnungskraft sein ganzes System durchwirkt und am Leben erhält!
Hans-Peter Dürr: In der Tat! Und im Hinblick auf diese Ordnungsstruktur könnte man erwähnen, wie sinnlos das Gejammer über die Energie-Frage ist. Die geordnete Energie der Sonne ist 8000-mal mehr, als wir umsetzen können. Entscheidend ist nur, ihre Ordnung möglichst zu bewahren. Wir dürfen nicht vom Geordneten zum Ungeordneten schreiten. Es geht nicht um die willkürliche Nutzung von Energie, sondern es geht um die AUSRICHTUNG.
Ich greife noch einmal auf mein Beispiel mit dem Kartenspiel zurück. Ich warte natürlich nicht, bis die Natur die Karten gemischt hat, bis also der Stapel gleichsam vom Wind verteilt worden ist. Stattdessen nehme ich die Karten in die ordnende Hand – füge also Energie (Syntropie) hinzu –, mische, verteile sie und bringe sie so in eine höhere Ordnung.
Wenn ich einen Artikel auf dem Computer geschrieben habe, dann stellt das eine eigenständige kreative Leistung dar. Wenn ich jetzt hinginge und sagte, ich schreibe jetzt einen zweiten Artikel in gleicher Länge mit ebenso vielen Buchstaben, damit der Energieverbrauch gleich bleibt, dann ist dieser Ansatz natürlich Unfug. Entscheidend sind die Differenzierung und das Moment von Kreativität.
Wichtig erscheint mir auch, festzuhalten, dass eine höhere Ordnung in der Regel das Ergebnis einer Kooperation darstellt. Dieser seltsame »Überlebens-Darwinismus«, wonach der Stärkste die Goldmedaille bekommt, ist meines Erachtens eine gänzlich unsinnige Konzeption. Es geht nicht um den Wettbewerb der Ansätze, sondern um die Kreativität der Kooperation. Eine höhere Qualität entsteht nicht dadurch, dass zwei andere in Konkurrenz treten, sondern indem sie zusammenarbeiten. Es ist wie mit den zwei Beinen –nur durch ihr harmonisches Zusammenspiel erfüllen sie ihre Funktion.
Gleichfalls gilt es hervorzuheben, dass jede neue Ordnungsstruktur wieder in sich eine Instabilität trägt. Das zeichnet alles Lebendige aus! Die Karten in einem Kartenhaus müssen sich gegenseitig stützen, dann bekommt das Kartenhaus genügend Stabilität, um auf ihm eine neue Ebene zu errichten.
Newsage: Völlige Stabilität wäre also eine Abtötung des Lebendigen, weil gerade im Instabilen die Dynamik des Kreativen verortet ist?
Hans-Peter Dürr: Richtig. Deshalb ist selbst das Kartenspiel noch kein ideales Beispiel. Besser wäre das Bild von der Menschenpyramide im Zirkus. In ihr müssen alle zusammenhalten, müssen sich gegenseitig ausgleichen und stützen, damit am Schluss einer auf die Spitze der Pyramide zu klettern vermag.
Die Entwicklung des Lebendigen ist etwas sehr Fragiles und Filigranes. Wenn man unvorsichtig daran reißt, droht die Gefahr, das Ganze zum Einsturz zu bringen. Die Pyramide wird gewissermaßen von einer Lawine bedroht. Um diese Lawine auszulösen, genügt es, wenn eine Person leichtfertig den Fuß an eine falsche Stelle setzt. Die Menschheit müsste daher wieder lernen, achtsam und aufmerksam zu werden. Wir sind so sehr von Lärm umgeben, dass die feinen Töne überhört werden. Das drücken die tibetischen Buddhisten so treffend mit dem Satz aus: »Ein fallender Baum macht mehr Krach als ein wachsender Wald.«
Der »wachsende Wald« ist das Symbol für das durch Kreativität erzeugte LEBEN. Die Störung an sich trägt nichts zur Weiterentwicklung bei; aber sie rüttelt möglicherweise auf und zeigt an, wo die Weiterentwicklung gerade behindert wird. Ein Impuls löst einen anderen aus. Entscheidend ist die Balance.
Meine chinesischen Freunde sprechen in diesem Zusammenhang von Yin und Yang. Yang löst die Veränderung aus. Yang ist die Masern-Erkrankung eines Kindes, die dazu führt, in ihm ein stärkeres Immunsystem aufzubauen. Yin ist dann diese neue Stufe. Yin und Yang müssen stets ins Gleichgewicht gebracht werden, um am nächsten Niveau, an der nächsten Ebene arbeiten zu können.
Es gibt keine Materie! Revolutionäre Gedanken über Physik und Mystik
104 Seiten, € 9,95
ISBN 978-3-86191-028-2
Crotona Verlag
dann sind wir wieder bei meister schopenhauer.
„wille und vorstellung“