Die Geburt gehört für jeden Menschen zu den prägendsten Ereignissen im Leben. Nie werden wir verletzlicher und ahnungsloser sein. Nie wird der Übergang in ein neues Leben uns stärker beeindrucken – außer vielleicht im Tod. Psychologen wissen, dass die Geburtserfahrung den Charakter eines Menschen grundlegend prägt. Aus dem Grund sind Therapieformen entstanden, die Geburtstraumata aufzulösen versuchen. Das »Rebirthing« des Psychiaters Stanislav Grof ist z.B. eine solche Methode. Mittels des sogenannten holotropen Atmens kann der Betroffene bis zu Ereignissen, die vor seinem bewussten Dasein – ja sogar vor seiner Geburt – stattfanden, zurückgehen, um sie wiederzuerleben und loszulassen.
Gebärt eine Frau neues Leben, so schwingen die Erfahrungen der eigenen Geburt immer mit. Es ist daher ein lohnenswerter Ansatz, sich mit der eigenen Geburt auseinanderzusetzen, bevor man selbst Mutter wird. Dann wird es der werdenden Mutter leichtfallen, sich auf allen Ebenen auf ihr Kind zu freuen, es bewusst willkommen zu heißen und auch vor der Geburt mit ihm innerlich in Kontakt zu treten. Bereits bei der Empfängnis wird der erste Grundstein der Verbundenheit zwischen dem Kind und seiner Mutter bzw. den Eltern gelegt. Um ihrem Nachwuchs energetisch viel Kraft und Harmonie mit auf den Weg geben, ist es am besten, wenn Eltern die gemeinsamen Stunden dafür ganz bewusst und positiv auf das neue Leben gerichtet verbringen.
Auch die Zeit der Schwangerschaft ist prägend. Wissenschaftler haben deutlich gemacht, dass das heranwachsende Baby im Mutterleib viel mehr mitbekommt als gemeinhin angenommen. Einer der am frühesten ausgeprägtesten Sinne des Babys ist das Hören. Der Herzschlag und die Stimme der Mutter sind sozusagen Urklänge für das Kind. Dabei nimmt es durchaus die mitschwingenden Stimmungen und Gefühle der Mutter wahr. Über das Ohr wird anfangs das gesamte Körpergefühl gesteuert: Bewegung, Haltung und Spannung sowie Grob- und Feinmotorik, denn im Ohr befindet sich u.a. das Gleichgewichtsorgan, dass beim »Schweben« im Fruchtwasser am meisten gefordert ist.
Die neuen Mütter
Der Trend bei werdenden Müttern geht vielfach dahin, dass der Weg zu einer harmonischen Geburt bewusst gestaltet wird. Althergebrachte Konzepte werden hinterfragt oder auch ganz verworfen. Angefangen bei der Entscheidung zwischen Krankenhaus, Geburtshaus oder Heimgeburt bis hin zu der Wahl einer Geburt im Wasser, mit Selbsthypnose-Techniken oder in ganz anderen Positionen als der bekannten Liegeposition auf dem Rücken – es wird nach natürlichen und für alle Beteiligten angenehmeren Wegen des Gebärens gesucht. Auch die Zeit direkt nach der Geburt wird von bewussten Müttern neu wahrgenommen. Dabei kommen Themen wie Stillen und windelfreie Säuglingspflege, Körperkontakt, Kommunikation und die richtige Ernährung auf.
Nadine Wenger ist eine dieser modernen Frauen, die sich gegen eine rein auf medizinische Aspekte ausgelegte und unpersönliche Art der Geburt in einem Krankenhaus entschieden hat. Die inzwischen vierfache Mutter widmete sich den Geburten ihrer Kinder auf solch intensive und kompromisslose Weise, dass sie mit der Zeit zur Expertin in alternativen Geburtsmethoden geworden ist. In ihrem Buch »Natürliche Wege zum Babyglück« beschreibt sie ihren Weg von der ersten Geburt im Geburtshaus bis hin zur selbstbestimmten Alleingeburt – ohne jegliche Begleitung – ihrer letzten beiden Kinder. Die Schweizerin macht werdenden Müttern Mut, ihren Fähigkeiten und Empfindungen zu vertrauen und andere Wege als die bekannten zu gehen. Auf spirituelle als auch auf ganz praktische und kreative Weise hält sie eine Unmenge an Ratschlägen und Ideen für werdende Mütter bereit, die sich selbst und ihrem Baby eine der schönsten Zeiten des Lebens schenken wollen.
Hausgeburt und Hebamme
In Holland werden viele Babys zu Hause geboren, bei uns wird diese alte Tradition erst wieder neu entdeckt. Die Vorteile einer Hausgeburt liegen in der Vertrautheit der Umgebung und der eigenen Freiheit während der Geburt. Statt medizinischer Untersuchungen direkt nach der Geburt steht der Kontakt mit dem Neugeborenen an erster Stelle. Der Gedanke an eine Hausgeburt mag besonders zum ersten Mal Schwangere nicht überzeugen. Doch die Erfahrung zeigt, dass eine gewohnte Umgebung die Entspannung der Mutter enorm fördert, was vielleicht mehr wert ist, als sämtliche Sicherheitsvorkehrungen bereits im Voraus getroffen zu haben. Entgegen der landläufigen Meinung ist sogar auch bei Beckenlage des Kindes eine natürliche Geburt zu Hause möglich. Jasmin Salazar Velez, Hypnobirthing-Kursleiterin, gibt dazu in einem Interview mit Nadine Wenger einen Bericht.
»Jedes neugeborene Kind bringt die Botschaft, dass Gott sein Vertrauen in die Menschheit noch nicht verloren hat.« – Rabindranath Tagore
Während der Schwangerschaft ist es kein absolutes Muss, regelmäßig zum Arzt zu gehen. Schwangere können sich auch von einer Hebamme begleiten lassen. Diese kann alle nötigen Vorsorgeuntersuchungen durchführen. Bei der Wahl einer Hebamme rät Wenger, diese Hilfe ganz bewusst aufgrund von Sympathie zu wählen. Man hat festgestellt, dass der Adrenalinspiegel gebärender Frauen in der Gegenwart einer Hebamme, welche als angenehm und mütterlich wahrgenommen wird, dazu neigt, niedrig zu bleiben.
Nadine Wenger würde heute nur noch eine Hausgeburt in Betracht ziehen. »Die Wahrscheinlichkeit einer schönen, natürlichen Geburt ist damit am höchsten«, sagt sie und erzählt, dass sie sich – aus Unwissenheit in vielen Belangen – bei ihrem ersten Kind noch nicht getraut habe und bereue, dass sie es im Geburtshaus bekommen habe. Schmerzen und Komplikationen, die diese Geburt begleiteten, schienen ihr vermeidbare Begleiterscheinungen der Geburt, so dass sie sich die nächsten Male für Haus- und Alleingeburten entschied. »Ich war schwanger und nicht krank, deshalb wollte ich die Würde und die natürliche weibliche Macht der Schwangerschaft nicht im nächsten Wartezimmer eines Arztes abgeben und in die Rolle der Patientin schlüpfen«, schreibt sie.
Bei der zweiten Schwangerschaft besuchte sie lediglich zweimal eine Hebamme zum Gespräch, bei dem die Herztöne mit dem Holzrohr abgehört und der Bauch abgetastet wurde. Bei der dritten Schwangerschaft verzichtete sie sogar gänzlich auf Besuche bei Hebamme oder Arzt. Bei auftretenden Wehwehchen griff sie zu natürlichen Mitteln. Sie empfiehlt, den eigenen Körper und das Baby bewusst und aufmerksam wahrzunehmen und die feinen Signale zu beachten, bevor sich stärkere Symptome bemerkbar machen.
Ärztliche Untersuchungen
Nach ihrer ersten Geburt begann Nadine Wenger, die üblichen Vorsorgeuntersuchungen beim Arzt zu hinterfragen. Dabei erwiesen sich z.B. Ultraschall als auch die Kardiotokografie (CTG = Prüfung der Herzschlagfrequenz des ungeborenen Kindes und der Wehentätigkeit der Mutter) als wenig zuverlässig. »Es ist schwierig, korrekte Aussagen zu machen, und die Wahrscheinlichkeit fehlerhafter Interpretationen ist hoch. Daraus resultierende weitere Untersuchungen wie Fruchtwasserpunktion (Amniozentese) oder weitere geburtsmedizinische Eingriffe während der Geburt stellen sogar zusätzliche Gefahren dar«, lautet ihr Fazit. Auch die Periduralanästhesie (PDA), das aktive Wehenmanagement mit künstlicher Einleitung für eine Geburt, ist in den seltensten Fällen nötig und kann unerfreuliche Nebenwirkungen haben. Der pharmakologische Eingriff während der Geburt verhindert zudem, dass im Körper der Frau die Freisetzung des »Wohlfühl-Hormons« Oxytocin stattfindet, welches die Schmerztoleranz der Mutter stark erhöht.
Viel wichtiger als ein ständiges Überwachen der Schwangerschaft ist, sich auf das heranwachsende Wesen einzulassen und sich an die neue Rolle als Mutter zu gewöhnen. Der eigenen Kreativität sind dabei keine Grenzen gesetzt. Allein das positive gedankliche Beschäftigen mit dem Baby bejaht die Schwangerschaft. Hier kann man durch das Aufschreiben oder eine anderweitig künstlerische Umsetzung der eigenen Gefühle, Gedanken und Wünsche Momente zaubern, die der Verbindung zum Baby gewidmet sind. Tanz, Yoga, Tai Chi und Qi Gong während der Schwangerschaft begünstigen ebenfalls eine Verbindung zum eigenen Körper und dem darin heranwachsenden Leben. Während der ruhigen Übungen kann man bestens das Bonding (die Bindung) stärken. Durch Yoga u. Ä. wird der Gleichgewichtssinn des Babys stimuliert, Mutter und Kind profitieren von der tiefen Atmung und dem erhöhten Energiefluss. Besonders eine Atemschulung kann die spätere Geburt und das Schmerzmanagement enorm erleichtern.
Entspannte Geburt
Eine natürliche bewusste Geburt konzentriert sich mehr auf das bewusste Loslassen. Nicht Pressen oder Drücken, sondern das ganz bewusste langsame Ausatmen steht im Vordergrund. Mit einer solchen Atmung ist es möglich, die Wehen als pure Energie und nicht mehr als schmerzhaft wahrzunehmen. Das Baby wird während der Geburt sanft »heruntergeatmet«, wie Nadine Wenger es beschreibt. Die bewusste Atemtechnik wirkt wie eine natürliche Schmerzlinderung und ist eines der wichtigsten Hilfsmittel, um in den Entspannungszustand zu gelangen, so die Autorin.
Hypnobirthing® ist eine Methode nach Marie Morgan, welche Schwangere mithilfe von positiven Affirmationen, Visualisierungen, Atem- und Entspannungstechniken auf eine sanfte und natürliche Geburt vorbereitet. Hierbei werden Autosuggestionen angewandt, die helfen, Ängste loszulassen und sich dem Geburtsgeschehen hinzugeben. Durch die tiefe Entspannung empfindet die Gebärende weniger Schmerz. Weitere Tipps, die den Geburtsvorgang erleichtern sind z.B. Tönen (Chanten) und Mantras. Mantras bringen den Geist zur Ruhe, das Tönen wiederum beruhigt und reguliert die Atmung. »Schreit die Gebärende in einem Zustand der Verspannung, hält sie damit den Schmerz im Körper fest und verstärkt ihn«, so Wenger. »Gib alle Widerstände in dir auf, sag Ja zu dem Prozess, zu der Kraft dieser Wellen, zur intensiven Arbeit deines Körpers und zur Geburt eures Babys«, rät die Expertin. Auch eine Wassergeburt, z.B. in einem Geburtspool, wird vielfach als angenehm empfunden. Das warme Wasser entspannt und lindert den Druck im Rücken- und Bauchbereich. Eine Meeresgeburt – gar mit Delfinen – ist eine weitere Option, die Mütter inzwischen gerne wählen.
Lotusgeburt
Die Lotusgeburt ist keine spezielle Geburtsform, sondern betrifft den Abnabelungsprozess. Hierbei wird die Nabelschnur nicht sofort durchtrennt, sondern das Baby bleibt mit der Plazenta, die ihn die ganze Zeit der Geburt hindurch ernährt hat, verbunden. Kurz nach der Geburt wird die Plazenta vom Körper der Mutter abgestoßen, und drei bis fünf Tage nach der Geburt löst sich dann die Nabelschnur des Babys von der Plazenta. Die sofortige Abtrennung der Nabelschnur – ein Ritual, das in patriarchalen Lebensstrukturen entstanden sein soll – beeinträchtigt die sensible Phase direkt nach der Geburt, in der das Urvertrauen des Babys und die Mutter-Kind-Beziehung sich festigen.
Bereits die Pharaonen veranstalteten einen speziellen Plazentakult. Bei vielen indigenen Völkern wird die Plazenta als der energetische »Zwilling« des Kindes angesehen und daher mit besonderer Achtsamkeit behandelt. Der Begriff »Lotusgeburt« stammt von der Hellseherin Clair Lotus Day. Diese sah, dass die Aura des Kindes und die der Plazenta eins waren und sich erst nach der natürlichen Abnabelung von der Plazenta trennten. Die Plazenta stellte für sie ein Potenzial-Reservoir dar, das einer Lotosblume gleicht.
Das Kind ist da
Für die Zeit im Wochenbett stehen neue Entscheidungen an. Co-Sleeping oder Wiege? Windeln oder keine Windeln? Fläschchen oder Stillen? Und wenn Stillen, wie lang? Der direkte Hautkontakt und eine größtmögliche Natürlichkeit sind für viele Mütter vorrangig. Zum Beispiel Stillen: Der Körper erholt sich langsam von der Geburt und die nötigen Hormone für das Stillen werden automatisch freigesetzt. Künstliche Säuglingsnahrung zu geben wird vielfach als nachteilig angesehen, weil diese Nahrung lediglich Magenfüller ohne die Leben spendende Energie der Muttermilch darstellt. Muttermilch enthält wichtige Immunstoffe, die das Baby gesund halten. Außerdem bietet das Stillen Nähe, Geborgenheit, Trost, Einschlafhilfe, begünstigt die Rückbildung der Gebärmutter und ist dazu noch umweltschonend.
Die Bemühung, die Bedürfnisse des Babys verstehen zu lernen, ist im weiteren Zusammenleben mit dem Neugeborenen ganz zentral, denn häufig gibt das Kind wichtige Signale, die wir beachten sollten. Die Kommunikation, das achtsame Erspüren und Beobachten der Körpersprache des Neugeborenen sind überaus wichtig. Vieles ergibt sich auch aus dem Sich-Hineinversetzen in eine bestimmte Situation. Und vieles Weitere ist zum Glück auch in unserem Instinkt angelegt und in unserem Herzen fühlbar, so dass man immer den besten Weg für sich und das Neugeborene finden wird.
Natürliche Wege zum Babyglück
384 Seiten, € 39,90
ISBN: 978-3-89060-611-8
Verlag Neue Erde