Seit der Vegetarismus in unserer Gesellschaft als Ernährungsvariante akzeptiert ist, folgt nun der Veganismus mit großen Schritten, um ebenfalls ein anerkannter Teil des Alltags zu werden. Immer mehr Menschen verzichten auf Tierisches in der Nahrung, um einen ethischen und ökologischen Kontrapunkt zu setzen.
Die tägliche Nahrungsaufnahme ist allerdings mehr als nur eine Wahl der Zutaten. Psychologische und soziale Komponenten bereiten Andersdenkenden hier häufig stärkeren Gegenwind als vermutet.
Bei den Müttern spüren sie es meist zuerst: Hier finden sich viele Veganer in der Rolle des Kämpfers und Verteidigers von etwas wieder, um das man eigentlich kein so großes Aufhebens machen müsste. Schließlich geht es lediglich um Beweggründe, die jedem einleuchten können: weniger Leid bei Nutztieren, die Schonung der Umwelt und ein Mehr an Wohlbefinden. Doch Essen ist eben mehr als nur die Wahl der Zutaten. Essen ist ein kulturell geprägtes Ritual, das den Zusammenhalt einer Gesellschaft ausmacht. Und unsere Mütter sind diejenigen, die uns mit diesem Teil der Kultur vertraut machen. Daher verteidigen sie ihren Bereich, wenn ihre Kinder mit Kritik oder gar Verweigerung reagieren.
Ein weiterer Grund für die Brisanz des Themas Ernährung liegt auch darin, dass essen noch eine psychologische Komponente beinhaltet. Es hat mit Versorgt-sein, Gemocht- und Geliebtwerden zu tun. Die Mutter gibt in diesem Bereich die materialisierte Essenz ihrer Erfahrung, ihrer Liebe weiter. Psychische Unstimmigkeiten zwischen Mutter und Kind zeigen sich daher nicht selten in »Übertragungsproblemen« dieser Essenz, was zu Differenzen und in letzter Instanz zu Gewichtsproblemen und Essstörungen führen kann.
Interessant wird es, wenn die nächste Generation nun so weit fortschreitet, dass sie selbst in die Rollen von Mutter und Vater rutscht. In einer Gesellschaft, in der gerade mal der Vegetarismus mit Ach und Krach akzeptiert wurde, haben junge Mütter und Väter, die sich vegan ernähren, noch einiges an Pionierarbeit zu leisten. Einerseits wollen sie ihre Kinder in einer tier- und umweltfreundlichen Gesinnung erziehen, andererseits sollten sie sie zu selbstbewussten Mitgliedern der Gesellschaft machen. Und zu guter Letzt will eine Mutter ihre Kinder immer glücklich sehen, wenn sie ihnen das für eine Mutter Typischste bereitet: die Nahrung.
Damit solche Mütter nicht schier an den vielen Ansprüchen, denen sie gerecht werden wollen, verzweifeln, ist es gut, wenn sie sich mit Gleichgesinnten zusammenschließen und austauschen – wenn sie erfahren, dass es anderen ähnlich geht. Die Mutter und Journalistin Jumana Mattukat hat dies und noch mehr gemacht: Sie hat ein Buch über ihre Erfahrungen als seit Kurzem vegan lebende Mutter geschrieben. Ihre Geschichte ist besonders interessant, da in ihrer Familie alle Varianten von »Essern« leben: zwei gelegentliche Fleischesser (ihr Mann und ihr Sohn), eine Vegetarierin (ihre Tochter) und Jumana als Veganerin. Ausführlich und offen beschreibt sie ihre ersten unsicheren Schritte von einer vegetarischen zur veganen Lebensweise. Die Schwierigkeiten und Widerstände, auf die sie stößt, sind bei dieser Umstellung ungleich größer als bei ihrem Schritt zum Vegetarismus.
Es ist möglich!
Doch Jumana Mattukat zeigt, dass es möglich ist, alle Gesinnungen und Geschmäcker unter einen Hut zu bringen und mit Toleranz und Liebe Unterschiede mit einzubeziehen, statt auszugrenzen. Vielleicht liegt es auch daran, dass Jumana multikulturelle Wurzeln hat. Ihr Vater ist Libanese – und im Libanon, so die Journalistin, ähnele die Esskultur sowieso stark einer veganen Ernährung. Mütterlicherseits hat sie jedoch eine ganz übliche deutsche Sozialisierung erfahren, bei der die Ernährung auch Fleisch beinhaltete.
Jumana empfand bereits als Kind großes Mitgefühl für Tiere. Und so war es ihr irgendwann klar, dass sie vegetarisch leben wollte – besonders, nachdem sie immer mehr Hintergründe zur Tierhaltung und -verwertung kannte. Sie wollte sich bewusst und im Einklang mit der Natur ernähren. Und inzwischen hat sie auch eine spirituelle Ebene in ihrer Art zu leben entdeckt. Auch der Arzt und Buchautor Ruediger Dahlke, der das Vorwort zu Jumana Mattukats Buch »Mami, ist das vegan?« verfasst hat, sieht in der veganen Lebensweise nicht nur eine ethischere Art, sich zu ernähren, er erkennt darin ebenfalls das spirituelle Bestreben, die Prämisse des Mitgefühls für alle lebenden Wesen, wie sie besonders im Buddhismus zu finden ist, in die Praxis umzusetzen.
Die gravierenden Nachteile, die die Tierhaltung und -verwertung aufweisen, liegen vor allem in der Massenhaltung begründet. Über die Jahrhunderte hinweg hat sich ein System entwickelt, dass immer stärker optimiert wurde, um möglichst viele Menschen zu ernähren. Es war vorrangig, genug für alle bereitzustellen. Doch die negativen Folgen der Massenproduktion sind inzwischen so eklatant, dass ein Umdenken zwingend notwendig ist. Neben der Umweltbelastung durch Monokultur und die »chemische Keule« sind auch die Verhältnisse, unter denen Tiere gehalten werden, immer grausamer geworden.
Unsere Gesellschaft lässt Nutztieren viel zu wenig Platz, viel zu wenig Zeit und viel zu wenig Abwechslung in ihrem viel zu kurzen Leben. Die Folgen des Einpferchens sind Verletzungen der Tiere durch sich selbst oder Artgenossen, so dass ihnen Schnäbel, Schwänze und Hörner im Voraus entfernt werden. Die Optimierung der Zeiträume, in denen die Produkte der Tiere wie Eier und Milch »produziert« werden, hat dazu geführt, dass Kälber kurz nach der Geburt von ihrer Mutter getrennt werden oder männliche Küken so überflüssig geworden sind, dass sie getötet und zu anderweitigem Futter verwertet werden. Die konventionelle Haltung räumt Tieren so wenig Lebensqualität ein, dass sie häufig krank werden und dann starke Medikamente wie Antibiotika verabreicht bekommen – oder gar notgeschlachtet werden müssen, wenn sich ein Krankheitserreger als zu hartnäckig erweist.
Tierhaltung ist nicht zufriedenstellend
Auch die Verhältnisse in der ökologischen Tierhaltung sind nicht unbedingt zufriedenstellend. Zwar erhalten die Tiere etwas größere Ställe und müssen pro Tag eine bestimmte Zeit Freilauf haben, die Unterschiede bei den Voraussetzungen der verschiedenen Biosiegel sind hier jedoch sehr unterschiedlich. Die höchsten Standards stellt der Demeter-Verband auf. Nutztiere haben hier noch die besten Lebensverhältnisse. Doch nicht jeder kann die teuren Demeter-Produkte bezahlen. So wird ein ganz grundlegendes Problem unserer Nahrungsmittelherstellung deutlich: Die Marktwirtschaft hat Lebensmittel derart verbilligt, dass ein halbwegs ethisch und moralisch vertretbar hergestelltes Produkt kaum noch erschwinglich ist.
Zu den Nachteilen des Verzehrs tierischer Produkte zählt, dass diese immer mehr im Verdacht stehen, unsere Gesundheit zu beeinträchtigen. Mit der »China Study« wurde 2011 der Zusammenhang zwischen tierischem Eiweiß und chronischen Erkrankungen bestätigt. Die Empfehlungen der amerikanischen Ärztekommission PCRM weist ebenfalls auf Zusammenhänge zwischen tierischem Protein und westlichen Zivilisationskrankheiten wie Herzerkrankungen, Diabetes und Krebs hin. Die Lebensmittelindustrie macht uns indessen weiterhin glauben, Kinder seien ohne Milch und Fleisch nicht großzuziehen. Doch genauso wie inzwischen etliche Vegetarier gesund und munter ihr Leben bestreiten, gibt es auch keine Indizien dafür, dass eine vegane Ernährung mehr Mängel hervorrufen würde als andere Ernährungsweisen. Lediglich Vitamin B12 sollten Veganer hin und wieder zuführen.
Das vegane Ernährungsangebot ist inzwischen äußerst variationsreich. Es gibt so viele Alternativen für Fleisch und Milchprodukte, dass es tatsächlich allein schon deswegen spannend ist, sich mit der derzeit trendigen Ernährungsform zu beschäftigen. Eine Tasse Kaffee lässt sich auch bestens mit Sojamilch genießen und man kann sie sogar aufschäumen, mit Reismilch können Milchreis, Grießbrei, Pudding und andere Süßspeisen zubereitet werden, im Müsli ist Mandel- oder Hafermilch lecker, und sogar Joghurt gibt es auf Sojabasis. Backen ohne Eier ist ebenfalls kein Problem. Eier lassen sich entweder durch Sojamehl oder Backpulver plus Öl oder Leinsamen plus Wasser ersetzen – je nachdem, ob das Ei im Rezept zur Lockerung oder zur Bindung gedacht ist. Rührei, Hackfleisch, Würstchen – alles lässt sich mit Tofu und anderen Produkten auf Pflanzenbasis nachahmen.
Jeder wie er will!
In diesem Zusammenhang kommt immer wieder die Frage nach dem Geschmack auf. Veganer bestätigen, dass sich der eigene Geschmack mit der Zeit verändert. Auf Tofu oder Weizen basierende Ersatzprodukte sind nicht nur sehr bald selbstverständlich, sie schmecken auch genauso gut wie die herkömmlichen Produkte, die sie ersetzen sollen. Es sei eben alles eine Frage der Bereitschaft, so Mattukat. Wenn man die Sojamilch im Kaffee mögen will, erleichtert dies verständlicherweise eine Umstellung. Die Realität zeigt allerdings, dass die große Masse noch eine Vielzahl an Einwänden zur veganen Ernährung hat. Auch nicht alle Mitglieder von Jumanas Familie werden im beschriebenen Zeitraum zu Veganern. Manchmal zweifelt die Mutter an ihrer Lebensweise, an der Vermittlung derselben. »Wenn ich es nicht mal schaffe, meine Familie mit meinem Vorbild zu überzeugen, und nur ich alleine komplett auf Tierisches verzichte, hilft das wirklich nur einem einzigen Kälbchen?«, schreibt sie.
Als sie im Ausland gemeinsam Urlaub machen, gibt es mehr als eine heikle Diskussion um das Essen. Immer wieder geraten sich der Verstand und die Lust auf Genuss in die Quere. So bemerkt Mattukat, als sie die Nutella-Ausnahme für ihre Kinder macht: »Es macht Freude, ihnen beim Essen zuzuschauen. Gleichzeitig würde es mir sehr viel mehr Freude bereiten, wenn sie denselben Genuss bei gesünderem Essen an den Tag legten.« Immer wieder fragt sie sich, wie viel sie den Kindern von den Hintergründen der Nutztierhaltung erzählen soll. Doch am Ende findet sie einen Weg, ihr Wissen nicht zu kämpferisch einzusetzen, sondern so, dass die Harmonie am Esstisch erhalten bleibt. »Ich kann die Frage, ob Kämpfen der richtige Weg ist, nicht endgültig beantworten. Ich denke, dass jeder Mensch seine eigenen Erfahrungen machen muss und wir nichts verändern, wenn wir nicht auf die nötige Bereitschaft unseres Gegenübers stoßen, über etwas nachzudenken«, ist ihr Fazit.
Jumana wurde am 10.10.1973 in Saarburg geboren. Sie hat die Schule mit dem Abitur abgeschlossen und studierte an der Uni München Journalistik und Medienwissenschaften. Sie ist als freie Journalistin, Buchautorin, Moderatorin und Produzentin für den WDR und urbiaTV tätig. Jumana Mattukat ist Mutter zweier Kinder.
Mami, ist das vegan?
160 Seiten, € 16,95
ISBN: 978-3-89901-718-2
Verlag J. Kamphausen