Meditation beruhigt_Buddhismus

Achtsamkeit

Das Thema Achtsamkeit erlangt immer größere Bedeutung, da unser Alltag mehr und mehr zur Ablenkung einlädt und sich dabei stark beschleunigt hat. Im Zuge der sich ausweitenden Technisierung gewöhnen wir uns an das Tempo von Maschinen und merken nur langsam, dass es kaum mit unserem eigenen Rhythmus harmoniert. Inmitten dieses Treibens innere Oasen der Ruhe zu schaffen wird für unsere seelische Gesundheit immer wichtiger.
Meditation beruhigt_BuddhismusImmer häufiger erhält man auch in den Mainstream-Medien Ratschläge für eine achtsame Grundhaltung im Alltag, um besser mit Stress umzugehen. Am Universitätsklinikum Freiburg gibt es sogar die »Abteilung für psychosomatische Medizin und Psychotherapie«, in der achtsamkeitsbasierte Modelle in alltäglichen Situationen untersucht werden. Die Wissenschaftler gehen hierbei von der Methode »Mindfulness Based Stress Reduction/MBSR« aus, eine Richtung, die der Molekularbiologe Jon Kabat-Zinn begründet hat. MBSR steht für das Praktizieren eines nichtwertenden, offenen Gewahrseins, das zu Gelassenheit und Stressreduktion führt. Das achtsamkeitsbasierte Verfahren ist im Bereich der wissenschaftlichen Medizin hinsichtlich seiner Wirksamkeit inzwischen empirisch gut fundiert.

Während im westlichen Kulturkreis Achtsamkeit besonders mit verschiedenen Psychotherapiemethoden in Verbindung gebracht wird, Sigmund Freud z.B. die »kritiklose Selbstbeobachtung« zu Therapiezwecken verwendete, haben Autoren und spirituelle Lehrer wie Thich Nhat Hanh oder Zen-Experten wie Daisetz Teitaro Suzuki und Alan Watts das Thema ausführlich für die westliche Welt aufbereitet. Ursprünglich stammt die Praxis der Achtsamkeit aus der östlichen Welt, wo sie schon seit Menschen Gedenken zum Einsatz kommt und eine lange Tradition bildet. Es wird davon ausgegangen, dass sie der buddhistischen Lehre entspringt, in der mittels der Meditationspraxis die Achtsamkeit als eine grundlegende Fähigkeit erlernt wird.

Achtsamkeit hat allerdings nichts mit Konzentration zu tun, sondern unterscheidet sich ausdrücklich davon. Während man bei der Konzentration aufmerksam seinen Fokus auf etwas Bestimmtes richtet und anderes ausblendet, wird bei der Achtsamkeit der Fokus der Aufmerksamkeit nicht eingegrenzt, sondern vielmehr weit gestellt. Man versucht, ein Gesamtbild des Wahrgenommenen zu erhalten, das in einer umfassenden, klaren und wachen Offenheit für die gesamte Fülle der Wahrnehmung besteht.

Buddhistische Wurzeln

Auch in den Lehrreden des Buddha findet sich das Thema Achtsamkeit. So sind beispielsweise »Über die Achtsamkeit beim Atmen« im Anapanasati-Sutra und »Über die Grundlagen der Achtsamkeit« im Satipatthana-Sutra bzw. Mahsatipatthna- Sutra überliefert. Die »vier Grundlagen der Achtsamkeit« bilden dabei: die Achtsamkeit auf den Körper, auf die Gefühle, auf den Geist und auf die Geistesobjekte. Achtsamkeit ist das »7. Glied des Edlen Achtfachen Pfades« und die dritte Fähigkeit der »Fünf Fähigkeiten«: Vertrauen, Energie/Willenskraft, Achtsamkeit, Sammlung, Weisheit.

Die Achtsamkeitsmeditation wird im Buddhismus als Vipassana bezeichnet. Vipassana, was auf Pali »Einsicht« bedeutet, bezeichnet das Erkennen der drei Daseinsmerkmale »Unbeständigkeit« (anicca), »Leiden« (dukkha) und »Nicht- Selbst« (anatta). Der Übungsweg zur Entfaltung dieser Erkenntnis wird mittels der Vipassana-Meditation begangen. Um im Leben die Befreiung des Nirwana zu erlangen, müssen »Nicht-Sehen« (avijja) und »Verblendung« (kilesa) überwunden werden, die das Leiden sowie die Illusion von einem Ich und von Beständigkeit erzeugen.

Die Vipassana-Praxis hat inzwischen in der ganzen Welt Anklang gefunden, so dass sie mittlerweile zu den meistgelehrten und -gelernten Meditationsformen weltweit gehört. Ein Deutscher, der die Vipassana-Praxis von Grund auf erlernt hat, ist Matthias Dhammavaro Jordan. 12 Jahre lang lebte er als buddhistischer Mönch in Asien und gehörte der Theravada Waldtradition an, eine der ältesten noch existierenden buddhistischen Lehr-Traditionen. Nachdem Jordan 2001 wieder in seine Heimat zurückkehrte, widmete er sich ganz dem »Seelenheil« seiner Mitmenschen: Er wurde Psychotherapeut, Hospizhelfer und Lehrer für Achtsamkeitsmeditation.

Matthias Dhammavaro Jordan, Buchautor

Anhaftung

Ihm zufolge ist der Grund für das größte Leid der Menschen im Westen ihr ruheloser Geist. So erklärt er, dass wir in unserem Erleben das Angenehme stets festhalten und das Unangenehme loswerden wollen. Aber eben diese Einstellung führt dazu, dass wir positiven Dingen hinterherlaufen und uns so intensiv mit negativen Dingen beschäftigen, dass wir sie übermäßig mit Energie versorgen. Dieses Haften an den uns unangenehmen Dingen ist auch Buddha zufolge des Menschen größtes Problem. Die Haltung wird Upadana, »Festhalten« oder »Anhaften«, genannt. Jede unvorhersehbare Veränderung wird in der Haltung des Anhaftens zur Bedrohung. Es entstehen Ängste, weil das als negativ eingestufte den Geist beherrscht; zu anderen Zeiten entstehen Sorgen, die eine ebenso große Anhaftungskraft haben, obwohl sie lediglich Gedanken über zukünftige ungewisse Ereignisse sind.

Loslassen

Laut Matthias Dhammaro Jordan ist der Ausweg aus der Anhaftung das aktive Loslassen. Dieses besteht dem Weisheitslehrer zufolge aus drei Schritten. An erster Stelle steht das »Kommenlassen«. Dies ist eine innere Haltung des Erlaubnisgebens, des Ja-Sagens zu einer Situation. An zweiter Stelle steht das »Seinlassen«: Die Situation wird ohne Bewertung so sein gelassen, wie sie ist. Erst danach folgt das eigentliche Loslassen. Nach der vorangegangenen Beachtung der Situation stellt sich dieses meist von allein ein. Wenn es dennoch nicht gelingt, kann die Wahrnehmung zumindest einen weniger wichtigen Platz in unserem Geist zugewiesen bekommen.

All die Dinge, die wir als unangenehm einstufen, sind im Grunde Interpretationssache. Betrachten wir sie neutral, vermindert sich der »Anhaftungsfaktor«. In der Haltung der Anhaftung lassen wir die Dinge – ob gut oder schlecht – nicht weiterziehen, weil wir uns immer wieder mit ihnen beschäftigen, sie verändern oder »weghaben« wollen. So können wir das Negative nicht loslassen. Das Gute hingegen nehmen wir meist einfach an, ohne es abzuwehren, so dass es im natürlichen Fluss an uns vorübergleitet. Deswegen ist es auch meist viel zu schnell vorbei. Auf diese Weise sind wir nie zufrieden. Das Gute geht zu schnell vorüber und das Unliebsame bleibt zu lang. Doch eigentlich ist alles nur im Fluss. Vergänglichkeit ist Teil unseres Lebens. Stellt man sich gegen das Naturgesetz der Vergänglichkeit, indem man immer etwas anderes will als das Angebotene, entsteht Leiden in den verschiedensten Formen, so die buddhistische Sicht.

»Die Vertreibung aus dem mythologischen Paradies erfolgte, als der Mensch anfing, Vorlieben zu entwickeln. Er teilte die Erscheinungen der Welt in richtig und falsch ein und aß von dem verbotenen Baum der Erkenntnis von Gut und Böse.« Matthias D. Jordan

Anatta – kein Selbst

Eine weitere Form des Leidens entsteht, wenn wir daran anhaften, was wir als unser Selbst erachten. Mittels Bewusstheit lässt sich entdecken, dass das Selbst eigentlich eine Illusion ist. Buddha konnte keine Wesensmerkmale finden, die sich nicht verändern. Er fand weder eine persönliche Seele noch bleibende Merkmale einer Person. Er sagte nicht, dass es keine Persönlichkeit gebe, sondern betonte deren Wandelbarkeit und Unbeständigkeit. Auf dem Weg des Achtsamkeitsschülers geht es daher darum, herausfinden, was sich nicht ändert. Denn tatsächlich gibt es etwas in uns, das beständig ist. Bewusste Achtsamkeit führt zu der Entdeckung eines inneren geistigen Raumes, in dem alles neutral wahrgenommen wird und durch den alle Erscheinungen und Qualitäten hindurchziehen wie Wolken am Himmelszelt. Stets auf Empfang gestellt, stellt sich der Raum selbst dabei als zeitlos und leer dar, wenn die Ereignisse vorüberge- zogen sind und Ruhe einkehrt. Jordan nennt deshalb die verschiedenen Wahrnehmungsphasen, die uns in bestimmte emotionale Zustände versetzen, »Erlebnisräume«. Und da es nur Räume sind, können sie, einmal erkannt, bewusst gewechselt werden.

Achtsamkeit

Die Praxis der Achtsamkeit besteht darin, dass genau hingeschaut wird, welche Stimmen gerade aktiv in uns sind, welche Gefühle wir hegen und welche Absichten wir auf einer tieferen Ebene verfolgen. Den Lehrreden des Buddha zufolge soll die Achtsamkeit für Gefühle, für den Körper, für Geisteszustände und Geistesobjekte geschult werden. In diesem Zusammenhang kann man sich z. B. fragen: »Ich habe einen Körper, aber bin ich auch dieser Körper?« Oder: »Ich habe diese Gefühle, aber bin ich diese Gefühle?«

»Achtsamkeit ist wie eine gute Freundin. Sie ist die Qualität, die uns aufmerksam werden lässt und uns wieder mit unserer Mitte und inneren Weisheit verbindet. Sie hilft uns, eine Insel der Ruhe zu schaffen, die wir immer wieder aufsuchen können«, erläutert Jordan. Meditation und Achtsamkeit können den Weg erleichtern, immer öfter in das Erleben dessen zu kommen, was jetzt gerade geschieht – und bewusster darin zu bleiben. So schaffen wir zuerst kleine Oasen der Ruhe, bis die- se sich immer weiter ausbreiten und die Wüste der Unbewusstheit verdrängen. Übt man Achtsamkeit regelmäßig, bedeutet dies eine große Bereicherung für das Leben. Die fünf Qualitäten Vertrauen, Energie, Achtsamkeit, Konzentration und Weisheit können sich dann frei entfalten. Anfangs beginnt man z.B. mit Minimeditationen von einigen Minuten oder einem kurzen In-sich-Gehen während des Duschens oder beim Ankleiden. Später nutzt man die Warteschlangen in Geschäften, um sich auf seinen Atem zu konzentrieren, oder ein abendliches Zubettgehen, um unbeschwert einzuschlafen.

Das Einfließen von Stille in den Alltag ist nicht nur entspannend, es ist auch eine positive Erfahrung, die einem das Gefühl vermitteln kann, als würde man in jeglicher Hinsicht leichter und durchlässiger. Die innere Ruhe öffnet einen weiten Raum, der sich wie Freiheit anfühlt. Damit ist nicht gemeint, dass man ständig auf Wolke 7 schwebt. Vielmehr ist es ein Losgelöstsein vom Urteilen, vom ewigen Hin und Her des Denkens. Buddha rät nicht zu einer ausschließlich positiven Sicht auf die Welt, aber auch nicht zu einer negativen, sondern zu einer realistischen, angemessenen Sicht. So entsteht Gelassenheit und die Kraft, aus jeder Lebenslage das Beste zu machen.

Buch-TIPP
Ruheloser Geist trifft auf Achtsamkeit
Matthias D. Jordan
Ruheloser Geist trifft Achtsamkeit: Aus der Zeit in den Moment
160 Seiten, € 9,95
ISBN 978-3-86616-252-5
Verlag Via Nova