Karin Steinhöfel und Petra Möller haben beide geliebte Menschen durch den Tod verloren. Ihre jeweiligen Leidenschaften – Malen und Schreiben – stellten ein heilendes Ventil für ihre Trauer dar. Im Interview geben sie Einblicke in ihren Umgang mit Tod, Trauer und Verlust und stellen ihr Werk In Memoriam, das Kartendeck für Trauernde, vor.
newsage: Liebe Frau Steinhöfel, liebe Frau Möller, was bewegte Sie letztendlich dazu, aus Ihren Erfahrungen ein Buch mit Kartenset zu kreieren?
Karin Steinhöfel: Ich habe den Tod meines Sohnes restlos verwandelt in etwas Wunderschönes. Der Verstand kann dies nicht verstehen, denn er möchte an dem Leid festhalten und uns somit »auf Trab« halten. Zuvor hätte ich selbst niemals gedacht, dass die Verwandlung eines solchen Schicksals möglich ist. Doch sie ist möglich! Ich dachte sehr oft: »Wenn dies bei mir möglich war, muss es auch bei anderen möglich sein.« Und so wünschte (und wünsche) ich mir, dass möglichst viele Menschen diese Wandlung in sich erfahren dürfen und zurückfinden zu sich selbst; dabei hilft uns sehr oft unser Schicksal. Zum anderen merkten Frau Möller und ich recht schnell, dass sich Bilder und Texte fantastisch ergänzen. Und auf einmal war die Idee für ein Kartendeck geboren.
Petra Möller: Ein Buch für Trauernde zu schreiben war schon lange mein Wunsch, aber ich wollte keinen üblichen Ratgeber verfassen. Erst die Begegnung mit Frau Steinhöfel und ihren schönen Bildern ließ diese gemeinsame Idee wachsen, etwas zu erschaffen, was einfach und verständlich für jeden trauernden Menschen sein kann und mehrere Ebenen anspricht, nicht nur den Verstand. Es sollte eine Reise durch die gesamte Gefühlswelt eines Trauernden entstehen und diesen Menschen anregen, die Reise zurück ins Leben mutig anzutreten. Um wirklich alles an Gefühlen zu akzeptieren und bewusst zu erleben. Bewusstheit heilt.
Was kann die Arbeit mit den Karten bewirken?
Karin Steinhöfel: Über die Farben und Formen der Bilder sowie die Worte werden Energien aus geistigen Ebenen übermittelt, die sehr heilsam sind. Egal ob sich der Anwender darüber bewusst ist oder nicht, fließen diese Energien in sein Energiefeld und können dort wirken. So gelangen z. B. verborgene Gefühle an die Oberfläche. Dem Anwender wird bewusst, was er verdrängt hat, und innere Blockaden lösen sich.
Ihr Buch wird begleitet von der »kleinen Trauerfrau« – woher kam diese Figur und welche Funktion hat sie?
Petra Möller: In der Phase des Trauerns fühlte ich mich in meiner Gefühlswelt oft völlig verlassen. Ich hätte mir eine Person gewünscht, die mich mit Güte, Empathie und wertungsfreiem Verstehen einfach nur begleitet. In meiner Vorstellung erschien also das Bild einer Frau, die das verkörpern könnte. Eine befreundete Künstlerin ließ die nun im Geist geborene kleine Trauerfrau anhand meiner Beschreibung und eines bereits verfassten Textes über sie als Zeichnung »leben«. Zeitlos und ein bisschen märchenhaft, vermittelt sie Vertrauen. Sie führt die LeserInnen mit Weisheit und Verständnis durch das Buch. Sie schafft ein wenig Struktur, erklärt den Sinn der Gefühle und vermittelt dem trauernden Menschen: »Du bist richtig, wie du in diesem Moment bist. Ich verstehe und begleite dich, ohne dich verändern zu wollen. Ich halte dich aus.«
In Ihrem Buch erzählen Sie Ihre jeweiligen persönlichen Geschichten, die sehr berührend sind. Beide sprechen Sie am Ende von Dankbarkeit den Toten gegenüber. Wie genau äußert sich diese?
Karin Steinhöfel: Mein Sohn brachte mich mit seinem Gehen in eine Tiefe meiner selbst, die ich zuvor nicht einmal ahnen konnte. Mir offenbarten sich durch das Tiefer-Schauen (-Müssen) sehr viele geistige Ebenen und auch Zusammenhänge des Lebens. Ich bekam ein neues Sehen geschenkt. Doch das Wertvollste war und ist, dass ich mich selbst wieder zu lieben begann und damit einen enormen Bewusstseinswandel erleben durfte. Ich lebe mein Leben heute glücklicher als jemals zuvor! Dies verdanke ich meinem Sohn, es war sein Geschenk an mich, welches ich jedoch erst viel später erkennen durfte.
Petra Möller: Bei mir verlief dieser innere Prozess ähnlich. Rückblickend bin ich dankbar für all die Erfahrungen und Erkenntnisse, die Tiefe, welche ich durch den Schmerz erst erreichen konnte. Mein Leben ist jetzt so intensiv, ich lebe und genieße bewusster. Der Verlust, aber auch mein Überlebenswille führten mich zur inneren Arbeit und auf den spirituellen Weg. So durfte ich lernen, verständnisvoller, urteilsfreier und liebender im Umgang mit anderen Menschen zu werden. Wer den Tod in all seinen Facetten integriert hat, der muss sich nicht mehr vor dem Leben fürchten.
Frau Möller, Sie haben nach dem Unfalltod Ihres Mannes versucht, weiter zu »funktionieren« und ihre Tochter großzuziehen. Sie haben also eine Trauerarbeit erst einmal gar nicht in Betracht gezogen?
Petra Möller: In Betracht habe ich Trauerarbeit schon gezogen, suchte damals mehr als verzweifelt nach Hilfe. Ich war 24 Jahre alt, unter Schock und ohnmächtig. Mein Mann starb in den Wirren der Wendezeit, es gab in meiner Heimat damals kaum Hilfsangebote. Selbsthilfegruppen zum Beispiel entstanden erst später. Voll berufstätig als alleinerziehende Mutter verbrauchte ich alle Kraftreserven. Bis dann die ganze Palette psychosomatischer Symptome über mich hereinbrach und meine Verdrängung stoppte.
Frau Steinhöfel, Sie haben ziemlich bald begonnen, sich zurückzuziehen und zu malen. Hat das Ihren Weg der Trauerarbeit beschleunigt?
Karin Steinhöfel: Ich denke, dass es gut war, mich so schnell zurückzuziehen. Doch meinen Weg wirklich beschleunigt hat Folgendes: Jedes Mal, wenn ich merkte, dass ich traurig wurde, ließ ich alles andere stehen und liegen und widmete mich den Gefühlen, die in diesem Moment da sein wollten, diesem Zerreißen in mir mit all seiner Qual, ich flüchtete nicht vor diesen Schmerzen, sondern gab mich ihnen hin und gab ihnen großen Raum. Und das immer wieder und wieder! Aus heutiger Sicht war es das Einzige, was mir über die Zeit wirklich half und den Trauerprozess beschleunigte.
In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Reste alter Trauer auch noch nach 20 Jahren da war. Wie lang kann der Prozess dauern? Gibt es bestimmte Phasen?
Karin Steinhöfel: Ich denke, jeder Trauerprozess ist sehr individuell und an nichts festzumachen. Bei mir gab es keine Phasen in dem Sinne, die unterschiedlichsten Gefühle kamen vielmehr unvorhersehbar, und so wurden sie auch angenommen und gelebt. Sie wechselten bei mir sehr stark und auch sehr polar. Ich habe gerade das Bild einer Zwiebel im Kopf, die Schicht für Schicht geschält wird, bis ein Mensch in die Mitte seiner selbst gelangt.
Petra Möller: Die Phasen, die man in Büchern nachlesen kann, schaffen Verständnis und ein wenig Struktur, um die Gefühle besser zu verstehen. Aber sie verlaufen nicht linear, es zeigt sich oft eher chaotisch und parallel. Bei mir veränderte sich die Trauer mit den Jahren, sie wurde weicher, die eisige Kälte des Verlustes und das Leid verschwanden eines Tages. »Bittersüße Traurigkeit mit Dankbarkeit und Liebe versetzt,« kann ich es heute nennen.
Die Bilder des Kartendecks tragen teilweise Titel, die man nicht von vornherein mit Tod und Trauer in Verbindung bringt. Wie kamen Sie auf die Titel?
Karin Steinhöfel: Wir haben uns zuerst erinnert, mit welchen Gefühlen und Zuständen wir damals konfrontiert waren. Diese »Worte« haben wir dann den Bildern zugeordnet. Zu unserer gesamten Vorgehensweise ist Folgendes interessant: Durch unsere beiden Wege haben sich bei jeder von uns kraftvolle und klare Verbindungen zur geistigen Welt geöffnet. Darüber wurden wir geführt und spürten sehr fein, auf welche Weise etwas zusammenpasst oder eben nicht. Das sind Dinge, die nur sehr schwer mit dem Verstand zu erfassen sind.
Sind auf den Karten auch Bilder und Gedichte, die tatsächlich während Ihrer Trauerzeit entstanden?
Karin Steinhöfel: Ja, der Großteil der Bilder ist aus dieser Zeit. Andere, ich glaube drei oder vier, habe ich extra für das Kartendeck gemalt.
Petra Möller: Bei den Gedichten und Texten lief es anders, sie entstanden erst, nachdem wir uns für die Bilder und deren Bedeutung entschieden hatten. Sie flossen einfach aus mir heraus in einer sehr kurzen Zeit. Als wenn alles vorher schon längst in mir gespeichert gewesen wäre und nur aufgeschrieben werden musste. Das Geschriebene beinhaltet die Essenz aller meiner Erkenntnisse der letzten 20 Jahre.
In unserer Gesellschaft wird das Thema Tod nicht gerne offen besprochen. Wie können wir es besser integrieren, damit Zurückgebliebene die Trauerarbeit nicht verdrängen und mehr Offenheit bei anderen finden?
Karin Steinhöfel: Das ist ein generelles Thema unserer Gesellschaft. Wir möchten möglichst immer prima funktionieren und alles soll immer schön perfekt sein. Wir dürfen wieder lernen, auch die dunklen, schwachen Seiten in uns anzunehmen und zu lieben. Dazu braucht es Menschen, die mutig zu sich selbst stehen, auch wenn sie gerade nicht funktionieren können; eben Menschen die wach sind! Und je mehr Menschen in einem solchen wachen Zustand leben, desto mehr wird auch das Thema Tod in unserer Gesellschaft wieder seinen Platz einnehmen können.
Petra Möller: Ergänzen möchte ich, dass sich inzwischen schon einiges tut. Zur Zeit befinde ich mich in der Ausbildung zur ehrenamtlichen Sterbeund Trauerbegleiterin, habe auf diesem Wege viele engagierte Menschen kennengelernt, die mit großem Herzen und viel Empathie für Betroffene da sind. Trauernden möchte ich Mut machen, sich Hilfe zu holen. Es ist immens wichtig, seine Gefühle zu kommunizieren, gerade auch bei Familienangehörigen und Freunden. Letzteren möchte ich anraten, immer wieder nachzufragen, was der Trauernde sich wünscht. Nur so kann Unsicherheit und resignierter Rückzug vermieden werden. Ich finde, jeder Einzelne kann mit ein wenig Mut und Liebe in seinem Umfeld bereits etwas bewirken.
Gina Janosch: Ganz herzlichen Dank für das Interview!
Sie ist heute als Lebensberaterin tätig.
In Memoriam – Kartendeck
für Trauernde
80 Seiten, 24 Karten, € 19,95
ISBN: 978-3-89060-629-3
Neue Erde Verlag