Im September 2012 ging ein Raunen durch die Reihen der Christen. Denn die amerikanische Religionswissenschaftlerin Karen L. King hatte eine sensationelle Entdeckung veröffentlicht, die aber kurze Zeit danach von kirchennahen Kreisen als »Fälschung« bezeichnet wurde. Es handelte sich dabei um einen Papyrus-Fund, auf dem geschrieben steht: »Jesus sagte zu ihnen: ›meine Frau‹.«
Der Glaube, dass Jesus von Nazareth unverheiratet und kinderlos war, wurde von den meisten Christen über viele Jahrhunderte hinweg nicht im Mindesten in Frage gestellt. Denn in der Bibel ist weder von einer Ehefrau Jesu’ noch von möglichen Kindern die Rede. Auch wenn die römisch-katholische Kirche am zölibatären Leben von Jesus und seinen klerikalen Nachfolgern bis heute festhält, heißt das jedoch nicht, dass das Pflichtzölibat seit Jesus bis heute ohne Unterbrechung gilt. Denn ebenso wenig findet sich in der Bibel ein Hinweis darauf, dass Jesus unverheiratet und kinderlos war bzw. dass er einen Eid oder ein Gelübde abgelegt hätte, unverheiratet und kinderlos zu bleiben.
»War Jesus nun mit Maria Magdalena verheiratet oder nicht? Der Streit darüber ist beinahe so alt wie das Christentum. Nun präsentierte eine Wissenschaftlerin auf einem Kongress ein Dokument, das neue Hinweise liefert.«
Focus online 19.09.2012
Der königliche Nachkomme aus dem Hause Davids
»Zur der Zeit, als Jesus auf Erden lebte, galt die Ehe … als die Erfüllung von Gottes Gebot: ›Seid fruchtbar und vermehret euch.‹ Lukas 2:51–52.«[1] Daraus lässt sich schließen, dass »… Jesus’ Eltern höchstwahrscheinlich, wie es damals der Sitte entsprach, eine passende Braut für ihn auswählten, die er auch geheiratet habe, wie es jeder junge Mann und besonders jener, der die Thora studierte, getan hätte. Auch hätten die Pharisäer, die Jesus als Feind betrachteten, ihm ganz sicher eine schwere Unterlassung vorgeworfen, wenn er nicht verheiratet gewesen wäre.«[2]
Den Evangelien nach stammte Jesus über seine väterliche Linie von dem Königsgeschlecht Davids ab.[3] Zu dieser Zeit wäre es undenkbar gewesen, dass ein junger Mann in seiner Position ehe- und kinderlos geblieben wäre.
Männer in seiner Position erhielten damals ihre Königswürde durch die Vereinigung mit einer Priesterin. Danach »… nannte man ihn den ›Gesalbten‹ – auf Hebräisch ›Messias‹. Diejenige, die das Haupt des Königs salbte und ihm ein Festmahl auftischte – die seinen Kelch mit Segen füllte und ihn gegen seine Feinde verteidigte – war in den archaischen Riten des Nahen Ostens die Große Göttin. Die heilige Vereinigung ihrer königlichen Priesterin mit dem auserwählten König/Gemahl wurde als Quell der Erneuerung, Lebenskraft und Harmonie für die gesamte Gemeinschaft gefeiert.«[4]
Das Zölibat
Die vorgeschriebene Ehelosigkeit für Priester hat sich wahrscheinlich erst in den ersten Jahrhunderten n. Chr. entwickelt. Wurde Priestern ursprünglich »nur« verboten, Frauen aus bestimmten Gesellschaftsschichten zu heiraten, so wurde im Laufe der Jahrhunderte die Sinnhaftigkeit des Zölibats folgendermaßen verteidigt: »Die Kleriker sind gehalten, vollkommene und immerwährende Enthaltsamkeit um des Himmelreiches willen zu wahren; deshalb sind sie zum Zölibat verpflichtet, das eine besondere Gabe Gottes ist, durch welche die geistlichen Amtsträger leichter mit ungeteiltem Herzen Christus anhängen und sich freier dem Dienst an Gott und den Menschen widmen können.«[5]
Erst im Mittelalter kam ein weiterer, nicht unwesentlicher Aspekt des Zölibats hinzu, dessen strikte Einhaltung somit noch drastisch verschärft wurde: Es ging um die sogenannten Priesterkinder. Am Konzil von Pavia im Jahr 1022 wurde der große Verlust von Kirchenvermögen beklagt, der aus dem Zusammenleben von Priestern mit Frauen hervorgegangen waren. Deshalb wurden die Kinder von Klerikern für unfrei und damit für erbunfähig erklärt. Müttern von Priesterkindern drohte das Auspeitschen und danach die Verbannung. Schreibern, die Besitztitel für diese Kinder ausstellten, wurde die rechte Hand abgeschlagen, und Richter, die ihnen Freiheitsbriefe ausstellten, wurden des Landes verwiesen. Es sollte bis ins Jahr 2013 dauern, bis ein Papst das Thema Zölibat ganz dezent in Frage und damit die Aufhebung dieser Jahrhunderte alten Regelung in den Raum stellte.
Die Rolle Maria Magdalenas
Wer sich fernab der Bibel eingehend mit Maria Magdalena beschäftigt, wird bald erkennen müssen, dass sie weder eine Prostituierte noch eine von Dämonen besetzte Frau war. Ihr Vater Syrus soll ein Edelmann aus Syrien oder ein Oberpriester aus dem Geschlecht von Jairus gewesen sein, ihre Mutter Eucharia entstammte dem Königsgeschlecht der Makkabäer. Der Name Maria (Mirjam) war zu ihrer Zeit auch nicht einfach nur ein Vorname sondern ein hoher Titel. Frauen, die diesen Namen trugen, waren Trägerinnen von geistlichen Ämtern innerhalb spiritueller Gemeinschaften. Sie waren beispielsweise in der Heilkunst ausgebildet oder leiteten liturgische Zeremonien für Frauen. So gesehen könnte man Maria Magdalena auch als eine geweihte Priesterin betrachten. Jene auserwählten Mädchen, die zu Priesterinnen und künftigen Gemahlinnen dynastischer Ehe erzogen wurden, trugen den Namen Maria.[6]
Im sogenannten »Evangelium der Maria Magdalena«, einer gnostischen Schrift aus dem 2. Jahrhundert, von deren Abschrift aus dem 4. Jahrhundert einige Seiten erhalten sind, wird Maria Magdalena als die erste Apostelin bezeichnet. Karen L. King, die bereits erwähnte amerikanische Religionswissenschaftlerin, übersetzte das Evangelium aus dem Koptischen. Darin wird die Position Maria Magdalenas und ihr Näheverhältnis zu Jesus gut beschrieben. Unter anderem ist über ihre Rolle inmitten der Apostel Folgendes nachzulesen: »Petrus sagte zu Maria: ›Schwester, wir wissen, dass der Erlöser dich mehr als alle anderen Frauen geliebt hat. Sage uns die Worte des Erlösers, an die du dich erinnerst, die Dinge, von denen du weißt, dass wir sie nicht wissen, weil wir sie nicht vernommen haben.‹« Maria antwortete: »Ich werde euch das lehren, was euch verborgen ist.«[7]
Die Ehefrau von Jesus
Doch Maria Magdalena dürfte weit mehr als nur die erste unter Jesus Nachfolgern gewesen sein, wie ein weiteres Schriftstück aus dem 4. Jahrhundert n. Chr. vermuten lässt.[8] Es beinhaltet einen Dialog zwischen Jesus und seinen Jüngern, in welchem Jesus von »seiner Ehefrau« spricht. Dabei handelt es sich um den einzigen erhaltenen antiken Text, in dem Jesus auf eine Ehefrau verweist. Aufgrund der späten Datierung des Fragments sowie der Tatsache, dass die Abfassung der Urfassung wahrscheinlich erst in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts erfolgt ist, kann das Fragment jedoch nicht als wissenschaftlich unumstößlicher Beweis dafür gelten, dass der historische Jesus tatsächlich verheiratet war.
Karen L. King war nicht die erste Religionswissenschaftlerin, die die Ehe- und Kinderlosigkeit von Jesus aufgrund ihrer Forschungsergebnisse in Frage stellte. Bereits im Jahr 1992 war die australische Theologin Dr. Barbara Thiering beim Übersetzen und Auswerten der bekannten Qumran-Rollen zu ähnlichen Ergebnissen gekommen, die einen weltweiten Theologenstreit entfachten. In den Schriftrollen vom Toten Meer, die aus der Zeit von Jesus stammen, stand nämlich geschrieben, dass Jesus mit Maria Magdalena verheiratet war und mit ihr gemeinsam drei Kinder
hatte.[9]
Was bedeutet das für uns Menschen von heute? Wir leben in einer Zeit, in der sehr lange Verborgenes allmählich wieder zum Vorschein kommt, egal, um welchen Lebensbereich es sich dabei handelt. Die Religion ist davon keinesfalls ausgenommen. Wer nicht mehr nur an Zufälle glaubt, der kann dahinter einen Veränderungs- und Bewusstseinswandel entdecken, von dem die ganze Menschheit erfasst und betroffen ist. Dieser Veränderungsprozess ermöglicht nun den Menschen, Jesus und die Bibel in neuem Licht zu betrachten, wobei jedem freigestellt sein muss, das zu glauben, womit er sich selber wohlfühlt.
Es wird weiterhin viele Menschen geben, die den überlieferten Schriften unserer Väter ihr vollstes Vertrauen schenken und die Bibelinhalte unangetastet lassen möchten. Andere wiederum stellen hinsichtlich Jesus, Maria Magdalena, seiner Mutter Maria und anderen biblischen Persönlichkeiten viele Fragen, die die Kirche nicht beantworten kann, weil sie darauf keine passenden Antworten hat. Die Menschen von heute sind kritischer und mündiger geworden und die mediale Vernetzung trägt weltweit dazu bei, dass heute sogar Privatpersonen auf einfache Art und Weise an Informationen herankommen, die ihnen bis vor Kurzem noch nicht zugänglich waren. Gleichzeitig entwickeln die Menschen der Neuen Zeit noch nie dagewesene mediale Fähigkeiten, die es ihnen ermöglichen, die Wahrheit mit Hilfe ihres Herzens zu ergründen und zu finden.
Die spirituelle Suche hat gerade erst begonnen und wird wahrscheinlich so lange fortgesetzt werden, bis die Wahrheit offen vor uns liegt. Dann wird auch die Frage beantwortet sein, ob Maria Magdalena die Ehefrau von Jesus war oder nicht. Bis dahin können wir die Antwort darauf nur in unserem Herzen finden.
[1]+[2] Starbird, Margaret: »Die Frau mit dem Alabasterkrug. Das Geheimnis der Maria Magdalena.« Berlin 2006, S. XI
[3] Vorfahren Jesu
[4] Starbird, Margaret: »Die Frau mit dem Alabasterkrug. Das Geheimnis der Maria Magdalena.« Berlin 2006, S. 39
[5] Codex Iuris Canonici, Can. 277 — § 1 CIC
[6] Vgl. dazu: Gardner, Laurence: »Das Vermächtnis des heiligen Grals«, Kapitel 3
[7] King, Karen L.: »The Gospel of Mary of Magdala. Jesus and the First Woman Apostle.« Salem 2003, S.17
[8] King, Karen L.; Anne Marie Luijendijk: »Jesus said to them, ›My wife …‹«. A New Coptic Gospel Papyrus
[9] Vgl. dazu: Thiering, Dr. Barbara: »Jesus von Qumran. Sein Leben neu geschrieben.« Gütersloh 1993