Frühlings Erwachen

»Friedrich Nietzsche muss erneut interpretiert werden, damit wir all den Unfug, mit dem die Nazis seine großartige Philosophie entstellt haben, endlich auf den Müll werfen können. Die Leute verstehen immer nur gemäß ihrem eigenen Horizont. Dass Nietzsche den Nazis in die Hände fiel, war reiner Zufall«, sagt Osho im Vorwort zum gerade erschienenen Titel »Verliebt in das Leben – Neue Sichtweisen über Nietzsches ‚Also sprach Zarathustra‘«. Wir haben den Übersetzer dieses Buches, Nirvano Spohr, interviewt, ein Kenner Nietzsches und ein seit Jahrzehnten erfahrener Osho-Übersetzer.

Du hast gerade 10 Diskurse aus Oshos Kommentaren zu Nietzsches Zarathustra neu übersetzt. Was ist dir bei der intensiven Auseinandersetzung mit dem Text aufgefallen?

Nirvano SpohrWie aktuell diese Texte sind. Und was für ein großes Zukunftspotenzial in ihnen steckt. Das klingt sehr groß, aber genau so empfinde ich es auch. Nietzsche ist für Osho ein wichtiger Garant dafür, dass die Lösung unserer Lebensprobleme nur dann möglich ist, wenn wir aufwachen. Er hat ja wiederholt betont, Nietzsche habe kurz vor der Erleuchtung gestanden, nur sei er eben leider in einem Klima aufgewachsen, das sein ungeheures Potenzial nicht fördern konnte – ja, es sogar im Keim erstickte, so dass er im Wahnsinn endete.

Und wo genau siehst du das große Zukunftspotenzial dieser Texte?
Die ganze Menschheit wird ja nach wie vor von den Religionen geprägt – die letzten Endes wie Zwangsjacken sind. Sie sperren die Menschen in enge moralische Käfige. Gegen diese Unterdrückung der Menschen lehnen sich Nietzsche und Osho auf. Sie wollen jegliche Ausbeutung des Menschen durch den Menschen abschaffen. Und zwar nicht wie Marx und Lenin durch Kampf, sondern durch Erkenntnis. Das ist der diametral entgegengesetzte Ansatz – eine unglaubliche Zeitenwende!

Der Zarathustra als Programm zur Selbstbefreiung?
Wenn du so willst, ja. Jedenfalls als Einladung, sich seine eigenen Möglichkeiten und Ressourcen bewusst zu machen. Er fordert uns auf, all die alten Klamotten wegzuwerfen, die uns von unsern Priestern, Eltern und Lehrern übergestülpt wurden und noch an uns hängen.

Sind Oshos Diskurse auch als gemeinverständliche Einführung in Nietzsches Zarathustra zu empfehlen – oder sind sie eher was für philosophische Spezialisten?
Man braucht zweifellos kein gebildeter Philosoph zu sein, um diese Texte zu verstehen. Osho hatte ja das große Talent, die kompliziertesten Dinge in einer leicht verständlichen Sprache zu erklären. Nietzsches Philosophie ist nicht kompliziert, sondern visionär. Und vermutlich wird jeder, der Oshos Kommentare liest, mehrere »Waschgänge« durchlaufen, schließlich sind wir ja alle falsch programmiert. Nietzsche ist ja gerade in Deutschland gründlich missverstanden worden. Als ich in den 60er Jahren Germanistik studierte und an den Universitäten die APO die Fahnen schwang, da war Nietzsche absolut Tabu. Der galt als reaktionär; den durfte man nicht mal lesen! Sogar die Linken sind damit noch den Nazis auf den Leim gegangen!

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Für die Nazis gehörte Nietzsches Zarathus-tra zum nationalen Kulturgut. Begriffe wie »Wille zur Macht« und »Übermensch« waren Teil ihrer Ideologie. Was faszinierte Hitler eigentlich so an Nietzsche?
Hitler hat ihn nie verstanden. Der »Übermensch« hat rein gar nichts mit dem »Herrenmenschen« der Nazis zu tun. Und als sie Nietzsches »Untermenschen« mit dem ewigen Juden identifizierten, übersahen sie geflissentlich, dass Nietzsches Beschreibung dieser Gattung haarscharf auf sie selber zutraf. Für Zarathustra ist der Übermensch der entfaltete, der erleuchtete Mensch – der als Möglichkeit in jedem von uns steckt. Und mit »Wille zur Macht« meint er nichts anderes als den Willen zur Selbsterkenntnis: Mächtig ist nur, wer sich selber erkannt hat – und zwar so mächtig, dass er der Welt die Zunge rausstrecken kann!

Nietzsches Fehldeutung durch die Nazis war allerdings das Werk seiner eigenen Schwester, Elisabeth Nietzsche-Förster. Die verwaltete ja Nietzsches Nachlass, und so hat sie ihn unter dem Einfluss ihres Mannes, der ein fanatischer Judenhasser war, total verfälscht. Es lag Osho ausdrücklich am Herzen, uns über den Missbrauch Nietzsches durch die Nazis aufzuklären und ihn zu korrigieren.

Du warst ja 1987 dabei, als Osho über Nietzsches Zarathustra sprach. Warst du damals sehr überrascht, dass er nach all seinen Vorträgen über die großen Weisen der Menschheit wie Buddha, Jesus oder Laotse plötzlich über Nietzsche sprach?
Ja, das war ich! Zumal ich mit etwas ganz anderem gerechnet hatte … Man hatte mich nämlich kurz zuvor gebeten, ein Buch mit englischen Übersetzungen von Hölderlin-Gedichten dahingehend zu sichten, ob es Stoff für eine eventuelle Vorlesungsreihe Oshos enthielt. Ich fiel damals aus allen Wolken, dass Osho Hölderlin überhaupt kannte! Irgendwer hatte ihm wohl dieses Buch mitgebracht. Und als Germanist, der sich sehr mit Hölderlin beschäftigt hatte, sollte ich nun eine Auswahl geeigneter Texte treffen. Ich habe dann alle von mir ausgewählten Gedichte neu übersetzt, weil ich ihre Übersetzungen grottenschlecht fand – aber im siebten Himmel war, dass Osho bald über Hölderlin sprechen wollte. Also hatte ich mir die größte Mühe gegeben, ihn ihm schmackhaft zu machen. Und was war? Nichts war! (lacht). Statt Hölderlin kam Nietzsche
dran!

Buch-TIPP
Osho
Verliebt in das Leben
Neue Sichtweisen
über Nietzsches »Also
sprach Zarathustra«

256 Seiten, € 17,50
ISBN: 978-3-942502-29-0
Innenwelt Verlag