Dr. Daniel Dufour plädiert dafür, dass wir mehr Liebe zu uns selbst entwickeln und den richtigen Umgang mit unseren Emotionen lernen. Wut nimmt dabei eine besondere Stellung ein, da sie unausgelebt zu inneren Spannungen führt, deren Energie in steigendem Maß für Unruhe sorgt – eine explosive Ladung ohne Ventil.
Ein aktiver Umgang mit der eigenen Wut ist von essenzieller Bedeutung für die Gesundheit. Wird sie hingegen vom Verstand ins Unbewusste verdrängt, führen die dabei entstehenden inneren Anspannungen über kurz oder lang zu körperlichen oder seelischen Beschwerden. Doch viele Menschen haben von klein auf gelernt, ihre Wut zu unterdrücken. Hier ist als Erstes angesagt, die Wut überhaupt wieder spüren zu lernen.
Den Schwerpunkt in Dufours neuem Buch stellt genau diese Thematik dar. Es geht darum, wie wir unsere Wut wieder bewusst wahrnehmen und wie dies unser Leben verändern kann. Der durchaus provokante Titel »Wut ist gut!« weist darauf hin, was für eine wichtige Emotion Wut ist. Sie hat ein hohes Energiepotenzial und führt fast immer zu irgendeiner Art von Ausbruch – nur dass dieser im Falle einer Unterdrückung gegen uns selbst gerichtet wird. Was viele davon abhält, die Wut zu spüren und adäquat auszudrücken, ist der Verstand.
Niemals die Wut unterdrücken!
Die »Denke« – wie Dufour den Verstand bzw. unser Denken nennt – sollte unbedingt gezähmt werden, wenn es um Emotionen geht. Dies hat nicht, wie man vielleicht annehmen könnte, zur Folge, dass mehr Gewaltausbrüche stattfinden, sondern genau das Gegenteil ist der Fall: Gerade das Unterdrücken von Wut führt dazu, dass sich diese Emotion irgendwann ohne Vorwarnung geballt und explosiv entlädt. Der Sachverhalt hat Ähnlichkeit mit einem Kessel, der unter Druck steht – und ein defektes Ventil aufweist.
Ist die Unterdrückung von Wut jedoch extrem stark, so kann es auch sein, dass die Emotion gar nicht mehr wahrgenommen und ins Unterbewusstsein verlagert wird, wo sie weiter vor sich hin brodelt. Dennoch entfaltet sie auch dort ihre Wirkung. An bestimmten Stellen im feinstofflichen Körper entstehen dann Ballungen von Energien. Mit der Zeit kann es dadurch zu psychosomatischen Beschwerden kommen, deren Ursache von außen betrachtet erst einmal schwer zu finden ist.
Viele seiner psychologischen Erkenntnisse verdankt Dufour seiner Arbeit als Arzt in Krisengebieten.
Er hat gesehen, was Gewalt anrichten kann und dass Wut bei Tätern wie Opfern gleichermaßen eine wichtige Rolle spielt. Das Unterdrücken von Wut wird häufig als eine Möglichkeit angesehen, vor oder nach Krisen besser zu »funktionieren« (Krisen selbst haben ja meist mit dem Ausbrechen verdrängter Emotionen zu tun). Doch irgendwann kann die verdrängte Energie nicht mehr unter Kontrolle gehalten werden und sorgt für schwerwiegendere Schäden. Es ist von zentraler Bedeutung, einen gesunden Umgang mit Wut zu erlernen, wenn wir in Zukunft auf der Welt weniger Gewalt erleben wollen.
Dufour arbeitet in der Praxis mit der von ihm entwickelten OGE-Methode, die sich sowohl gegen die bloße Symptombehandlung der Schulmedizin als auch gegen alternative Verfahren, die der »Denke« verhaftet sind, wendet. Ein Kampf gegen Symptome ist ihm zufolge von vornherein verloren. »Ich vergleiche das gerne mit einem Wasserleck: Als Sofortmaßnahme mag es im Notfall vielleicht angehen, mit Wassereimer, Besen und Schwamm die Überschwemmung einzudämmen; aber das eigentliche Problem, das ständig nachfließende Wasser, lässt sich so niemals in den Griff bekommen. Allein die Entdeckung der undichten Stelle in der Wasserleitung wird dies ermöglichen«, so der Mediziner.
»Wut« ist also »gut«?
Doch warum bezeichnet Dufour Wut als »gut«? Wut ist erst einmal neutrale Energie, die in uns zirkuliert.
»Wut ist etwas Gutes, denn sie erlaubt es dem Betroffenen, etwas in seinem Leben zu verändern und sich zu weigern, in Schemata gepfercht zu werden, die nicht die eigenen sind. Im Grunde hilft die Wut uns, ein erfülltes Leben zu führen«, erläutert der Schweizer im Interview.
Doch leider wird Wut häufig so lange unterdrückt, bis die Blockade unserer Emotionen eine körperliche Anspannung erschafft, deren Auswirkungen wir leicht spüren können (z.B. als Kloß im Magen oder Schulterverspannungen). »Hält diese Anspannung an, führt das zu wohlbekannten Phänomenen, die auch von der Medizin genau beschrieben und die durch die Ausschüttung von Hormonen in den Nebennieren in Gang gesetzt werden. Dazu gehört etwa ein beschleunigter Puls, ein erhöhter Blutdruck, eine Schwächung der Nierenfunktion und der körpereigenen Abwehr«, so Dufour.
Die dauerhafte Anspannung ist ein Energieaufwand, der die Körperabwehr nachhaltig schwächt.
Die Anspannung, die meist einen bestimmten Bereich des Körpers betrifft, lässt eine Blockade im Energiefluss entstehen. Es ist daher nicht nur für unsere seelische, sondern auch für unsere körperliche Gesundheit wichtig, die Wut wahrzunehmen, zu spüren und zu transformieren, bevor eine Energieblockade auf körperlicher Ebene sichtbar wird. Wir sollten es nie so weit wie bis zu einer persönlichen »Implosion« kommen lassen.
Die Ursachen für Gewalt sind sicherlich ein Produkt der menschlichen Sozialisation. »Kinder kommen nicht gewalttätig zur Welt. Um sich davon zu überzeugen, braucht man nur einen Säugling zu betrachten, dann weiß man es. Er lebt seine Emotionen im Hier und Jetzt aus und wechselt ohne Probleme und Blockaden von einer Emotion zur anderen. Leider wird ihm im Laufe seiner Erziehung nach und nach beigebracht, dass es gute und schlechte Emotionen gibt. Zu Letzteren wird die Wut gezählt«, erläutert Dufour.
Zu viel Denken ist zu viel Balast
Für ein gutes Emotionsmanagement können wir aus dem Beispiel des Kleinkindes lernen, ganz im Hier und Jetzt zu sein. In der Gegenwärtigkeit lassen sich die eigenen Emotionen exakt wahrnehmen.
Das Ausleben derselben sollte aber möglichst nicht auf Kosten anderer geschehen, besonders wenn altes emotionales Material an die Oberfläche drängt und die Wut in einer Situation unangemessen macht. Besser ist es, sich einen ungestörten Ort zu suchen und sich über bewegungsintensiven, lautstarken oder kreativen Ausdruck von emotionalem Ballast zu befreien.
Dufour sieht die Wurzeln vieler Beschwerden in zu viel »Denke« und zu wenig Liebe – besonders für uns selbst. Unser stetiger Gedankenfluss trennt uns von unseren Emotionen und unserem wahren Ich. Mit dem Kopf voller Grübeleien ist ein befreites Leben nicht möglich. Dagegen kann die Liebe zu sich selbst jegliche leidvolle Emotion heilen und ein Verhaften in ungesunden Mustern verhindern. »Ist man im Hier und Jetzt, findet man seine wahren Kräfte und sein angeborenes Wissen wieder, Kreativität und Intuition, kurz, den Menschen, der man wirklich ist«, so Daniel Dufour.