Jack Kornfield hat viele Jahre als Mönch in buddhistischen Klöstern in Thailand, Indien und Burma gelebt. Er hat bei bekannten Weisheitslehrern wie Ajahn Chah, Mahasi Sayadaw und Sri Nisargadatta Maharaj gelernt und ist heute einer der gefragtesten amerikanischen Vermittler buddhistischer Weisheit. Als Doktor der Psychologie versteht er es wie kein anderer, die westliche Herangehensweise mit östlicher Philosophie zu verbinden und in eine praktische Lehre zusammenzufassen. Weltweit leitet Jack internationale buddhistische Treffen. Er ist Ehemann, Vater, Friedensaktivist und Buchautor, dessen Bücher in 20 Sprachen übersetzt worden sind.
newsage: Jack, du hast in Asien viele Jahre in buddhistischen Klöstern gelebt. Wie kam es zu dieser Entscheidung?
Jack Kornfield: Als ich an der Universität studierte, habe ich einmal einen Kurs in asiatischer Philosophie belegt. Der Professor sprach von Lao Tse und dem Buddha und dass buddhistische Praxis Leiden in Freude und Zufriedenheit verwandeln kann. Da meine Familiengeschichte viel Leid beinhaltete, wollte ich diese Praxis erlernen. Nach der Uni trat ich dem Amerikanischen Friedenskorps bei und beantragte eine Entsendung in Länder, wo es buddhistische Klöster gibt. Ich widmete mich dem Buddhismus voll und ganz und fand letztlich zu tiefem Mitgefühl und innerem Frieden.
newsage: Bist du also eine erleuchtete Person? Was bedeutet Erleuchtung für dich?
Jack: Mein Lehrer Ajahn Chah sagte immer, wenn wir nach einer gewissen Zeit im Kloster nicht „in den Fluss“ gekommen sind und Erleuchtung gekostet haben, hätten wir das Wesentliche verfehlt. Die Bedingungen unserer Welt ändern sich ständig, unsere Sinne, unser Denken werden ständig gefordert. Erleuchtung, auch Bedingungslosigkeit genannt, bedeutet ,den Unterschied zu kennen zwischen den sich ändernden Bedingungen und reinem Gewahrsein, das nur wahrnimmt. Es gibt keine erleuchtete Person, sondern nur unser Freiwerden von Anhaftung und Identifizierung mit allem. Wir bleiben im zeitlosen Jetzt, während um uns alles kommt und geht. Diese Freiheit ist nicht mein oder dein, nicht persönlich, sie ist einfach. Und jeder der wirklich offen ist, kann das erkennen.
newsage: Ich habe gehört, dass Erleuchtung für manche Personen ein sehr verwirrendes Ereignis war und sie im Alltag nicht mehr zurecht kamen. Ist das Teil der Entwicklung oder ist Erleuchtung nicht für jeden gut?
Jack: Wenn man in der Realität des jetzigen Moments lebt, ohne an die sich verändernden Bedingungen der Umwelt anzuhaften, wird das Herz befreit; es entsteht eine leichtere, gesündere und vernünftigere Seinsweise. Jemand, der im normalen Leben nicht zurecht kommt, hat nicht die Freiheit von Erleuchtung erreicht; sein Wissen muss noch reifen. Der Dalai Lama oder Suzuki Roshi sind Menschen, die die Leichtigkeit und Freude, die Weisheit und Offenheit eines befreiten Herzens repräsentieren.
newsage: Manche sagen, Erleuchtung sei ein bleibendes Phänomen. Andere behaupten, es sei flüchtig.
Jack: Die meisten Leute, die auf dem Weg erwachen, werden erste Erfahrungen des Befreitseins machen. Mein Lehrer Ajahn Buddhadasa nannte das „Alltags- Nirwana“. Aber diese Erfahrungen müssen meist schrittweise integriert werden, weil die Gewohnheiten des Anhaftens und der Ängste wiederkommen. In meinem Buch „Das Tor des Erwachens“, erkläre ich, wie wir das Feld der Erleuchtung auf unseren Körper, unsere Gefühle, Gedanken und Beziehungen ausweiten können. Unsere Worte, unsere Handlungen werden zu Bereichen der täglichen Praxis und können die Schönheit unserer Erkenntnisse widerspiegeln. Mit der Zeit können wir immer besser im Augenblick, im freien offenen Raum des Gewahrseins bleiben. Dort sind wir zu Hause.
newsage: Ist ein Lehrer notwendig? Was macht ein Lehrer wirklich?
Jack: Lehrer können eine ganze Menge ausrichten, besonders, wenn sie uns mit einem erwachten Herzen sehen und unsere Buddha-Natur und nicht unser kleines Ich ansprechen. Ein geschickter Lehrer arbeitet durch Worte, Energiefelder, Übungen und eine Herzensverbindung, die das Erwachen in denen fördert, die er berührt.
newsage: In deinem Seminar in Zürich wirst du über die „universellen Prinzipien buddhistischer Psychologie“ sprechen. Was verbindet Psychologie und Buddhismus? Ist eine psychologische Herangehensweise nicht meist mit einer verstärkten Konzentration auf das Selbst, das Ego verbunden?
Jack: Der Dalai Lama sagt: „Buddhistische Lehren sind keine Religion – sie sind eine Wissenschaft des Geistes (mind).“ Buddhistische Psychologie in der Praxis transformiert die gesamte menschliche Erfahrung samt unserer persönlichen Geschichte, unserer Traumata, unseres Temperaments, unserer Beziehungen. Aber sie ist nicht begrenzt auf diese Ebene. Sie beinhaltet ebenso die universelle Ebene der stetigen Wandlung, des Unpersönlichen, des Mitgefühls und der Leere. Diese beiden Ebenen sind letztlich verwoben. Sie sind nicht getrennt. Erleuchtung umfasst beide Ebenen.
newsage: Warum ist Mitgefühl so wichtig im Buddhismus?
Jack: Im buddhistischen Verständnis ist Mitgefühl als Form von Empathie sehr wichtig. Wenn wir uns für die Liebe uns selbst und anderen gegenüber öffnen und Mitgefühl für unserer aller Anstrengungen aufbringen, wenn wir uns selbst und anderen vergeben können, dann entdecken wir das große liebevolle Herz des Buddha.