Für unsere Zukunft!

Die Welt lag Thich Nhat Hanh schon immer am Herzen. Als Friedensaktivist und Zen-Lehrer wird er nicht müde, auf unsere innere Verbundenheit mit allem, was uns umgibt, hinzuweisen und sich dafür einzusetzen, dass die Ziele Frieden und ein achtsamer Umgang mit unserer Umwelt allen Menschen bewusst werden. „Unser Leben muss unsere Botschaft sein“, sagt er. Im Folgenden hier ein Teil seiner Botschaft…

tich-nhat-hanh01Wir Menschen haben uns immer als etwas Herausgehobenes betrachtet, als etwas, das sich vom Rest der natürlichen Welt unterscheidet. Wir bezeichnen Tiere und andere Lebewesen als „Natur“, etwas, das außerhalb von uns ist, und wir handeln, als wären wir irgendwie getrennt davon. Dann fragen wir uns: „Wie sollen wir mit der Natur umgehen?“ Wir sollten mit der Natur so umgehen, wie wir auch mit uns umgehen sollten; gewaltlos. Mensch und Natur sind untrennbar. Genauso wie wir uns selbst nicht schaden sollten, sollten wir auch der Natur keinen Schaden zufügen. Der Natur schaden bedeutet, uns selbst schaden und umgekehrt.

Anderen Menschen Leid zufügen, fügt uns selbst Leid zu. Die Anhäufung von Reichtum und der Besitz von großen Teilen der natürlichen Ressourcen in der Welt berauben die Mitmenschen ihrer Lebenschancen. An unterdrückerischen und ungerechten Sozialsystemen zu partizipieren schafft und vertieft die Kluft zwischen Arm und Reich und verschärft die soziale Ungerechtigkeit. Wir tolerieren Maßlosigkeit, Ungerechtigkeit und Krieg, weil uns nicht bewusst ist, dass die Menschheit als eine Familie leidet. Während der Rest der Menschenfamilie leidet und hungert, ist das Genießen von falschen Sicherheiten und Wohlstand eine Selbsttäuschung.

VERBUNDEBHEIT
Es ist ganz klar, dass das Schicksal jedes Individuums untrennbar mit dem Schicksal der ganzen Menschheit verbunden ist. Wir müssen andere leben lassen, wenn wir selbst leben wollen. Die einzige Alternative zu Ko-Existenz ist Ko-Nichtexistenz. Eine Zivilisation, in der wir andere töten und ausbeuten müssen, um zu leben, ist keine gesunde Zivilisation. Um eine gesunde Zivilisation zu schaffen, müssen alle denselben Zugang haben zu Bildung, Arbeit, Nahrung, Obdach, Menschenrechten, sauberer Luft und sauberem Wasser und die Möglichkeit haben, frei zu reisen und sich überall auf der Welt niederzulassen. Politische und wirtschaftliche Systeme, die diese Rechte verweigern, fügen der ganzen Menschenfamilie Schaden zu. Ein Bewusstsein dafür, was der Menschenfamilie geschieht, ist notwendig, um die bereits angerichteten Schäden zu beheben.

Um Frieden innerhalb der Menschenfamilie zu schaffen, müssen wir uns für harmonische Koexistenz einsetzen. Wenn wir uns selbst weiterhin vom Rest der Welt absondern, uns in unseren engstirnigen Belangen und unmittelbaren Problemen vergraben, werden wir kaum Frieden schaffen können, werden nicht überleben. Die Menschheit ist Teil der Natur. Diese Einsicht brauchen wir, wenn wir eine Harmonie zwischen Menschen und Völkern erreichen wollen. Grausamkeit und zerrüttete Verhältnisse zerstören die Harmonie der Menschenfamilie und zerstören die Natur. Zu den erforderlichen heilenden Maßnahmen gehört eine Gesetzgebung, die uns und der Natur gegenüber gewaltlos ist; dies wird uns davor bewahren, grausam und zerstörerisch zu sein.

Jedes Individuum und die gesamte Menschheit sind Teil der Natur und sollten in Harmonie mit der Natur leben. Die Natur kann grausam und zerstörerisch sein. Doch wir müssen die Natur so behandeln, wie wir uns als Individuen und als Menschenfamilie behandeln. Wenn wir die Natur zu unterdrücken und zu beherrschen versuchen, wird sie dagegen rebellieren. Wir müssen eng mit der Natur befreundet sein, um gewisse Aspekte von ihr zu handhaben und Harmonie zwischen uns und unserer Umwelt zu schaffen. Das erfordert ein genaues Verständnis der Natur. Taifune, Wirbelstürme, Dürreperioden, Fluten, Vulkanausbrüche, die starke Zunahme schädlicher Insekten – dies alles stellt eine Gefahr für das Leben dar. Wir können die Zerstörung durch Naturkatastrophen aber dadurch weitgehend verhindern, dass wir von Beginn an mit dem Grund und Boden arbeiten und nur solche Planungen umsetzen oder Entscheidungen treffen, die die Eigenart des Bodens berücksichtigen, statt dass wir durch den Bau von Dämmen oder die Abholzung der Wälder und anderer Eingriffe und Verfahrensweisen, die am Ende mehr Schaden anrichten, vollständige Kontrolle über das Land zu erringen suchen.

fuer-unsere-zukunft01„DAS WUNDER IST NICHT ÜBER WASSER GEHEN ZU KÖNNEN.
DAS WUNDER IST, ÜBER GRÜNE ERDE ZU GEHEN,
TIEF IN DEN GEGENWÄRTIGEN AUGENBLICK EINZUTAUCHEN
UND SICH WIRKLICH LEBENDIG ZU FÜHLEN:“

Ein Beispiel dafür, was geschieht, wenn wir die Natur im Übermaß kontrollieren wollen, ist der exzessive Gebrauch von Pestiziden, durch den unterschiedslos viele Insekten und Vögel umkommen und das ökologische Gleichgewicht durcheinander gebracht wird. Ein ökonomisches Wachstum, das durch Verschmutzung und Erschöpfung nicht erneuerbarer Ressourcen verheerende Auswirkungen auf die Natur hat, hinterlässt eine Erde, auf der niemand mehr leben kann. Von einem ökonomischen Wachstum dieserart mögen zeitweilig einige Menschen sogar profitieren, doch in Wirklichkeit zerstört es die Natur als Ganzes.

Die Harmonie und das Gleichgewicht innerhalb der Individuen, der Gesellschaft und der Natur werden zerstört. Die Einzelnen sind krank, die Gesellschaft ist krank und die Natur ist krank. Wir müssen die Harmonie und das Gleichgewicht wiederherstellen, aber wie? Wo können wir mit der Heilung beginnen – beim einzelnen Menschen, in der Gesellschaft oder der Umwelt? Wir müssen in allen drei Bereichen tätig sein.

HEIL SEIN – GANZ SEIN
Von den drei Bereichen – Individuum, Gesellschaft und Natur – ist es das Individuum, das Veränderung und Wandel initiiert. Doch um das bewirken zu können, muss das Individuum ganz sein. Und da dies ein Umfeld erfordert, das der Heilung förderlich ist, muss der oder die Einzelne einen Lebensstil wählen, der frei von Destruktivität ist. Beides ist wichtig: unser Bemühen, uns selbst zu verändern, und unser Bemühen, die Umwelt zu verändern; eins kann nicht ohne das andere geschehen. Wir wissen, wie schwierig es ist, die Umwelt zu verändern, wenn die Einzelnen nicht in einem Zustand des Gleichgewichts sind. Unsere seelische Gesundheit erfordert, dass unser Bemühen, unsere Menschlichkeit zurück zu gewinnen, Priorität haben sollte.

Unsere seelische Gesundheit wiederherzustellen bedeutet nicht, dass wir uns an die moderne Welt schnellen ökonomischen Wachstums anpassen sollten. Die Welt ist krank, und sich an eine ungute Umgebung anzupassen, kann nicht wirklich der Gesundheit förderlich sein. Viele Menschen, die eine Psychotherapie brauchen, sind tatsächlich Opfer des modernen Lebens, das uns voneinander und vom Rest der Menschenfamilie trennt. Ein hilfreicher Weg mag sein, aufs Land zu ziehen, wo wir den Boden kultivieren, unser eigenes Gemüse anbauen, unsere Kleidung in einem sauberen Fluss waschen und in einfachem Stil leben können, so wie Millionen Bauern überall auf der Welt.

Damit Psychotherapie wirksam sein kann, brauchen wir Veränderungen in unserer Umwelt. Politische Aktivitäten sind ein Weg, aber sie sind nicht der einzige. Sich selbst durch immer mehr Konsum zu betäuben ist kein Weg. Die Vergiftung unseres Ökosystems, das Explodieren von Bomben, die Gewalt in unserem Umfeld und in unserer Gesellschaft, der Zeitdruck, der Lärm und die Verschmutzung, die Vereinzelung – all das wird durch die Art unseres ökonomischen Wachstums geschaffen, und alles dies sind Ursachen seelischer Erkrankungen. Was immer wir tun können, um diese Ursachen zu beenden, ist präventive Medizin.

Wenn wir unserer seelischen Gesundheit oberste Priorität einräumen, bedeutet das, dass wir unsere Verantwortung für die ganze Menschenfamilie erkennen müssen. Wir müssen andere davor bewahren helfen, krank zu werden, während wir zur selben Zeit unsere Menschlichkeit bewahren müssen. Wir sind alle Menschen, ob wir nun Mönche, Nonnen, Lehrer, Therapeutinnen, Künstler, Tischlerinnen oder Politiker sind. Wenn wir das, was wir andere versuchen zu lehren, nicht auf uns selbst anwenden, werden wir seelisch krank. Wenn wir einfach so weiterleben, mit dem Strom schwimmen, werden wir bald Opfer von Angst, Sorgen und Egoismus.

Ein Baum enthüllt sich einer Künstlerin, wenn diese eine besondere Beziehung zu ihm herstellt. Viele von uns können Dinge nicht sehen, weil wir nicht ganz wir selbst sind. Wenn wir ganz wir selbst sind, können wir erkennen, dass ein Mensch, der vollständig lebt, uns zeigen kann, dass Leben möglich ist, dass eine Zukunft möglich ist. Achtsamkeit zu praktizieren und tief in die Natur der Dinge zu schauen bedeutet, deren Natur zu entdecken, die Natur des „Interseins“. Wir finden Frieden und können die Stärke entwickeln, die wir brauchen, um mit allem in Berührung zu sein. Mit diesem Verständnis können wir die Arbeit der liebevollen Fürsorge für die Erde und füreinander lange Zeit fortsetzen.

BUCH-TIPP
Thich Nhat Hanh
Die Welt ins Herz schließen
141 Seiten, € 18,00
ISBN: 978-3899012026
Aurum in J.Kamphausen