Suchende des westlichen Kulturkreises verirren sich immer wieder auf den gewundenen Pfaden buddhistischen Glaubens. Das liegt nicht so sehr an der Sache selbst, sondern an jeder einzelnen Person, die sich berufen fühlt, diesen Weg zu beschreiten. Sylvia Kolk, einst Schülerin der buddhistischen Nonne Ayya Khema, heute Meditationslehrerin, lehrt seit 14 Jahren die buddhistische Praxis in Deutschland. Ihren Erfahrungsschatz hat sie nun in einem Ratgeber herausgebracht.
„Segeln im Sturm“ heißt das Buch der gebürtigen Kölnerin, das auf Einzelvorträgen basiert, die im Laufe ihrer Lehrtätigkeit entstanden. Die Auswahl der Texte kreist um die vielen Missverständnisse und Verwirrungen, die dem Wanderern auf dem spirituellen Weg begegnen können. Die Erfahrungen Sylvia Kolks sind im Buddhismus, in der Theravada-Tradition*, beheimatet. Ihr Buch richtet sich jedoch an alle, die in ähnlich gelagerten spirituellen Richtungen unterwegs sind. Die Stationen, die sie beschreibt sind so allgemeingültig, dass jeder den einen oder anderen weisen Ratschlag für sich darin finden mag.
Eine spirituelle Reise birgt stets Risiken. Schließlich geht es um das Rühren an unser tiefstes Sein, unsere Gefühle und Glaubensinhalte. Das Verschieben unseres Bewusstseins auf andere Ebenen als die gewohnten kann unser ganzes Leben durcheinander bringen – physisch als auch psychisch.
Deshalb ist es immer wieder wichtig, innezuhalten auf dem Weg und zu überprüfen, ob man alle erlernten Dinge auch wirklich in die Tat umsetzt. Unsere gewohnten Denkstrukturen und emotionalen Reaktionsmuster sollten stets im Auge behalten werden. Für Sylvia Kolk besteht darin sogar ein ganz grundsätzliches Bewegungsmuster durch die Phasen spiritueller Praxis. „Wir entwickeln uns beständig aus engen und begrenzten Perspektiven heraus dahin, unterschiedliche und umfassendere Sichtweisen zuzulassen und einzunehmen“, schreibt sie. Die auf der dualistischen Sichtweise des Verstandes aufbauenden gewohnten Denkstrukturen sind typische Stolpersteine, die den spirituellen Adepten schnell ins Beurteilen und Vergleichen rutschen lassen. Sie können dazu führen, dass aus einem erstrebten neutralen inneren Beobachter ein kritischer Richter wird, der andere oder auch einen selbst ständig verurteilt.
Eine andere Herausforderung besteht im richtigen Abwägen, wieviel Offenheit und Mitgefühl für die eigene Persönlichkeitsstruktur von Vorteil sind. Eine Person, die nicht gelernt hat, selbstverständlich Grenzen zu setzen, tut meist besser daran, sich erst einmal um das Erlangen dieser notwendigen Fähigkeit zu bemühen. Gerne flüchten sich Menschen dieses Typs in karitative Tätigkeiten, um ihrer eigenen Angst zu entkommen.
Der Umgang mit schwierigen Emotionen ist ein weiteres Gebiet, in dem man sich gut verlaufen kann. Das Akzeptieren und Annehmen derselben braucht Geduld und Disziplin. Damit einher geht das Übernehmen der Verantwortung für die eigenen Emotionen. Denn nichts ist leichter, als die Verantwortung dafür anderen oder den Umständen zuzuschieben. Das Leiden, das man in einer bestimmten Situation empfindet, resultiert jedoch in erster Linie aus unserer Bewertung der Umstände und unseren Reaktionen darauf.
Scheitern, Fehltritte und Ängste sind Teil jedes spirituellen Weges. Sie dürfen nicht als Makel oder Versagen gedeutet werden. „Gerade in den Momenten, wo es dem spirituell Suchenden deutlich bewusst wird, dass er wieder einmal vollkommen selbstgewiss einem Irrlicht gefolgt ist, liegt auch der größte Fortschritt“, schreibt Kolk. Grundsätzlich ist es unerlässlich, sich allem Auftauchenden aus dem eigenen Innern bewusst zu werden und es achtsam zu behandeln. Die Autorin betont, dass die Integration aller aufkommenden Gefühle und Gedanken das Kernstück spiritueller Praxis bilden. Integration bedeutet Überwindung. „Nur durch Integration dessen, was uns bedrückt, was wir ausgrenzen oder verdrängen, können wir frei werden. Der Weg führt über die Metta-Praxis (Liebe, Mitgefühl, Freude, Gleichmut), die Achtsamkeitspraxis (Satipatthana) und die Schulung der geistigen Ruhe (Samatha) zur Einsicht (Vipassana)“, führt sie aus.
Wenn wir z.B. bei allem Gedankenchaos und Gefühlsgewirr achtsam bleiben können, ohne uns mitreißen zu lassen, dann haben wir gelernt, wie man „im Sturm segelt“ wie Sylvia es sinnbildlich ausdrückt. „Eines Tages bleiben wir selbst bei einer heftigen Gedankenflut auf Kurs, und nach und nach erfahren wir zunehmend ausgeglichenere Wetterlagen“.
Will ein Praktizierender wissen, was er zu integrieren hat, gibt ihm die Autorin einige leichte aber doch tiefgehende Fragen an die Hand, die ihm weiterhelfen sollen – so zum Beispiel: Was willst du auf alle Fälle auf dem spirituellen Weg loswerden? Oder: Was magst du nicht an dir? Wird ein spiritueller Weg als Flucht benutzt, ist ein wiederholtes Scheitern fast vorprogrammiert – bis man seinen ungeliebten Inhalten ins Auge schauen kann.
Sylvia Kolk beschreibt anschaulich die verschiedenen Phasen, in denen sich jeder spirituell Praktizierende beizeiten wiederfindet. Sie sieht diese Phasen als einen Prozess an, der spiralförmig durchlaufen wird. Bei jeder Stufe in eine neue Spiralwindung wird Altes losgelassen. Und jedesmal taucht an dieser Stellte Angst vor dem ungewissen Neuen auf. Und auch diese will integriert sein. So bewegt man sich weiter, Runde um Runde: Von der anfänglichen Begeisterung zu Erwartungen, Idealisierungen, den ersten Enttäuschungen, hin zu Zweifeln, Distanzierung von der Lehre oder dem Lehrer, Blockaden und dem schließlichen Erkennen all dessen, womit der Integrationsprozess eingeläutet wird und der Kreis sich schließt. Im Prinzip gleicht dieser Kreislauf allen Zyklen im Leben, die uns zur Weiterentwicklung vorantreiben. Evolution eben…
Hürde für Hürde wird so idealerweise überwunden. Doch was soll am Ende überhaupt überwunden werden? Kolk erklärt, dass es weder um das Vernichten des Ego noch des darunter liegenden Selbst gehe. Das Ich sei für das verantwortungsvolle Agieren in der Alltagswelt notwendig. Nur die Aufspaltung zwischen Ego und Selbst solle überwunden werden, indem sich eine neue Perspektive auf die Welt einstellt. Das Beziehen aller Gegebenheiten auf sich selbst darf früher oder später reinem Gewahrsein Platz machen, ein Bewusstsein, das keine Grenzen mehr zwischen Ich und Ich, Ich und Du kennt, sondern nur noch die sich ständig verändernde Struktur allen Lebens, aller Prozesse und Phänomene.
Eine schöne buddhistische Praxis, sich dem Zustand reinen Gewahrseins zu nähern, ist die Praxis der Wertschätzung. Wenn wir uns im Wertschätzen unserer selbst und anderer üben, erkennen wir die Einzigartigkeit in uns und jedem Menschen. Wir werden dadurch wahrhaftig, ehrlich. Das Würdigen positiver Aspekte stellt für viele eine nicht zu unterschätzende Aufgabe dar. Doch Wertschätzung birgt einen heilenden Effekt, der uns in einer Welt der Isolation und Abgrenzung die nötige Kraft gibt, die wir auf unserem Weg brauchen.