Eckhart Tolle und die Leichtigkeit des Seins

Im gegenwärtigen Augenblick liegt unser ganzes Glück. Eckhart Tolle vertritt eine Lehre ohne Regeln und Dogmen und erfreut sich dabei größter Beliebtheit. Seine Bücher sind Bestseller, seine Vorträge stets im Voraus ausgebucht. Was macht diesen Tolle-Kult aus?

„Es gibt keinen Buddha und keinen Jesus, sondern nur das Bewusstsein, das durch manche Menschen hindurchscheint und manchmal die Form von Worten annimmt“, erklärt Eckhart Tolle. Und mitunter, so sinniert er, ist jemand dabei durchscheinend genug geworden, dass er als Person völlig unbedeutend geworden ist.

Der bekannte Buchautor und Seminarleiter verkündet weder eine bestimmte Religion noch Glaubensrichtung. In seiner Welt reichen sich stattdessen buddhistische, taoistische, christliche und mystische Elemente friedlich die Hand und stimmen gemeinsam den Ton an, der ihnen allen eigen ist, den Ton des All-Einen, des Seins hinter dem Schleier der Illusionen. Glauben ist für ihn keine spirituelle Qualität. „Jeder Glaube ist ein Gedankengebäude“, betont er, und sei lediglich Verstandessache, eine Verhaftung an die Form. Für ihn ist Spiritualität die formlose Dimension im Menschen, das reine Bewusstsein.

Tolles Aussagen sind so einfach und klar, dass es immer wieder erstaunt, wie dabei von jener tief greifenden Wahrheit die Rede sein kann, die allen spirituellen Lehren zugrunde liegt. Und doch ist diese Wahrheit eigentlich gar nicht kompliziert oder nur durch Übung erreichbar. Sie ist das, was immer da ist, jenseits aller Gedanken: das ewige Jetzt, die Stille. Der Impuls des Erreichens schießt bereits über das Ziel hinaus, da ein Erreichen immer in der Zukunft liegt, die laut Tolle auch nur eine Gedankenform ist.

Deshalb lautet seine Formel: Sei vollkommen im Hier und Jetzt! Gegenwärtigkeit unterbricht den pausenlosen Gedankenstrom des Verstandes, der unser wahres Selbst verdeckt – ein Selbst, das keinen Dualismus, keine Trennung in Gegensätze kennt. „Du bist nicht dein Verstand“, betont Tolle immer wieder. Wir sind viel mehr als das. Wir sind der unendliche Augenblick, der nichts kennt als das Sein. Wir sind das Meer, nicht nur die Welle.

Vollkommen im Hier und Jetzt zu sein, das klingt einfach. Doch in der Praxis erkennt man schnell, wie sehr unser Verstand das Kommando übernommen hat. Durch das ständige Quasseln unserer inneren Stimme verpassen wir nur allzu oft den gegenwärtigen Augenblick. Egal, wie unsere Lebenssituation aussieht, das Bemerken des Gedankenfilms in unserem Kopf führt geradewegs zu einem Aha-Erlebnis.

„Die Situation ist, was sie ist. Deine Gedanken dazu machen sie erst zu etwas Negativem oder Positiven“, sagt Tolle. Der Verstand an sich ist dabei gar nicht das Problem, sondern unsere Identifikation mit ihm. Wenn wir lediglich bewusst beobachten, was sich abspielt, ohne zu urteilen und zu bewerten, dann haben wir diese Identifikation außer Kraft gesetzt. Identifizieren wir uns hingegen mit unseren Gedanken und Gefühlen, so entsteht Widerstand und oft auch Krankheit. Die Hingabe an den jeweiligen Augenblick, das Akzeptieren der Umstände ist somit der erste Schritt. Eine wirksame Methode, die Tolle empfiehlt, um in die Gegenwärtigkeit zu gelangen, ist „seinen inneren Körper spüren“. Man richtet seine Aufmerksamkeit ganz auf den Körper und erspürt dessen Energien. „Je stärker ich mir des inneren Körpers bewusst bin, desto weniger denke ich“, sagt er.

Eckhart Tolle erging es ursprünglich nicht anders als vielen von uns. Er verbrachte die ersten dreizehn Jahre seines Lebens in Deutschland. Danach ging er für einige Zeit nach Spanien, siedelte später nach England über, studierte dort an der University of London und war schließlich an der Cambridge University tätig. Nach außen hin eine erfolgreiche Lebensgeschichte. Aber im Innern von Eckhart Tolle sah es ganz anders aus. Er schreibt, dass bis zu seinem 29. Lebensjahr Angstgefühle und Depressionen seinen Alltag bestimmten.

Eines Nachts fühlte er sich so sehr von seinen negativen Gedanken beherrscht, dass er „nicht mehr mit sich leben wollte“. Und genau dieser eigentümliche Gedanke war es, der sein Bewusstsein öffnete. Ihm wurde klar, wie gespalten unser „Selbst“ ist. Der Grundstein für seine Lehre war gelegt. In jener Nacht erlebte Tolle eine vollständige Transformation. Etwas geschah mit ihm, das er sich damals noch gar nicht erklären konnte, das er aber im Nachhinein als Erleuchtung erkannte: Ein unendlicher Frieden war in ihn eingekehrt, eine Ruhe und Heiterkeit, die ihn bis heute nicht verlassen haben.

Eckhart Tolle erzählt, dass bei ihm der sogenannte Schmerzkörper besonders ausgeprägt war. Dieser ist im Grunde die Summe unserer angesammelten Schmerzerfahrungen. Fast wie eine eigene Wesenheit besetzt dieses unsichtbare negative Feld unseren Körper und Verstand. Da der Schmerzkörper überleben will, greift er stets zu Tricks, um an neue „Nahrung“ zu gelangen. Und Nahrung ist für ihn Leid in Form von Depression, Drama, Streit bis hin zu Krankheit. Einmal aktiv, wird der Schmerzkörper alles daran setzen, dass wir entweder Leid erzeugen oder erleiden.

Aber der Schmerzkörper hat laut Tolle „Angst vor dem Licht unserer Bewusstheit“. Er schrumpft in dem Augenblick zusammen, in dem wir ihn direkt bewusst betrachten. Trotzdem hat Leiden auch noch eine ganz andere Bedeutung für Tolle: das Erwachen selbst. „Jeder Mensch hat einen spirituellen Lehrer und der heißt Leid“, betont er. Leid wird zwar vom Ego, vom Verstand hervorgerufen, aber paradoxerweise zerstört es letztlich auch das Ego, wenn wir die Identifikation mit dem Leid aufgegeben. „Und das Schöne an einer spirituellen Lehre ist: Sie beschleunigt diesen Prozess, in dem der Mensch das Leiden als spirituellen Lehrer nicht mehr benötigt“, ergänzt Tolle.

Ob man Eckhart Tolle live erlebt, seine Stimme auf CD hört oder in seinen Büchern liest, immer erlebt man diese Erleichterung, diese Freude. Man kommt zu sich, wird ruhig und hat Teil an diesem Wunder des Jetzt. Er selbst meint, dass nicht die Worte, sondern die Stille wichtig ist. Deshalb lesen seine Fans immer wieder in seinen Büchern. „Durch das Lesen tritt man in den Bewusstseinszustand der Gegenwärtigkeit ein“, erklärt Tolle. Denn die Worte wirken auch auf energetischer Ebene: „Wenn jemand das Buch aufmacht und die innere Offenheit dafür da ist, kann es die Wirkung haben, dass es den gleichen Bewusstseinszustand im Leser hervorruft, aus dem das Buch geschrieben wurde.“

Und Eckhart Tolle schreibt und spricht immer aus der Stille. So hält er seine Vorträge vollkommen frei, ohne Konzept und mit einer Prise dieses feinen englischen Humors und erntet am Ende tosenden Beifall und Standing Ovations. Kein Wunder, Tolle lässt uns teilhaben an seiner Leichtigkeit des Seins!

Weitere Informationen unter:
www.eckharttolle.com
www.eckharttolle.de

BUCH-TIPP
Tolle, eckhard
JETZT! Die Kraft der Gegenwart
237 Seiten, € 19,50
ISBN: 3-933496-53-5