Im achten Teil der Reise durch die 22 Karten der Großen Arkana erreicht der Narr einen besonderen Ort: den Turm. Das himmelhohe Bauwerk symbolisiert einen Höhepunkt und steht gleichzeitig für Schutz und allumfassenden Überblick – es birgt aber auch Gefahren wie Überheblichkeit, Größenwahn, Verhärtung und Zerfall in sich, denn jeder Turm stürzt einmal ein. Aufgrund der großen symbolischen Bedeutung des Turmes widmen wir diese Folge unserer Tarot-Reihe ganz jener einen Karte, wieder im Vergleich von zwei beliebten Tarot-Systemen, um zu zeigen, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede es in der Darstellung und Deutung der Karten gibt. Das Universal Waite Tarot stellen wir in der Deutung des Tarot-Experten Hajo Banzhaf vor und das ungewöhnliche und wunderschöne Dalí Tarot in der Deutung des Verlegers und Symbolexperten Johannes Fiebig.
In seinem Vortrag „Vom Turmbau zu Babel bis zu den Zinnen Hogwarts“ (Tarot- Kongress 2008) hat sich Johannes Fiebig intensiv mit dem Turm als Symbol in Märchen, Mythen und Träumen auseinandergesetzt. Menschlicher Größenwahn, aber auch das Bestreben, dem Himmel möglichst nahe zu sein, spiegeln sich laut Fiebig im Motiv des Turmes wider.
„Türme dienen der Sicherheit und der Orientierung (als Aussichts- und Leuchtturm)“, sagt Fiebig, „sie nehmen gefangen (Rapunzel), sie bieten Schutz und Exil in harten Zeiten (Jungfrau Maleen). Türme können Zeichen der Realitätsferne (Elfenbeinturm) und der Selbstvergötterung, aber auch Symbole besonderer ‚Höhepunkte’ und ‚Gipfelerlebnisse’ sein. Der Turm als berstender Turm oder auch als Sprungturm wird zur Chiffre des modernen, ‚ins Leben geworfenen’ Menschen und verhilft darüber hinaus zu einer Neubegegnung mit dem Heiligen in der Überwindung von Tabus und Vorurteilen.“ Damit spannt Fiebig einen Bogen, der vom Turm zu Babel bis hin zu den Trümmern der Twin Towers in New York reicht, deren Einsturz nach den Terror-Anschlägen des 9. Septembers auch gerade wegen der äußerst starken symbolischpsychologischen Komponente eine so grundlegende, weltweite Wende einleitete. Gleichzeitig werden vor allem in der arabischen Welt – wie etwa in Dubai – neue, immer höhere Türme als Wahrzeichen und Symbole der Macht aus dem Boden gestampft.
Für Fiebig bestimmen zwei Aspekte die Bedeutung der entsprechenden Tarot- Karte: Der Turmbau zu Babel und das Pfingsterlebnis. Dabei steht der Turmbau zu Babel für den menschlichen (männlichen?) Größenwahn. Das Ergebnis ist am Ende nicht nur der Einsturz des Turms, sondern auch die „babylonische Sprachverwirrung“: Die Menschen verstanden einander nicht mehr.
An Pfingsten erinnern die goldenen Feuerzungen, die in vielen Tarot-Decks den Turm umgeben. Das Pfingstereignis stellt die Umkehrung des Turmbaus zu Babel dar: Der „Heilige Geist“ kommt in Gestalt von Feuerzungen auf die Jünger herab, diese beginnen zu reden und jeder hört sie in der eigenen Muttersprache sprechen. Anstelle der Sprachverwirrung tritt hier also die Aufhebung der Sprachund Verständigungsgrenzen.
Babel und Pfingsten – laut Fiebig sind sie zwei gegensätzliche Pole der Nutzung der höchsten Energie, die uns zur Verfügung stehen. Zwei ganz verschiedene Arten „aus dem Häuschen“ zu geraten: Gewalt zerstört und führt zu Sprachlosigkeit und Verwirrung. Liebe hingegen hebt die Sprachbarrieren auf und ermöglicht eine Verständigung über alle Grenzen hinweg.
XVI Der Turm
(Universal Waite): Durchbruch
Motiv:
In einem schlanken, hohen Turm hat der Blitz eingeschlagen und die Krone abgeworfen. Aus den Fenstern schießen Flammen und zwei gekrönte Menschen stürzen in die Tiefe. Am Gewitterhimmel sind 22 Flammen zu sehen.
Deutung:
Der schmale Turm bedeutet zu enge Verhältnisse, die aufgebrochen werden. Die nach oben geschlossene Krone symbolisiert Selbstgefälligkeit und die Weigerung, eine höhere Autorität anzuerkennen. Der Blitz ist entweder ein Fingerzeig Gottes, ein von außen kommendes „umwerfendes“ Ereignis oder er steht als Blitz der Erkenntnis für eine plötzliche, befreiende Einsicht. Ganz allgemein steht die Karte für Umbruch, Konflikte und den Zusammenbruch alt vertrauter, aber verkrusteter Verhältnisse. Sie kann auch für das Sprengen von Ketten oder für dramatische Befreiungsaktionen stehen.
In Liebe und Beziehung steht sie möglicherweise für Beziehungskrieg, plötzliche Erschütterungen oder unangenehme Überraschungen. Im Beruf kann der Turm für eine Kündigung stehen, für das Zerplatzen eines Projekts, aber auch für das Ausbrechen aus eingefahrenen Bahnen.
Als guter Rat:
Treten Sie aus der Enge heraus. Lassen Sie die Bombe hochgehen und sprengen Sie den alten Rahmen. Überwinden Sie das, was Sie gefangen hält und wagen Sie einen neuen Anfang.
XVI Der Turm
(Dali Tarot): „High Energy“
Botschaft:
Die Karte warnt vor Größenwahn und mangelnder Standhaftigkeit. Es kann zu Erschütterungen kommen, doch da ist auch die Ermutigung, persönliche Ein-wände und Vor-wände – den eigenen Elfenbeinturm – aufzugeben, wenn die Zeit dafür reif ist. Ansonsten droht der unfreiwillige und plötzliche Absturz, bei dem man „aus allen Wolken fällt“.
Die Karte steht allerdings auch für die Lust der Höhepunkte, für den freiwilligen Sprung aus den Wolken, für ein positives „Sich-Fallenlassen“ („Riders on the storm“). Mit Hilfe des Turms sind wir den Sternen nah und können gleichzeitig den Überblick über unser vor uns liegendes irdisches Leben neu gewinnen.
Praxistipps:
Setzen Sie Ihre ganze Energie ein! Sie gewinnen mehr Liebe und Sie schützen sich umso besser vor gewaltsamen Zumutungen, je bewusster Sie mit Ihren „Hochenergien“ umgehen. Riskieren Sie mehr Direktheit! Der Sprung aus den Wolken steht auch für die Lust, sich ganz einzubringen, auch und gerade weil völlig offen und außerhalb jeder Betrachtung bleibt, ob und wie eine Landung stattfindet.
BUCH-TIPP: |
Hajo Banzhaf |
‚Universal Waite ganz einfach‘ |
316 Seiten mit 78 Universal Waite Tarot Karten, € 16,90 |
ISBN 978-3-03819-310-4 |
Johannes Fiebig |
‚Dalí Tarot‘ |
192 Seiten und 78 Karten, € 24,90 |
ISBN 978-3-89875-916-1 |
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