Glück, das klingt nach Zufall, nach einem Prinzip, das sich uns nach unbekannten Parametern nähert, um auf ebenso unerklärliche Weise davonzutreiben. Deshalb gibt es die Bezeichnung „Glückspilz“ oder „Unglücksrabe“, und deshalb gibt es Ehrgeiz und Neid. Doch wer Glück als einen unabhängigen Zustand im eigenen Innern kennen lernt, der erkennt, dass dieses Phänomen mehr als eine unzuverlässige Begegnung ist.
Die Vorläufer des Glücksbegriffs in der deutschen Sprache sind erst im ausgehenden Mittelalter zu finden. Das Wort „Glück“, das auf die germanischen Wortformen „gilukki“ und „(ghe)lucke“ zurückgeht, ist auch die Wurzel für das englische „luck“ und knüpft an das althochdeutsche „luhhan“ an. Von hier aus wurde die Wortbedeutung von Glück als die „Art, wie etwas schließt oder ausläuft“ bestimmt. Erst im Laufe der Entwicklung bekam der Begriff die positive Bedeutung im Sinne von „was gut ausgeht“. Die weiteren heutigen Wortbedeutungen, vor allem Glück im Sinne von positivem Zufall oder gar einem inneren Gefühl der Zufriedenheit, sind erst später dazugekommen.
Studien zur Ermittlung des internationalen Glücksindexes haben ergeben, dass die Menschen in den am wenigsten zivilisierten Ländern sich im Durchschnitt glücklicher ansehen als Menschen in den Industrienationen. Während wenig wohlhabende Menschen bereits für die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse dankbar sind, herrscht in Gesellschaften, die unter den Bedingungen der Marktwirtschaft gedeihen, eine grundlegende Unzufriedenheit vor, die stets nach mehr verlangt.
Aus der Erkenntnis, dass im „Mehr“ nicht ein höheres Maß an Glück oder Glücklichsein zu finden ist, wenden sich Menschen der westlichen Welt immer wieder und immer öfter auf verschiedensten Wegen der Suche nach dem Glück zu. Es scheint fast, dass erst das Erlangen und Auskosten sämtlicher äußerlicher Annehmlichkeiten dazu führt, dass der Mensch sich irgendwann auf die Suche nach einer weniger endlos scheinenden Schleife seiner Wunschbedürfnisse sehnt. Jedes Wünschen bringt meist – nach einer gewissen Zeitspanne, in der die Freude über das Erlangte verblasst – einen neuen Wunsch hervor. Das Wünschen an sich ist ja meist Ausdruck innerer Unzufriedenheit.
Somit ist eine Wendung nach Innen unvermeidlich. Dabei ist eine Bestandsaufnahme innerer Prozesse unerlässlich. Dass unsere innere Haltung unsere äußere Wahrnehmung prägt, dürfte inzwischen bis zu allen spirituell Interessierten durchgedrungen sein. Die Lektüre zu den Besonderheiten und Gesetzen der Resonanz als energetische Gegebenheit in unserem Universum ist inzwischen zahlreich und vielfältig. Die Grundaussage: Alles, was wir energetisch aussenden – Gedanken, Gefühle – wird ein Stück der eigenen Realität. Lenkt man diese Energien, wird man seines Glückes Schmied.
Wer in Harmonie mit den Wirkprinzipien dieses kosmischen Gesetzes lebt, kann in sich ein Gleichgewicht herstellen, das durchaus als Glückszustand empfunden werden kann. Trotzdem ist dieses Glück nicht eine sich nahtlos aneinanderreihende Kette von schönen Momenten. Immer wieder tauchen dunkle Wolken am Horizont auf, da wir als Menschen nun einmal sich stetig wandelnde Wesen sind, die sich stetig wandelnden Umweltbedingungen unterworfen sind. Erfahrungen aus früheren Zeiten, die (meist unterbewusst) in aktuelles Erleben hinein spielen, stellen dabei eine besondere Herausforderung dar. Dieter Broers, Wissenschaftler und Autor zahlreicher Bücher zu den energetischen Aspekten unserer Umwelt und unseres Lebens, beschreibt in seinem neuesten Buch „Der Glückscode“ anschaulich die Mechanismen, mittels derer wir unser Glück innerlich boykottieren. Ein vielfach vertretenes inneres Glücksverbot wird beispielsweise von Schuldgefühlen kreiert. Wer in frühen Jahren gelernt hat, dass Fleiß und nicht Spaß, Pflicht und nicht Spontaneität wichtig sind, der wird sich später ganz nach diesen gut eingeprägten Regeln richten. Wird ein Kind etwa während eines besonders freudigen Moments von den Eltern argwöhnisch in die „harte Realität“ beordert, kann dieses Erlebnis noch etliche Jahre später seine Spuren hinterlassen. Ist diese Vorgehensweise eine tägliche Prozedur, so lernt das Kind schnell, was von ihm verlangt wird und was es zu unterlassen hat.
Das kindliche Bewusstsein ist viel offener und beeinflussbarer als das eines Erwachsenen, so dass Erfahrungen aus dieser Zeit eine große Macht haben. Die Haltung und Einstellung der Eltern bekommen Kinder selbst ohne Worte deutlich mit. Auf emotional-energetischer Ebene verbringen sie einen Großteil ihrer Zeit in dieser familiären Gefühlsmatrix, die zur Gewohnheit wird, zum Inbegriff von „zu Hause sein“. Ein Vater, der Freude für Luxus oder sogar verachtenswert hält, wird sein Kind nicht wirklich ermuntern können, Freude zu einem erstrebenswerten Ziel im Leben zu machen. Sein ganzes Verhalten wird dem Kind etwas Gegenteiliges vermitteln. Das kann beim späteren Erwachsenen dazu führen, dass aufkommender Freude mit Schuldgefühlen und Selbstbestrafung begegnet wird. Aus diesem Grund, erklärt Broers, bleiben Menschen in Verhältnissen, die ihnen keine Freude bringen oder gar seelische oder körperliche Verwundungen zufügen.
Um sich dieser Muster bewusst zu werden, muss meist ein gewisser Leidensdruck bestehen. Wenn die Unfähigkeit, glücklich zu sein, zu groß wird, oder die äußeren Umstände ein Maß an Unerträglichkeit übersteigen, entwickelt sich der Wille, etwas zu ändern, sich der Ansammlung von Erfahrungen und Indoktrinationen, die das „Selbst“ bilden, mit allen ihren Facetten zu stellen. Das erfordert viel Mut. Wer schaut schon gerne alten unangenehmen Erfahrungen ins Auge.
Heißt dies jedoch, dass man ohne eine gründliche Selbstanalyse nicht glücklich wird? Wie war das doch gleich mit den weniger zivilisiert lebenden aber glücklichen Menschen? Sind wir Westler anspruchsvoller? Oder heilungsbedürftiger? Immer müssen wir etwas verbessern, loswerden, auflösen, als seien wir auf einer ewigen Schnitzeljagd. Finden wir dabei letztendlich wirklich Glück? Liebe? Oder nähren wir doch nur wieder Gefühle der Unzulänglichkeit, der Unzufriedenheit, während wir äußerlich nach positiven Gefühlen jagen?
Broers warnt davor, Liebe und Gefühl zu verwechseln. Gefühle sind flüchtige vorbeiziehende Phänomene, und sie können durchaus künstlich in uns produziert werden. Eine ganze Bewusstseinsindustrie lebt davon, Filme, Werbung, Musik. Gefühle können auch süchtig machen. Die Sucht wird dabei von unseren Erfahrungen und Gewohnheiten bestimmt. Wer große Gefühle nur im Streit und Ärger erlebt hat, wird diese später in denselben Situationen suchen – solange er noch in den alten Mustern gefangen ist. Doch die Suche nach solchen Gefühlskicks ist nicht wirklich, was ein Mensch im Innersten sucht. Vielmehr wird Liebe gesucht, bedingungslose Liebe, die einem erlaubt, aus den alten, wenig Glück bringenden Rollen herauszutreten. „Erspüren Sie Ihre Seele, statt auf emotionale Spiegel zu warten“, schreibt Dieter Broers. Selbst für die Partnersuche rät er, weniger auf den Gefühlsrausch als auf die Resonanz in der eigenen Seele zu hören. Das Auf und Ab der Gefühle vergeht, eine tiefe Seelenverbindung jedoch bleibt.
In erweitertem Sinn beinhaltet bedingungslose Liebe immer auch die Idee von Vollendung, ein Einverstandensein mit der Welt, ein Ende der Suche. Broers spricht in diesem Zusammenhang von der Verbundenheit mit der „Urseele“, einem Zustand glückhafter Ganzheit. Er schreibt: „Selbst wenn wir das Glück nie erfahren haben, ‚erinnern‘ wir uns daran, weil wir immer noch teilhaben an der verlorenen Urseele. Genau deshalb sind wir überhaupt in der Lage, uns umfassende Geborgenheit zu wünschen, ein Füllhorn des Glücks, unendlich, unsterblich, ewig.“
Um in Kontakt mit der Urseele zu kommen, gibt Broers dem Leser Übungen der Meditation und der Stille an die Hand. Einmal tief in sich hineinzugehen, kann dazu führen, dass Sie sich bewusst werden, wie wenig Sie eigentlich brauchen oder wie sehr Sie von Ihrem eigentlichen Lebensweg, der Sie erfüllt, abgekommen sind. In der Stille verblassen Wünsche sehr schnell – besonders die oberflächlichen. Wenn die Tiefe eines Moments die ewigen Gegenspieler Gut und Böse einfach hinter sich lässt, dann öffnet sich der Raum für inneres Glück.
Und trotzdem wird Sie irgendwann auch wieder die „Realität“ einholen. Auf der materiellen Ebene wird die Dualität weiterhin herrschen. Das Wissen um ihre Illusion ist kein Garant für Glück. Der Anspruch, alles möge stets gut und schön sein, zeugt eigentlich von einer unnatürlichen Erwartungshaltung. Sich eine dauerhaft positive Stimmung und Umgebung zu wünschen, ist als wünsche man sich den Tag ohne die Nacht. Aber ohne sein Gegenteil lässt sich die Hälfte einer dualen Einheit ja doch nicht erfahren.
Ein Märchen, das von einem vollkommen glücklichen Menschen erzählt, ist „Hans im Glück“. Der Handwerksgeselle erhält für sieben Jahre Arbeit einen Goldklumpen, tauscht ihn aber gegen ein Pferd, das Pferd gegen eine Kuh ein, die Kuh gegen ein Schwein usw. Er lässt sich sorglos auf jedes Angebot ein, das ihm gemacht wird, und hat am Ende gar nichts mehr. Doch Hans ist glücklich. Broers schreibt dazu:
„Hans wählt die Freiheit der Besitzlosigkeit. Sein Ich bleibt unberührt vom Diktat der Dinge. Nun stehen ihm wieder alle Optionen offen, auch die, sich für ‚das Richtige‘ zu entscheiden, für das, was nicht die Welt sondern seine innere Stimme fordert. Seine Freiheit ist die Freiheit der Seele.“