Buddhismus aus der Vogelperspektive

Lama Dzongsar Khyentse im Anflug auf das Wesentliche

Was wissen wir eigentlich über den Buddhismus? Wann kann man von sich selbst behaupten, Buddhist zu sein? Unzählige Strömungen und eine große Zahl von Anhängern dieser Religionsgemeinschaft machen es schwer, den Überblick zu behalten. Trotzdem hat fast jeder ein Bild vom Buddhismus im Kopf – viel zu oft eins, das geprägt ist von oberflächlichen Eindrücken wie kahl geschorenen Mönchen in orangefarbigen Roben, Räucherwerk und ausgedehnten Meditationssitzungen.

Lama Dzongsar Jamyang Khyentse, geboren 1961 in Bhutan, Oberhaupt eines angesehenen Klosters, Leiter einer Mönchsschule, Poet, Filmemacher, Künstler und Autor ist jung, innovativ, mitreißend und manchmal ein wenig provozierend. Mit seinem Buch „Weshalb Sie kein Buddhist sind“ will uns Khyentse die Quintessenz des Buddhismus nahebringen, ohne auf die so oft verwendeten Formeln zurückzugreifen. Stattdessen präsentiert er auf witzige und moderne Weise einen ungewohnten Ansatz, sich dem Buddhismus zu nähern. Indem der Autor Beispiele aus unserem westlichen Kulturkreis – aus Politik, Kultur und sogar dem Showbusiness – wählt, wendet er sich besonders auch an westlich geprägte Leser, wo der Bedarf nach authentischer, verständlicher Aufklärung zum Thema Buddhismus immer noch groß ist. Und trotz der flotten, teils provokativen Sprache Khyentses ist hier von etwas ganz Wesentlichem, den vier Grundwahrheiten, den sogenannten „vier Siegeln“ die Rede.

Anhand dieser kann der Laie wie auch der Kenner sein Bild des Buddhismus überprüfen und vertiefen. Zum Beispiel sagt Khyentse, „glauben immer noch viele, dass Buddha der Gott des Buddhismus sei. Aber Buddha war einfach ein Mensch, der zu einem Buddha wurde“. Er war einst Prinz Siddharta, der den väterlichen Palast verließ, um in der Welt das Wesen des Leidens zu erkennen und zu überwinden. Neben den vielen modernen Anleihen ziehen sich somit die Geschichten um Siddharta wie ein roter Faden durch das Buch. Auch der Begriff Nirvana wird genau unter die Lupe genommen. Nirvana ist nicht gleichzusetzen mit dem christlichen Himmel, es ist kein Ort der Glückseligkeit, sondern die Befreiung von Täuschung, ein Wederglücklich-noch-unglücklich-Sein.

Wie Khyentse meint, können wir uns nur dann Buddhisten nennen, wenn wir auf folgende Fragen mit einem zweifelsfreien Ja antworten können:

  • Können Sie akzeptieren, dass alle Dinge zusammengesetzt und vergänglich sind?
  • Können Sie annehmen, dass alle Gefühle im Endeffekt im Ego wurzeln und somit immer auch Schmerz enthalten?
  • Können Sie akzeptieren, dass alle Phänomene illusorisch, leer und ohne eigenständige Existenz sind?
  • Können Sie glauben, dass Erleuchtung und Nirvana jenseits von jeglichen Konzepten sind?

Jedem dieser vier Siegel ist ein eigenes Kapitel gewidmet, das ausführlich auf den Inhalt der jeweiligen Wahrheit eingeht. Praktische Anleitungen und Meditationsübungen sind bewusst nicht im Buch enthalten. Doch Khyentses Ideen können den Geist noch lange nach der Lektüre beschäftigen. Habe man die „rechte Sicht“ erst einmal intellektuell angenommen, dann könne man alle möglichen Methoden anwenden, um das Verständnis und die Einsicht zu vertiefen.

Dzongsar Khyentse ist Mitglied der „Rime-Tradition“, eine im Osttibet entstandene ökumenische Reformbewegung, die einen traditionsübergreifenden Ansatz gegenüber dem zunehmenden Sektierertum der bestehenden Schulen vertritt. „Um die Rime-Einstellung zu entwickeln, ist es extrem wichtig, diese Art der Vogelperspektive zu haben“, sagt Khyentse in einem Interview. „Rime ist wie eine Einstellung, es ist wie ein offenes Herz.“

BUCH-TIPP
Dzongsar Khyentse
Weshalb Sie kein Buddhist sind
160 Seiten, € 14,90
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