Regisseur Jan Schmidt-Garre folgt seiner persönlichen Neugier und findet eine ganz eigene Sprache, um uns die Ursprünge des Yoga näherzubringen. Auf authentischem 16mm-Filmmaterial gedreht, in klassisch kadrierte Bilder gesetzt und komplett in Indien und für die Kinoleinwand produziert, öffnet sich der Blick auf ein ungewohntes, alltägliches Indien, das jenseits bunter Festlichkeiten und aschebestäubter Sadhus eine andere Facette seiner Kultur enthüllt.
Unbekanntes Archivmaterial und seltene Aufnahmen hat der 49-Jährige aufgespürt, um Indien zu einer ganz besonderen Zeit darzustellen. Die Welt, die sein Film zeigt, ist der Orient zu Beginn des 20. Jahrhunderts. „Was mich nie interessiert hat, war das Indien-Bild der 60er und 70er Jahre, das Indien der Beatles; das habe ich deswegen auch nicht thematisiert im Film. Aber die frühe Indien-Begeisterung um die Jahrhundertwende, Fakire, die auf Nagelbetten sitzen … das fand ich faszinierend“, sagt Jan Schmidt-Garre im Interview.
Und aus dieser Zeit stammen auch Aufnahmen und Bilder Krishnamarchayas, der als Urvater des Yoga angesehen werden kann. Der Filmemacher begann anfangs, das Thema Yoga zu recherchieren, weil ihn die Geschichte dazu interessierte. Er wollte wissen, wo diese alte Tradition herkommt. Dabei stieß er auf die Figur Krishnamarchayas, von der fast alle, selbst die verschiedenartigsten Schulen des Yoga, abstammen. „Dass das niemand wusste, überraschte mich. Als ich dann entdeckte, dass die wichtigsten Schüler Krishnamarchayas am Leben waren und sogar mit ihren plus minus 90 Jahren noch unterrichteten, wusste ich, dass ich diesen Film machen wollte, und fing sehr schnell, auf eigenes Risiko, damit an“, berichtet Schmidt-Garre zur Entstehung von „Der atmende Gott“.
Der aufstrebende Regisseur mit einer Reihe von Kritiker-Auszeichnungen hat sich in seinen Filmen bis jetzt mit Oper, Tanz und Theater befasst. Das Interesse für Yoga kam erst durch die persönliche Erfahrung. Seit ihn seine Frau vor Jahren mit zum Yoga nahm, praktiziert Schmidt-Garre fast täglich. Beim Yoga hatte er dabei eine gewissermaßen bewusstseinserweiterende Erfahrung. Im Gespräch erzählt er: „Ich spürte beim Yoga eine Verbindung von Geist und Körper auf eine Weise, wie ich es davor nicht kannte. Diese Erfahrung ist unwiderstehlich. Und meiner Ansicht nach läuft das vor allem über den Atem. Der Atem verbindet den Geist mit dem Körper. Und es passiert eine Vergeistigung des Körpers und eine ‚Verfleischlichung‘ des Geistes. Eine Inkarnation. Ich muss dazu sagen, dass ich das Glück hatte, einen Lehrer zu haben, Patrick Broome, der mich so unterrichtete, dass ich das von Anfang an spüren konnte. Man kann Yoga auch als reine Fitness-Routine betreiben. Dann bekommt man von solchen Dimensionen nichts mit. Mich hätte das dann nicht weiter interessiert. So aber entstand ein Filmprojekt.“
Einflussreiche Yoga-Lehrer
Der Film erzählt die Geschichte des Lebens und der Lehren des indischen Gelehrten Tirumalai Krishnamacharya. Der Vater des Yoga, wie wir es heute kennen, hatte heutigen Yoga-Praktizierenden sicherlich bekannte Schüler wie Patthabi Jois und B. K. S. Iyengar, die beide im Film beim Unterrichten, beim Yoga-Praktizieren und in Gesprächen zu erleben sind.
B. K. S. Iyengar, geboren 1918, litt als Kind unter Malaria, Typhus und Tuberkulose. Es gelang Krishnamacharya, der mit Iyengars Schwester verheiratet war, ihn zu heilen. Iyengar studierte danach Yoga bei Krishnamacharya und unterrichtete selbst von 1937 an Yoga in Pune. In den 50er Jahren wurde der Geiger Yehudi Menuhin sein Schüler und brachte seinen Lehrer in den Westen. Iyengar wurde zum berühmtesten Yogalehrer seiner Zeit, veröffentlichte 25 Bücher und verbreitete seine Lehre durch mehrere hundert Iyengar-Schulen auf der ganzen Welt. 1996 nahm das Time Magazine B. K. S. Iyengar in die Liste der „100 einflussreichsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts“ auf.
Pattabhi Jois, dessen heutige Anhänger besonders das derzeit angesagte Ashtanga-Yoga praktizieren, wurde 1915 geboren. Mit 12 Jahren sah er eine öffentliche Vorführung Krishnamacharyas, die ihn so stark faszinierte, dass er beschloss, sein Leben dem Yoga zu widmen. Er studierte an der Yogashala in Mysore und gründete 1948 das Ashtanga Yoga Research Institute in Mysore, wo er bis zu seinem Tod im Alter von 94 Jahren während der Dreharbeiten zu Schmidt-Garres Film, lehrte.
„Der Atmende Gott“ zeigt erstmals die maßgeblichen Begründer des modernen Yoga vor der Kamera vereint. Die historischen und aktuellen Aufnahmen Krishnamacharyas und seiner Schüler Pattabhi Jois und B. K. S. Iyengar enthüllen den Zuschauern tiefe Einblicke in eine Kultur und Mentalität, die der unseren häufig diametral entgegengesetzt zu sein scheint. Eben dieses Komplementäre macht Yoga zur Erlangung von Ganzheit und innerem Frieden zu einer herausfordernden, aber lohnenden Disziplin.
Schmidt-Garres Reise zum Ursprung des Yoga ist eine Lehrfahrt zu verschiedenen Lehrmeistern und gleichzeitig zu sich selbst. Nach fünf Jahren endet die Drehzeit vor einem kleinen Tempel für Eingeweihte. Hier sieht der Filmemacher das Götterbild Narasimhas, des „atmenden Gottes“. Angeblich war der Körper des Luftwesens zu mehreren Millionen Asanas bereit.
105 Minuten
ab 5. Januar im Kino