Der legendäre Dr. Milton Erickson aus Phoenix, Arizona, war seiner Zeit weit voraus – und ist es wohl heute noch. Mit seinen innovativen, ungewöhnlichen Methoden beeinflusste er nahezu alle heutigen Schulen der Psychotherapie. Auch Coaches, Heilpraktiker und Ärzte wenden viele Techniken aus dem Repertoire von Erickson an, das mit der Verbreitung eines Seitenzweigs der Hypnotherapie, des NLP von Grinder und Bandler, noch bekannter wurde. Die Herausgabe bisher unveröffentlichter Videoaufnahmen des großen Meisters entfachten erneutes Interesse an seinen Lehren und der Weitergabe seiner Lebenserfahrungen. Isabel Matus sprach für newsage mit dem Erickson-Schüler Hans-Ulrich Schachtner über seinen berühmten Mentor.
newsage: Wie kam es dazu, dass Sie ausgerechnet Dr. Erickson in den USA aufsuchten, der zu dieser Zeit im deutschsprachigen Raum völlig unbekannt war?
Hans-Ulrich Schachtner: Das war eine Verkettung glücklicher Umstände: Ich war eben „zufällig“ in Kalifornien (1974) wo ein Therapeut „zufällig“ Dr. Erickson erwähnte. So positiv, dass ich mir eines der Bücher über ihn schicken ließ, das von Jay Haley geschrieben worden war. Erst als ich dann genau diesen Jay Haley auf einem Kongress persönlich sprechen konnte und er mich ermutigte, Erickson in Phoenix zu besuchen, fasste ich den Mut ihn anzurufen, als ich wieder mal in den USA war (1976). Ich wurde sehr positiv überrascht: Nach einem Tag in einem Phoenixer Hotel lud Milton mich ein und erlaubte mir, in seinem Gästezimmer zu wohnen, tagsüber allen Therapiesitzungen beizuwohnen und hin und wieder abends mit ihm privat zu plaudern. Das machte mich mutig genug ihn zu fragen, ob ich im nächsten Jahr wiederkommen dürfe, um ihn eine Woche lang in Bild und Ton aufzuzeichnen. Noch heute bin ich dankbar für das Privileg, einen weisen, außergewöhnlichen Therapeuten dabei hatte filmen dürfen, wie er die Erfahrungen eines erfüllten Lebens an die Nachwelt weitergibt.
Was ist an Erickson heute noch interessant, nachdem er doch schon 31 Jahre lang tot ist? Ist dieser Ansatz nicht längst überholt?
Oh nein, wir sind heute noch längst nicht da, wo Erickson schon vor Jahrzehnten war. Es sind zwar viele seiner Elemente in die heutigen Therapieformen eingegangen, jedoch keine lehrt sein Gesamtkonzept … wenn das überhaupt möglich ist, er fühlte sich nämlich einer „experimentellen Therapie“ verpflichtet, die jeden Patienten als Sonderfall sieht, der einen „maßgeschneiderten“ Behandlungsansatz verdient.
Das wäre doch überaus wünschenswert! Warum praktiziert man denn so etwas heute nicht?
Experimentelles Vorgehen wird von den Krankenkassen weder bezahlt noch unterstützt. Honoriert werden nur standardisierte Verfahren mit etablierten Namen, so dass man bei den Kassenanträgen einen vorgefertigten Satz von Textbausteinen hat, die sich auf die zwei gängigen Schulrichtungen und ihre Behandlungsweisen beziehen. So etwas fördert nicht die Lust, sich ständig neue Vorgehensweisen auszudenken. Außerdem lässt sich eine solche Vorgehensweise nicht in ein Manual zwängen. Ich muss zugeben, dass ich in meinen Kassenpsychotherapeuten-Zeiten auch gern mal eine Stunde „abgesessen“ habe.
Hat sich denn ihre eigene therapeutische Vorgehensweise durch diesen intensiven Einfluss verändert?
Allerdings. Und nicht nur meine Therapie! Meine ganze Art, Menschen wahrzunehmen und mit ihnen umzugehen, veränderte sich dadurch Schritt für Schritt. Ich habe als Kind, wie die meisten von uns, einen etwas autoritären Stil des Umgangs untereinander gelernt. Dieser berücksichtigt die Eigenart, Empfindungen und Sensibilitäten des anderen nur wenig. Das sieht man am häufigen Gebrauch einer Kommandosprache und ungefragter Kritik. So etwas ruft schnell Widerstand beim andern hervor, der dann meist zu noch heftigerer Kritik und noch derberen Aufforderungen eskaliert. Durch Ericksons Vorbild fand ich allmählich zu einem wesentlich eleganteren Umgangsstil, der nicht die Nachteile der üblichen, emotional-oppressiven Alltagsbeeinflussung hat. Meine Überzeugung ist, dass schon 10 Prozent der Bevölkerung, die einen solchen Stil anwendet, ausreichen würde, um eine wesentlich harmonischere Gesellschaft zu schaffen, als wir sie heute haben.
Warum glauben Sie, dass eine Kommunikation à lá Erickson auch für den Alltag, im Beruf und in der Partnerschaft interessant ist?
Diese Art Kommunikation hat bewiesen, dass sie heilsam ist. So brauchte Erickson bei seiner Tochter Christine zum Beispiel nur zwei Mal in ihrem Leben disziplinierende Maßnahmen einzusetzen. Und selbst die waren zahmer Natur. Wenn man sieht, wie sich Eltern manchmal in der notwendigen Disziplinierung ihrer Kinder aufreiben, wünscht man sich, dass sie dies auf eine elegantere und friedvollere Art hinbekämen. Überhaupt glaube ich, dass wir es ein bisschen verlernt haben, gut miteinander auszukommen. Warum gibt es denn so viele Singles und zerstrittene Paare? Wenn z. B. eine Frau möchte, dass ihr Mann sie beim Gespräch anschaut, dann ist es weit klüger zu sagen: „Hast du schon gesehen, wie ausdrucksvoll meine Augen heute sind?“ als sich darüber zu beklagen, dass er „schon wieder nicht aufpasst“.
Im beruflichen Bereich ist der Umgangsstil oft noch unzeitgemäßer als im Alltag. Wo Knappheitsdenken, Konkurrenz und Profit herrschen, ist ein kooperativer Stil eher die Ausnahme. Dabei könnte man die Ergebnisse unerhört steigern, wenn die Menschen gern zur Arbeit gingen und mit Freude Leistung erbrächten, weil sie das in einem Klima von Wohlwollen, Ermunterung, sportlicher Herausforderung und Anerkennung aus innerem Antrieb von selbst täten. Dann braucht es auch keine Incentives oder periodisches Peitschenknallen. Intrinsisch motivierte Menschen leisten spielerisch weit mehr als extrinsisch motivierte zähneknirschend.
„Hypnotische Suggestion kann den Gebrauch von Fähigkeiten und Potenzialen erleichtern, die in einem Menschen bereits existieren, aber aufgrund mangelnden Trainings oder Verständnisses ungenutzt oder unterentwickelt bleiben.“ Dr. Milton Erickson
Kann denn diese Art von Kommunikation jeder lernen? Dazu gehören doch auch eine ganze Menge Empathie und Intuition!
Grundsätzlich ja. Empathie und Intuition kann man ja lernen und bei sich entwickeln, wenn man ein korrektes Menschenbild zur Grundlage hat und eine Reihe von Konzepten besitzt, die einem das Erkennen von Mustern im menschlichen Verhalten erleichtern. Zum Beispiel die „7 Gesetze Magischer Kommunikation“ sowie eine Reihe strategischer Vorgehensweisen um bestimmte Reaktionen bei anderen auszulösen bzw. zu ermutigen.
Wenn ich mir so anschaue, wozu diese subtilen Methoden in Werbung und Verkauf sowie in den Medien eingesetzt werden und wie leicht man damit Menschen täuschen, verführen und in die Irre leiten kann, halte ich es für gefährlich, den Menschen so etwas auch noch bewusst beizubringen!
Das ist ein wichtiges Stichwort: bewusst. Wenn sich alle Menschen dessen bewusst würden, auf welche subtile Weise suggestive Kommunikation wirkt, dann wären die Chancen wieder gleich verteilt. Ich halte das für eine wesentliche Voraussetzung für mehr Wachheit, Vernunft und Transparenz in unserer Gesellschaft. Das ist auch der Grund, warum ich ein Modell entworfen habe, mit dem jeder sein Gespür für unerwünschte Beeinflussung immens schärfen kann: Das Modell von den „6 Klingelköpfen“. Wenn jemand weiß, dass man ihm solche Klingelknöpfe ankonditioniert hat, kann er eine Warnlampe einbauen, die ihm anzeigt, was da gerade „läuft“, so dass er sich entscheiden kann, ob er mitspielt oder nicht. Natürlich braucht man dann noch das Know-How, wie man geschickt unterläuft, was da läuft.
Kann man denn wirklich ausschließen, dass solche hilfreiche Methoden nicht auch missbraucht werden?
Leider nicht. Und genau das ist die Krux, mit der ich mich schon lange herumschlage: Diese Methoden sind einfach viel zu potent, als dass man sie in die Hände von eigennützigen Manipulatoren fallen lassen dürfte. Aber da sind sie ohnehin schon längst. Diese Methoden sollten endlich mal diejenigen in die Hand bekommen, die sie verantwortungsbewusst zum Wohle und Nutzen aller einsetzen. Menschen, die, wie man sagt, „guten Willens“ sind. Erickson war für mich kein Manipulator, sondern ein wohlwollender Motivator, der sein Gegenüber subtil dazu bewegte, das zu tun, was ihm langfristig guttat und weiterhalf. Das ist der entscheidende Punkt: Die Absicht muss stimmen! Dann darf der Impuls, der vermittelt wird, auch subtil, d. h. für das Gegenüber unmerklich sein. Seinem Patienten von vornherein alles aufzudecken, was man an Handlungen und Impulssetzungen vorhat, wäre ungefähr so, als würde man bei medizinischen Forschungen den Leuten, die ein Placebo bekommen, sagen: „Wir geben Ihnen heute ein Placebo, und dann schauen wir mal, ob es genauso wirkt.“ Oder anders gesagt, würden Sie einem Mann ankündigen: „Heut Abend werde ich dich verführen!?“
Dazu fühle ich mich förmlich verpflichtet (augenzwinkernd)! Nun, Sie haben ja mehrere Bücher über diese Art Kommunikation geschrieben, z. B. Ihr „Frech, aber unwiderstehlich!“. Stehen da diese Methoden drin?
Weit mehr als nur die Methoden. Diese wirken ja nur, wenn die Haltung stimmt und ein tiefes Verständnis darüber vorhanden ist, wie die menschliche Kommunikation und deren Grundlagen funktionieren. Ich habe mich bemüht ein stimmiges, umfassendes und praktikables Modell einer neuen Kommunikationsform zu entwerfen, das ein warmes zwischenmenschliches Klima schaffen könnte, wenn es genug Menschen einsetzten. Das zu tun war mein Verständnis eines nicht mit Worten ausgesprochenen Auftrags, den ich von Milton bekam. Das große Geschenk, das er mir und allen, die diese Aufzeichnungen sehen werden, gemacht hat, sollte nicht vergeblich gewesen sein.
DVD-Paket erstmalig erhältlich nach 34 Jahren
Gefilmt im Jahr 1977 von Hans-Ulrich Schachtner
Verlag Harmony Balance Edition
Frech, aber unwiderstehlich!
Der Magische Kommunikations-Stil: Mehr Charme, Witz und Weisheit im Alltag, Beruf und in der Liebe
536 Seiten, € 54
ISBN: 978-3939924234
Verlag Harmony Balance Edition
Fehn am Bach – 83734 Agatharied
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faszinierend! Ich freue mich auf dieses Filmmaterial.