Eine zeitgemäße Unternehmenskultur

In der heutigen Zeit stecken immer mehr Menschen in der Zwickmühle zwischen Arbeit und Privatleben – alles muss schneller gehen und die gesunde Balance kommt abhanden. Stresserkrankungen sowie wirtschaftliche Schäden in Unternehmen und Gesellschaft sind die Folge. Wir sprachen mit der Expertin Céline von Knobelsdorff darüber, wie man eine neue Unternehmenskultur schaffen kann, in der Beruf und Mensch harmonisch zusammenfinden.

Céline von Knobelsdorff - Expertin für eine neue Unternehmenskultur
newsage: Als psychologische Beraterin kommen Sie oft mit Menschen in Kontakt, die von berufsbedingtem Stress oder gar von Burnout betroffen sind. Wie können Sie da helfen?

Céline von Knobelsdorff : Zunächst hinterfrage ich die Perspektive, aus der die Betroffenen ihre Situation beurteilen. Das ist häufig die größte Hürde. Die Problematik hat sich zu einem unübersichtlichen Gebilde aufgetürmt, so dass es dann generell heißt: Es sind »die Anderen« oder »die Umstände«. Eine Veränderung kann aber nur eingeleitet werden, wenn wir uns selbst wieder in den Handlungsfokus rücken. Solange wir »Opfer« sind, sehen wir nicht, dass wir eine Wahl haben.

Indem wir das Problem als »zu groß« darstellen, hoffen wir auf eine Lösung von außen. Näher betrachtet, zeigt sich, dass sich auch eine gewisse Bequemlichkeit in Form von Akzeptanz der Beschwerdehaltung eingeschlichen hat. Es ist einfacher geworden, über »alles« zu klagen, als sich damit zu beschäftigen, wo Veränderungen möglich wären. Dafür müssen wir uns vom übermächtigen Problembild lösen, es auseinandernehmen, was einerseits dessen Komplexität veranschaulicht und andererseits Raum schafft, das auf den Punkt zu bringen, was aktuell am meisten drückt. Ja, das ist anstrengend, aber ich weise dann gerne darauf hin, dass das »Wegschauen« mit sehr viel mehr Anstrengungen verbunden ist.

Stress und Burnout sind sehr weite Begriffsfelder. Um hier Maßnahmen für Verbesserungen zu konzipieren, verschaffe ich mir einen Überblick, was die Betroffenen konkret unter »Stress« verstehen. Wie sich das zeigt. Woran sie das festmachen. Wann es mal anders war. Wie es zur Verschlechterung kam. Ich bin da sehr hartnäckig und erwarte, dass jeder einen Begriff für das momentane Hauptanliegen findet. Dieser steht dann sowohl für das zu bearbeitende Problem als auch beispielhaft dafür, wie man mit scheinbar unlösbaren Themenkomplexen systematisch umgehen kann.

Inwieweit ist die Zusammenarbeit in Unternehmen mit verantwortlich und wie kann man eine Unternehmenskultur schaffen, um solche Zustände zu vermeiden?

CvK: Die Führung eines Unternehmens spiegelt wider, wie mit solchen »Lebensthemen« umgegangen wird. Da kommt es weniger auf die fachliche Kompetenz als auf den Entwicklungsstand des Menschen an. Hier spielen alle Erfahrungen mit hinein, die diese Person zeitlebens gemacht hat. Welches Bild von Arbeit, Geld, Leistung, Erfolg und Fähigkeiten wurde ihr während ihrer Erziehung vermittelt? Das ist die Grundprogrammierung ihres Denk-, Entscheidungs- und Handlungsapparates. Mit dem Wissen, dass die Informationen für unser tägliches »Funktionieren« auf großteils unbewussten Prägungen basieren, ist die Reflektion der eigenen Ausrichtung, des Status quo eine Hauptverantwortung.

Wir alle haben klar vor Augen, was die Anforderungen an uns sind, was die Welt da draußen als Maßstab setzt, dessen Einhaltung unsere Erfolge und die gesellschaftliche Anerkennung bemisst. Fakt ist, dass sich keiner fragt, woher diese Maßstäbe wirklich kommen. Wer hat sie festgelegt? Da Geschwindigkeit und Äußerlichkeiten für uns zu Einheiten von Fortschrittlichkeit und Macht geworden sind, tun wir uns schwer, diese gleichzeitig zu hinterfragen – auch wenn wir deutlich spüren, dass sie zur Zwangsjacke geworden sind. Wir sind Gefangene von Parametern, die uns mittlerweile vorschreiben, wie wir zu »ticken« haben.

Unsere Faszination von der Technik wirkt zurück auf das gesamte Leben, welches nicht mehr ganzheitlich ausgerichtet ist. Es sei denn, wir begnügen uns mit einem Selbstbild als Maschine, verstehen uns als austauschbares »Rädchen« im großen weltlichen Produktionsablauf. Die Entwicklung unserer Sprache ist nur ein Beispiel dafür, dass wir ein vor allem technisch-rationales Verständnis von uns und dem Funktionieren der Welt haben. Dabei ist Leben weitaus mehr als das.

Ein Unternehmen, das sich zur Gründung mit einer eigenen Philosophie beschäftigt hat, steht in der Verantwortung, deren Werte fortwährend auf Authentizität zu überprüfen und sich selbst zu reflektieren. Das Problem der alten Führungskultur ist, dass sie genau damit Schwierigkeiten hat: in einen selbstreflektierenden Austausch zu gehen mit jemand, der ihre firmeninterne Position und ihre persönlichen Hintergründe als ein sich bedingendes Ganzes auffasst. Es ist immer der Mensch mit seiner Geschichte und dem, was er daraus gemacht hat, der über die Geschicke der Firma und etliche Arbeitsplätze entscheidet. Bei einer so hohen Verantwortung ist es wohl ein verhältnismäßig geringer Aufwand, die eigenen Motive für Entscheidungen auf allen Ebenen zu durchleuchten. Unserem Auto gönnen wir ja auch einen regelmäßigen Generalcheck.

Die Selbstreflektion, der Austausch und das Abgleichen bisheriger und neuer Werte und Ziele in den Rängen geschäftlicher Entscheider setzt den Ausgangspunkt dafür, dass auch umfassende Änderungen in Betrieben methodisch leichter umsetzbar sind. Es ist wie bei Eltern und Kindern. Die Sprösslinge orientieren sich unmittelbar an dem, was vorgelebt wird. Und das sollte in absoluter Übereinstimmung mit den formulierten Werten sein. Widersprüche im System bewirken Konflikte, Missverständnisse und Misserfolge. Die Hauptverantwortung für ein stabiles Wachstum liegt in der Bereitschaft zur persönlichen Innenschau.

Was kann auch der Mitarbeiter dazu beitragen?

CvK: Als Mitarbeiter kann jeder nach dem gleichen Ansatz verfahren. Statt die Verantwortung abzugeben, weil die Wirksamkeit des eigenen Handlungsradius als zu gering eingeschätzt wird, besteht die Herausforderung darin herauszufinden, was tatsächlich die Hauptursache des Stressempfindens ist. Auslöser ist nicht gleich Ursprung. Die Perspektive, dass die Negativ-Entwicklung von uns selbst nicht steuerbar ist, sollte erweitert werden von einer, die aufzeigt, wo Veränderungen möglich sind. Vielleicht können wir unseren Chef oder die Kollegin nicht »umerziehen« und für ein gegenseitiges Verständnis ist weder Zeit noch Absicht gegeben. Aber wir können Einheiten in unserem Leben neben der Arbeit schaffen, die uns darin unterstützen, einen besseren Umgang mit aktuellen Gegebenheiten zu bekommen. Es ist unsere Entscheidung, den Arbeitstag abgehetzt zu beginnen, um dann gereizt auf noch mehr Arbeit zu reagieren. Oder aber mit Ruhe anzukommen, um konzentriert und gelassen das abzuarbeiten, was möglich ist.

Sollte man also seinen Stress einfach »im Büro lassen« oder auch im Privaten daran arbeiten und z.B. auch zuhause darüber sprechen?

CvK: Wie gesagt, lässt sich Privates und Berufliches schlecht trennen. Stellen Sie sich vor, Sie haben gerade erfahren, dass eine Ihnen wichtige Person einen Unfall hatte. Wie wollen Sie da rational bleiben? Auch wenn Sie selbst über die nächsten Stunden entscheiden können oder einen entgegenkommenden Chef haben, diese Angelegenheit ist nicht auf Knopfdruck lösbar. Die Forderung danach gibt es allerdings. Sie entstammt der überholten Haltung, die ihr Augenmerk auf die Funktionalität von Menschen lenkt, als ob wir eine Maschine vor uns hätten, die über das verstandesmäßige Erfassen der Zusammenhänge lenkbar wäre.

Es ist wichtig, eine Kultur zu schaffen, in der jeder sowohl erkennt, dass er Handlungsspielräume zur Veränderung hat, mögen sie auch noch so uneffektiv erscheinen, und gleichzeitig Vorbild darin zu sein, was ihm am Herzen liegt. Vielleicht wurde am Arbeitsplatz noch nie über persönliche Tragödien gesprochen, vielleicht ist ein Ereignis, wie oben geschildert, entscheidender Anstoß, das Miteinander zu verändern und neben allem Funktionieren auch Platz für das Menschliche einzuräumen. Jeder Mitarbeiter übernimmt mehr Verantwortung für ein System, das ihn nicht nur als Maschine betrachtet. Jeder kann sofort damit beginnen, sich selbst als Mensch zu würdigen. Die Auswirkungen sind unbezahlbar …

Weitere Informationen
Céline von Knobelsdorff
Personal & Business Coaching
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Tel. 08382-5 04 31 49
www.cvk-coaching.com

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