Die rituelle Visionssuche ist bei uns vor allem durch Berichte über das traditionelle Leben der nordamerikanischen Indianer bekannt geworden. Neben John Fire Lame Deer war es vor allem der Lakota-Medizinmann Black Elk, der in den siebziger Jahren in Vorträgen und Büchern das Geheimnis der „Vision Quest“ enthüllte – oft zum Unmut der eigenen Stammesbrüder, die den Ausverkauf ihrer heiligen Traditionen fürchteten. Dabei ist die Tradition der Visionssuche keineswegs auf den nordamerikanischen Kontinent beschränkt und findet sich bei zahllosen Naturvölkern wie auch in unserer eigenen Geschichte. In der Bibel finden sich oft Beispiele von Propheten, die in die Wildnis gingen, um zu fasten und zu beten. Jakob, der Vater der Israeliten, hat in der Wüste die Vision von der Himmelsleiter. Moses empfängt auf dem Berg Sinai die Zehn Gebote. Und Jesus wird bei seinem vierzigtägigen Fasten in der Wüste in Visionen vom Teufel auf die Probe gestellt. Ganz gleich, ob nun biblische Propheten in der Wüste die Offenbarung Gottes suchten, ob Odin am Weltenbaum Yggdrasil die Runen empfing oder ob indianische Jünglinge in der traditionellen Hanblecheya zum Mann wurden – alle folgten sie einem uralten Ritus, der vor allem durch drei Elemente gekennzeichnet ist: Fasten, Alleinsein und Naturerfahrung. Das erkannten auch Steven Foster und Meredith Little, zwei amerikanische Psychologen, die das Ritual vor 30 Jahren unserer Kultur anpassten, um es auf Reisen und Seminaren einer Vielzahl von Menschen zugutekommen zu lassen.
Warum alleine in der Wildnis fasten?
Für viele von uns ist das die Horrorvorstellung schlechthin: Mehrere Tage einsam in der Wildnis, ohne Schutz und ohne Nahrung? Das mag etwas für Masochisten oder Survival- Freaks sein, könnte man denken, aber weit gefehlt. Der Begriff „Quest“ ist in seinem Wortstamm mit dem englischen „question“ verwandt, und wer immer sich auf eine Vision Quest begibt, hat Fragen an sich und die Welt, sucht nach Orientierung oder einem Neuanfang.
Oft ist der Impuls, der einen zur Visionssuche treibt, nicht wirklich greifbar. Man ist einfach unzufrieden mit seinem Leben, man ist ausgebrannt und sucht nach Kraft und Richtung. Es ist ein unbestimmter Ruf, der uns sagt, dass es da noch mehr geben muss als das ewige Dahinplätschern des Alltags, den täglichen Stress und Ärger. Oder das Leben hat uns vor eine völlig neue Situation gestellt: Man hat einen geliebten Menschen verloren, Kinder wurden geboren oder verlassen das Haus, eine berufliche Umorientierung steht an etc.
Die Gründe mögen vielfältig sein, aber fast immer geht es um Schwellenerfahrungen, um Lebenskrisen und -übergänge, für die unsere zivilisierte Welt keine adäquaten Hilfen zur Verfügung stellt. Wir fühlen uns in diesen Situationen oft alleingelassen in unserer Orientierungslosigkeit und Unsicherheit und tragen dies oft jahrelang mit uns herum. Gerade hier bietet uns die Vision Quest einen geschützten Rahmen, um Antworten auf all die brennenden Fragen in unserem Leben zu finden. Ganz ohne die Hilfe eines Gurus oder spirituellen Meisters, sondern nur im Kontakt mit der Natur und uns selbst.
Rolf Param Pfeifer und Peter Kettling sind Leiter und Trainer der „Vision Quest“-Seminare |
„Renaturierung“ in der Wildnis Süd-Kretas
Rolf Param Pfeifer von Visionquest, Freiburg, wurde an der von Foster und Little gegründeten School of Lost Borders, USA, zum Visionssuche- Leiter ausgebildet und leitet seit einigen Jahren Visionssuchen für Erwachsene in der Wildnis Süd-Kretas. Im Gespräch mit NEWs AGE betont er vor allem die Bedeutung des Kontakts mit der Natur als wesentlichen Faktor einer jeden Visionssuche.
„Im Kontakt zur Natur werden natürliche Prozesse aktiviert und der Bezug zur Natur wiederhergestellt“, sagt er und spricht von einem Prozess der „Vernatürlichung“, dem jeder Teilnehmer einer Visionssuche ausgesetzt ist. Er warnt aber auch vor gängigen Missverständnissen: „Die Visionssuche ist kein Ritual, bei dem tagelang auf eine himmlische Eingebung oder die Erleuchtung gewartet wird. Vielmehr bietet uns die Natur in dieser Zeit einen Spiegel, der unser Inneres abbildet. Die Ereignisse während der eigentlichen Vision Quest sind oft unspektakulär. Erst nach der Zeit ‚Draußen’, in der Integrationsphase, kommen die Dinge an ihren Platz und der Schleier über dem Verborgenen wird gehoben.“
Und das ist es, was die geleitete Visionssuche von vielleicht gut gemeinten, aber oft unbedachten Selbsterfahrungstrips unterscheidet: Der Prozess wird von erfahrenen Leitern begleitet, die den Suchenden durch die drei wesentlichen Phasen des Rituals führen: Die Trennungsphase, die Schwellenphase und die abschließende Integration.
Über die Schwelle
Die Trennungsphase beginnt bereits beim Kofferpacken. Was ist wirklich notwendig, was brauche ich in der Wildnis? Das Handy bleibt natürlich zu Hause, wie auch Freunde, Familie, Beruf und Hobbies. Der Teilnehmer verabschiedet sich bewusst von seiner bisher gekannten Welt, weil er sie bei seiner Rückkehr ohnehin anders wahrnehmen wird. Das lässt natürlich Ängste aufkeimen, die bei der Ankunft in der Wildnis Kretas von den Seminarleitern individuell aufgefangen werden. Die ersten vier Tage dienen ganz dem Ankommen und Vertrautwerden miteinander und mit dem einzigartigen Platz, sowie natürlich zur Vorbereitung auf die eigentliche Visionssuche – den Schritt über die Schwelle.
Dann beginnt die eigentliche Quest, eine viertägige Zeit einsamen Fastens in der Wildnis. Die ersten Stun den wird der Sucher damit beschäftigt sein, sich an den Platz seiner Wahl zu gewöhnen, den er bereits ein, zwei Tage vorher suchte und fand. Er wird die wenigen Dinge, die er dabei hat, sortieren, jedem einzelnen seinen Platz geben. Er wird die Gegend um seinen Platz herum erkunden und wieder zu seinem Platz zurückkommen, denn er weiß, dass nach alledem NICHTS mehr zu tun ist. Es wird dann irgendwann der Punkt kommen, an dem er sich mit diesem Nichts auseinandersetzt und spätestens dort wird er auf sich selbst stoßen.
Dies ist die Chance, sich in aller Ruhe und Ungestörtheit Zeit für sich selbst zu nehmen. Zeit auf Fragen im Inneren zu hören wie: „Wer bin ich?“, „Wo stehe ich in meinem Leben?“, „Was will ich hier auf dieser Welt?“
Vielleicht muss er sich immer wieder mit Ängsten auseinandersetzen: es naht die Nacht oder ein Gewitter, ein Geräusch nähert sich in der Dunkelheit oder der Wind heult durch die Baumwipfel. Oder er wird an physische Grenzen stoßen. Sein Körper, auf ständige Nahrungsaufnahme eingestellt, wird ebenso seine Zeit brauchen, sich mit dem Nichts auseinander zu setzen. Diese Grenzerfahrungen werden ihn dabei unterstützen, Antworten auf seine Fragen zu finden. In der letzten Nacht der Quest wird der Teilnehmer durchwachen. Er wird erkennen, was sein Weg ist und wie er der Gemeinschaft am besten dienen kann. Am Morgen des fünften Tages kehrt er schließlich glühend vor Energie und Klarheit zurück.
Integration und Rückkehr in die Welt
„Der Beschwerlichste aller drei Schritte“, sagt Rolf Param Pfeifer, „ist die Integration. Denn der Held kommt zurück von seiner Reise, er hat all die Höhen und Tiefen überwunden. Er fühlt sich unendlich bestärkt in seinem Tun, im puren Sein. Er spürt diese Kraft gebende Wiederverbindung mit der Natur und eine geerdete Leichtigkeit, wie ein Baum im leichten Abendwind. Aber er weiß, dass sein Weg hier nicht enden wird. Er wird all dies zurückbringen müssen in seine ‚alte Welt’, die nichts von seinen Erfahrungen weiß und die sie vielleicht auch nicht verstehen kann.“
„All die Erfahrungen, die jeder Einzelne mitbringt“, fährt Pfeifer fort, „beherbergen einen Schatz, den es so zu heben gilt, dass er nicht zerbricht oder durch unsere Zivilisation wieder zerstört wird. In den Tagen nach einer Visionssuche ist die Hilfe der Seminarleiter nötiger denn je. Der zarte Keim der ‚neuen Welt’ in den Köpfen und Herzen der Zurückkehrenden muss ein Gesicht bekommen, in Form konkreter Schritte und Formen und dem Wunsch, sich immer wieder mit dem Lebendigen verbinden zu wollen, um mit dieser Kraft in Verbindung zu bleiben.“
Und was meinen die Teilnehmer? Uschi berichtet: „Ich war im Einklang mit allem, ich war von allem ein Teil. Ich brauchte nicht mehr sagen ‚schau das Meer’, ‚schau der Vogel’. Ich war das Meer, ich war der Vogel. Es waren die schönsten Empfindungen, die ich seit langem hatte. Ich war die Liebe – ich war voll davon und habe verstanden, was es heißt zu geben. Du willst gar nicht anders als dies alles weiter zu geben, andere an deiner Freude teilhaben zu lassen.“
Klaus-Peter, ein 47-jähriger Systemingenieur, damals unzufrieden mit seiner Job- Situation, sagt: „Es war das Stärkste, Kraftvollste, Energiespendenste, was ich je erfahren habe.“ Zwei Wochen nach seiner Rückkehr von der Visionssuche kündigte er seinen Job und folgte seiner Vision als Koch bei Seminarreisen. Heute, nach vier Jahren, hat er ein eigenes florierendes Geschäft, mit dem er sich und seine Familie ernähren kann.
Nicht immer sind die Ergebnisse so spektakulär wie bei Klaus-Peter, aber stets hat die Visionssuche das Leben der Teilnehmer bereichert und ihnen neue Kraft und Richtung in ihrem Leben geschenkt.
Weitere Informationen bei:
visionquest
Rolf Param Pfeifer
Ida-Kerkovius-Str. 9, 79100 Freiburg
Tel.: 0761-8976644
Fax: 0761-8976645
www.vision-quest.de
Weitere Seminare unter:
www.visionssuche.net