Erwachsen zu werden scheint mir eine der großen Krisen zu sein, die ein Mensch erleben kann. Alles spielt verrückt – die Hormone, die Gefühle, die Lehrer und die Eltern. Nichts wirkt fest, das Leben gleicht einer wirren Unstetigkeit. Der Jugendliche klammert am sicheren Elternhaus, und drängt doch gleichzeitig raus in die Welt, will Erfahrungen sammeln, sich erleben, sich verwirklichen.
Darüber einen normalen Artikel zu schreiben, will mir nicht gelingen. Zu frisch sind die Erinnerungen, zu nahe die Tränen, zu lebendig die eigenen Erfahrungen. Und als ich die Fotos sichte, bemerke ich, dass die Bilder eine ganz feine, eine authentische gleichwie archaische Sprache sprechen, an die ich mit meinen Worten nie herankommen werde.
So schaut und seht, was sich im Sommer letzten Jahres ereignet hat. Lasst euch reinziehen in die Bilder, steigt mit auf ins Hochtal der italienischen Alpen, und setzt euch mit zu uns ans Feuer in der Kohte. Lauscht den Lebens- Geschichten von drei Jugendlichen, deren Wunsch es war, dass ihr Erwachsen-Werden gebührend Aufmerksamkeit erhält und gefeiert wird, so wie sich das gehört.
Party, Spaß und Drogen – bis einer heult?
Das Basislager liegt mitten im Frontgebiet des 1.Weltkriegs, Reste davon sind noch überall gegenwärtig. Die Großväter der Jugendlichen haben auf beiden Seiten gekämpft. – Wie wichtig ist mir Frieden im Leben? Welchen Sinn und welche Folgen hat Krieg? Wie löst man Probleme? Gewalt gegen Völker, Gewalt gegen Menschen, Gewalt gegen sich selbst – hat nicht alles die gleiche Wurzel? Bedeutet erwachsen sein, sich dieser Herausforderung zu stellen?
Die eigenen Kreise ziehen!
Das indianische Medizinrad und die Vier-Schilde-Lehre bilden das zeremonielle Grundgerüst. Es wird ergänzt durch die eigenen, also keltisch-germanische Überlieferungen im Jahreskreis. Weitere Speichen sind die spirituelle Ausrichtung der Herkunftsfamilien sowie die individuelle Situation der Jugendlichen selbst. Die Durchführung der Visionssuche orientiert sich an der Methode der School of Lost Borders von Steven Foster und Meredith Little.
Nichts für Warmduscher, so ein Leben!
Der rituelle Weg dieser Initiation führt durch die Elemente. Nachts zuvor noch rot glühende Steine, Dampf und Schweiß in der Schwitzhütte, jetzt am Aufstieg das Morgengebet im eiskalten Sprühnebel eines Wasserfalls.
Schnippschnapp – Abnabelung!
Sie trägt die rote Schnur stolz neben der Doppelaxt. Und einen wertvollen Keim behütet in sich. Sicherlich, da ist tiefe Trauer, Abschiedsschmerz – aber welch eine Schönheit!
Nicht ohne meine Kuscheldecke!
Aber auch nur mit der! Am dritten Tag schrecklich früh morgens, bei Nieselregen, Temperaturen nahe Null, verlassen die Jugendlichen das Basislager, die Mentoren und ihren warmen Schlafsack. Nach einer Verabschiedungszeremonie übertreten sie die Schwelle. Sie werden einen Tag und eine Nacht auf ihrem Platz alleine und schweigend wachen, singen und beten – und heulen und schreien und frieren. Wenn meine Trommel morgens im Tal dröhnt, dürfen sie zurück. Aber es kommt immer eine andere zurück, als die die hinausgegangen ist. Tränen des Schmerzes und Tränen des Glücks lassen die Heiligen Farben verschwimmen, mit denen wir sie willkommen heißen.
Lass die Maske fallen – werde wesentlich!
Offenes Feuer in der Kohte. Wir sitzen im Kreis. Ein Becher mit heißem Tee wird herumgereicht. Ein Sprechstab kreist. Und immer wieder auch ein Lied. Man singt zusammen. Einer spricht, die anderen hören nur zu. Wo Tränen kullern, lebt auch Trost. Wo sich zornige Worte jagen, lebt auch Versöhnung. Wo Menschen im Rund sitzen, lebt Gemeinschaft.
Am Fuß einer solchen Linde wird selbst aus der ganzen buckligen Verwandtschaft eine Tafelrunde!
Die Festgesellschaft empfängt die heimkehrenden Jugendlichen mit einer Zeremonie im Wald. Die Mädchen werden in den Kreis der Frauen und Mütter aufgenommen, die Jungen in den Kreis der Männer und Väter. Die Älteste im Kreis ehrt die jungen Frauen mit einem Blütenkranz. Ihre alten, weisen Hände weihen mit Quellwasser die jugendlichen Körper, die Sinnesorgane, die Brüste und den Schoß, das Rückgrat und den Stolz der jungen Frauen.
Batsch – nimm das, Papa!
Seit jeher ist es so, und es wird sich nicht ändern, dass aus Jungs erst dann Männer werden, wenn man ihnen zutraut, einen guten Kampf zu fechten. Wer will schon Männer, die mit 30 noch an Muttis Rockzipfel hängen und unter Papas Fuchtel stehen? Der junge Mann hat gezeigt, dass er den Kampf mit den inneren Dämonen nicht scheut. Der rituelle Boxkampf hilft ihm, sich von seinem Vater freizukämpfen. Auf eigenen Füßen zu stehen heißt eben auch, das ein oder andere blaue Auge auszuteilen und einzustecken…
Romana und Stefan Ulbrich, Verlegerehepaar (Arun), betreuen einmal pro Jahr eine Gruppe Jugendlicher auf ihrem Weg. Sie organisieren auf Anfrage das Ritual und beraten die Eltern bei der Ausgestaltung des abschließenden „Festes der Würdigung“.
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