Die EU-Kommission arbeitet an einem neuen Saatgutrecht. Nach den bisherigen Entwürfen, die mit Interessensvertretern diskutiert worden sind, wird die Agrochemie-Industrie ihre Vorstellungen noch weiter durchsetzen als es im derzeitigen Recht bereits der Fall ist.
Dass die umstrittene Zulassungspflicht für Vielfaltssorten weiter bestehen wird, hat der zuständige Kommissar Tonio Borg vorab am 24. April bestätigt. Für jede einzelne Sorte, auch wenn davon nur geringe Mengen verkauft werden, muss das zuständige Amt eine Marktzulassung erteilen. Wer viele verschiedene Sorten pflegt und Saatgut an interessierte Gärtner verkauft, hat damit zusätzlich Arbeit und Kosten. Seltene Sorten, die keinen „historischen Hintergrund“ (Zitat Tonio Borg) haben, werden erst gar nicht zugelassen. Dabei ist diese genetische Vielfalt Ausgangsbasis für eine chemiefreie Landwirtschaft und für die Anpassung an Klimaveränderungen.
Das Nachsehen haben nicht nur künftige Generationen, sondern auch heutige Verbraucher und Gärtner. Denn was in die Supermärkte gelangt, ist für den kommerziellen Anbau gezüchtet: ertragreich, gleichzeitig erntereif, einheitlich, lagerfähig. Diese kommerziellen Hybrid-Sorten dürfen nicht vermehrt werden. Im Garten legt man dagegen Wert darauf, ohne Chemie und über lange Zeiträume zu ernten. Vielfaltssorten bieten dies und zudem Unabhängigkeit von der agrochemischen Industrie, die heute bereits die Hälfte des weltweit verkauften Saatguts produziert.
Bio-Kunden hätten ebenfalls das Nachsehen. Für den Öko-Landbau gezüchtete Sorten fallen häufig durch die Zulassung, denn sie sind nicht einheitlich genug. Die reichere genetische Ausstattung der Ökosorten ist anpassungsfähiger und erleichtert die Pflege ohne chemische Krücken. Die Ökosorten könnten der agrochemischen Industrie auf dem Saatgutmarkt Konkurrenz machen. Die bisherigen EU-Regelungen verhindern dies durch die vorgeschriebene Einheitlichkeit. So entgehen den Bio-Verbrauchern wichtige Möglichkeiten, mit ihren Euros für eine ökologischere Landwirtschaft zu sorgen.
Der Dachverband Kulturpflanzen- und Nutztiervielfalt ruft gemeinsam mit der Saatgutkampagne in einer Petition die EU-Kommission, das Parlament und den Ministerrat auf, jede Saatgutrechtsreform zurückzuweisen, die bislang bekannten Pläne weiter verfolgt und die Forderungen von Verbrauchern, Gärtnern, Landwirten und Bürgern nicht berücksichtigt.