Zeitlos glücklich

Man muss ihn wohl kaum noch vorstellen: Eckhart Tolle gehört inzwischen weltweit zu den beliebtesten spirituellen Lehrern und Vortragsrednern. Mit seiner einfachen (und doch schwer umzusetzenden) Philosophie begeistert er Tausende von Menschen. Was er vermittelt, sind keine Methoden der Vergangenheitsbewältigung, keine hochtrabenden Ziele und keine komplizierten Techniken zur Erleuchtung. Er spricht immer nur …
vom Jetzt.

glueklichDas Jetzt? Ist das nicht dieses kurze Stück zwischen eben und gleich, das sich immer schnell zu einem der beiden verdrückt? Man kann leicht das Gefühl haben, dass das Jetzt eigentlich stets zu kurz ist, um wirklich da zu sein. Man kann aber auch die Gedankenmühle abstellen und merken, dass das Jetzt immer ist, dass es im Grunde nie aufhört. Das Leben ist jetzt – alles andere ist Gedankensalat!

Eckhart Tolle zufolge befinden wir uns auf einem Irrweg, wenn wir uns mit unseren Gedanken und vor allem den Ideen über uns selbst identifizieren. Der innere Gedankenstrom, der unseren Kopf fast ständig durchflutet, hat wenig damit zu tun, was oder wer wir wirklich sind. Er macht uns weder glücklich, noch verhält er sich sehr effektiv – sonst würde er ab und zu klare Schlüsse ziehen und die sonstige Zeit einfach schweigen.

»Zeit ist überhaupt nicht kostbar, denn sie ist eine Illusion. Was dir so kostbar erscheint, ist nicht die Zeit, sondern der einzige Punkt, der außerhalb der Zeit liegt: das Jetzt. Das allerdings ist kostbar. Je mehr du dich auf die Zeit konzentrierst, auf Vergangenheit und Zukunft, desto mehr verpasst du das Jetzt, das Kostbarste, was es gibt.«
(Eckhart Tolle)

Das stete Denken hingegen, das Hin-und- Her-Pendeln zwischen den Fragen Liebe oder Hass?, Macht oder Ohnmacht?, Akzeptanz oder Distanz? – die ewigen großen Themen, die fast jedem Problem zugrunde liegen – erfüllen keinen Zweck außer jenem, dass sie unsere Zeit und Energie verschwenden und uns ein Gefühl von negativer oder positiver Wichtigkeit verleihen, die verteidigt werden will.

Zeit und Verstand sind dabei eine eng verknüpfte Einheit. Ohne die vielen
Optionen der Zukunft und die etlichen Ideen über uns und die Welt, die wir in der Vergangenheit angesammelt haben, hätte unser Verstand kaum etwas, an dem er so eifrig nagen könnte wie ein Hund an seinem Knochen. »Das falsche, unglückliche Selbst, das in der Identifikation mit dem Verstand begründet ist, lebt von der Zeit«, schreibt Eckhart Tolle bereits in seinem ersten Bestseller (»Jetzt!«) und fährt fort: »Es weiß genau, dass der gegenwärtige Moment seinen eigenen Tod bedeutet, und fühlt sich natürlich von ihm bedroht. Es wird alles tun, um dich aus ihm herauszuholen. Es wird versuchen, dich in der Zeit gefangen zu halten.«

Eckhart Tolle
Eckhart Tolle
Damit zeigt sich bereits die Schwierigkeit, die uns die Loslösung vom stetig quasselnden »Mind« bereitet. Unser Mind will einfach keine Ruhe geben – als ginge es tatsächlich um sein Leben. Immer wieder bombardiert es uns mit neuen Ideen bezüglich des Wenn und Aber einer Situation oder Fragen darüber, ob man von X und Y genügend geschätzt wird usw. Das Mind liebt es, sich aufzuregen, sich warmzulaufen wie ein Rennwagenmotor, sich in mentalen Prozessen der Opfer- oder Täterhaltung stetig im Kreis zu drehen. Der einzige Ausweg aus dieser dauerhaft erzeugten Problemzone führt über das Jetzt, über die Gegenwärtigkeit.

»Du kannst dich nicht selber finden, indem du in die Vergangenheit gehst. Du findest dich selber, indem du in die Gegenwart kommst«, erklärt Tolle und macht damit klar, dass Vergangenheitsbewältigung nicht nötig ist, um von zu viel Ego-Last befreit zu werden. Ebenso wenig hält er von hohen Zielen, die man in der Zukunft erreichen will. »Es ist nichts falsch daran, sich Ziele zu setzen und Dinge erreichen zu wollen. Falsch ist es, wenn du daraus einen Ersatz machst für das Fühlen des Lebens, des Seins, denn zu dem findest du nur über das Jetzt Zugang«, erläutert er.

So ist die beste Art, sich von Zweifeln, Urteilen und Problemen zu befreien, in achtsamer Gegenwärtigkeit zu bleiben. Bevor das innere Gerede jedoch ganz verstummt, dauert es meist einige Zeit. Als Übergang gilt die Phase, in der man anfängt, die Gedanken im eigenen Kopf zu beobachten. Man beobachtet, wie die Gedanken kommen, und sollte sie dann möglichst einfach von dannen ziehen lassen, ohne sich mit ihnen zu beschäftigen. Wie Wolken sollte man sie am inneren Himmel herannahen und sich auflösen sehen.

Eine Verlagerung von der Präsenz im Kopf zur Präsenz im Körper hält Eckhart Tolle dabei für wichtig – oder vielmehr ist dies etwas, das natürlicherweise passiert, wenn man weniger im Kopf ist. Wir können dann wieder deutlich spüren, was unser Körper uns mitteilt und was für eine befreiende Weite sich hinter der Geräuschkulisse der Gedanken verbirgt. In einem Interview mit dem spirituellen Lehrer Wayne W. Dyer führt er dies noch etwas weiter aus. »Können wir die Realität in uns spüren, so dass wir unser Identitätsgefühl nicht länger aus den Ideen in unserem Kopf herleiten? Das ist der Anfang, denn im normalen Bewusstsein, das Unbewusstheit ist, besitzen wir ein sehr beschränktes Identitätsgefühl, das konditionierte Selbst, das zeitgebundene Selbst, das, was der Buddha die Illusion nannte … «, sagt er.

Das besagte Interview, welches als DVD und Buch erhältlich ist, gibt auf sehr unterhaltsame Weise einige tiefergehende Gedanken Eckhart Tolles wider. Und auch sein Gesprächspartner Wayne W. Dyer hält viele unterhaltsame Stories bereit. In Amerika ist er ein ebenso bekannter spiritueller Lehrer wie Tolle. Auch er schöpft aus den spirituellen Quellen verschiedener Lehren und verbindet als Psychotherapeut das Spirituelle mit alltagstauglichen Rezepten. In ihrem Gespräch berichten die beiden Größen der spirituellen Szene von persönlichen Erfahrungen und Erlebnissen und beantworten Fragen aus dem Publikum. Hier wird im wahrsten Sinne des Wortes »über Gott und die Welt« geredet.

Immer bündelt sich der Sinn des Gesagten jedoch wieder in einem Punkt: im Jetzt. Und das nicht nur, weil es die einfachste Form des Seins ist. Nein, auch weil es eine große befreiende Wirkung hat, gegenwärtig zu sein. Viele von uns kennen das Gefühl, wenn wir plötzlich in den Flow kommen und scheinbar schwerelos durch einen Moment gleiten – es sind Momente, in denen wir uns vollständig und frei fühlen, während im Kopf erholsame Stille herrscht.

Gegenwärtigkeit beschreibt Tolle als ein Gefühl tiefer Lebendigkeit, das nichts mit der eigenen Lebensgeschichte oder Ausrichtung zu tun hat. Wenn wir es schaffen, dieses Bewusstsein in uns zu berühren, befreit uns das von einem verzerrten Selbstgefühl, das uns in vielerlei Hinsicht begrenzt. »Es ist eine aufregende, erhebende Erfahrung, das begrenzte Selbst zu transzendieren und in uns jene Präsenz zu spüren, die der Verstand nicht zu begreifen vermag und der man keinen Namen geben kann … Deshalb sind wir hier, um das zu erleben«, beschreibt es Eckhart auf seine bescheidene ruhige Art und der Saal lauscht gebannt.

»Es ist eine aufregende, erhebende Erfahrung, das begrenzte Selbst zu transzendieren und in uns jene Präsenz zu spüren, die der Verstand nicht zu begreifen vermag und der man keinen Namen geben kann … Deshalb sind wir hier, um das zu erleben.« (Eckhart Tolle)

Keineswegs meint Tolle aber, dass unser Verstand völlig nutzlos ist. Er räumt dem Verstand eine klare Daseinsberechtigung für bestimmte Angelegenheiten ein, in denen er ein außerordentlich nützliches Instrument sein kann, wie z. B., um rationale Aufgaben zu lösen. Doch wenn es nicht um rationale, sondern um emotional geladene Themen geht, kann unser Denkapparat getrost wieder »heruntergefahren« werden. »In Wirklichkeit sind 80 bis 90 Prozent des Denkens der meisten Menschen nicht nur nutzlos und repetitiv, sondern oft so gestört und negativ, dass sie geradezu schädlich wirken«, erläutert Tolle und macht damit klar, dass wir hier die Ursache für das Unglücklichsein par excellence vor uns haben. Das Manko beginnt stets, wenn wir unser Selbst mit unserem Verstand, unseren Gedanken gleichsetzen. Es entsteht ein »Ego-Verstand«, der die Macht über das ganze Leben übernehmen kann und niemals Ruhe gibt.

Wayne Dyer
Wayne Dyer
Wir sind jedoch viel mehr als diese Gedanken. Wir sind kreative Wesen voller Energie und Potenzial. Die Qualitäten unseres Herzens und unserer Gefühle übersteigen die Fähigkeiten unserer inneren Denkfabrik bei Weitem. »Andauernde Gedankenaktivität hält dich in der Welt der Form gefangen und wird zu einer undurchsichtigen Trennwand, die verhindert, dass du dir des Unmanifesten bewusst wirst«, weiß Eckhart Tolle auch zu berichten. Und nicht nur wir, sondern auch die Welt wird in ihrer ganzen Pracht offenbar, wenn wir still werden: Sie ist mehr als nur eine Ansammlung von Objekten, deren Namen wir in unserem Gedächtnis abgespeichert haben. Sie ist lebendig und in ewiger Bewegung.

Wie immer spricht Eckhart Tolle im Interview mit Dyer auf sehr humorvolle und subtile Art. Er betont, dass wir mehr sind als unser alltägliches Selbst. Er nennt es in dem Gespräch »anders sein«, was auf den ersten Blick etwas irreführend sein kann. Bei diesem Anderssein geht es weniger um eine Hervorhebung der eigenen Individualität als darum, ein erwachter Mensch zu sein. »Sich nicht mehr im Traumland der Identifikation mit seinen Gedanken zu bewegen, sondern achtsam zu sein, gegenwärtig zu sein. Das ist das Andere, die Achtsamkeit. Du bist diese Achtsamkeit«, erklärt Tolle. Wayne Dyer sagt dazu etwas ganz Ähnliches: »Wir alle haben diese Seele genannte Außergewöhnlichkeit. Und sie ist unendlich, denn wenn sie nicht unendlich wäre, wären wir in der Lage, ihr Ende zu finden oder ihren Anfang.«

Gegenwärtigkeit stellt eine andere Art des Seins dar, eine, in der Äußerlichkeiten und die vielen Fragen nach dem Warum und Wohin keine Rolle mehr spielen. Es verbindet uns mit etwas Tieferem und Schönerem, das der Welt innewohnt und sich nur zeigt, wenn man schweigt. Wir sollten diesem unendlichen Teil in uns wieder genügend Zuwendung schenken, denn hier liegt das stille Glück, das wir auf so vielen Umwegen suchen.

Ein flüchtiges Gefühl dieses Glücks erhaschen wir bereits, wenn eine Unterbrechung im Gedankenstrom entsteht. Für die meisten Menschen geschehen solche Pausen eher selten und nur zufällig in Augenblicken, wo der Verstand stillsteht, manchmal hervorgerufen durch große Begeisterung oder Ehrfurcht, außerordentliche körperliche Anstrengung oder große Gefahr. Wir können diese Momente auf unser ganzes Leben ausdehnen. Jegliche Erwartungen, Hoffnungen, Enttäuschungen und Anhaftungen müssen sich dann verflüchtigen wie laue Sommerwolken in einem beständigen Hoch.

DVD-/Buch-TIPP
warum
Eckhart Tolle
Warum es wichtig ist, anders zu sein –
Der legendäre Dialog
mit Wayne W. Dyer

122 Min./128 Seiten, € 24,99
ISBN: 978-3-957360-09-0
L.E.O Verlag