Prof. Dr. Markolf H. Niemz ist Physiker und lehrt Medizintechnik an der Universität Heidelberg. Seine Forschungsprojekte über Lasermedizin und Patientenmonitoring im Intensivpfl ege- und OP-Bereich haben ihn dazu bewegt, sich mit der Physik von Nahtoderfahrungen auseinanderzusetzen. In seinem neuen Buch „Lucy im Licht“ schildert er naturwissenschaftliche Phänomene, die auf verblüffende Weise dem ähneln, was Menschen von der Schwelle zum Tod berichten.
newsage: In der Sterbeforschung ist seit Langem bekannt, dass Menschen mit Nahtoderfahrungen häufi g berichten, sie seien mit zunehmender Geschwindigkeit durch eine Art Tunnel zu einem Licht gefl ogen, das sie geradezu magisch anzog. Nun gibt es in der Physik einen ganz ähnlichen Effekt – können Sie uns den kurz beschreiben?
Niemz: Gern. Es handelt sich um den sogenannten „Searchlight-Effekt“ (Scheinwerfer- Effekt) aus der Relativitätstheorie. Wenn sich etwas sehr schnell bewegt, trifft das Umgebungslicht gebündelt von vorn auf dieses Etwas ein. Einen ganz ähnlichen Effekt beobachten wir, wenn wir bei Schneefall joggen gehen. Für uns fallen die Schneefl ocken dann nicht mehr senkrecht vom Himmel, sondern sie treffen uns schräg von vorne. Könnten wir mit Fast-Lichtgeschwindigkeit fl iegen, so würden auch wir einen dunklen Tunnel wahrnehmen, an dessen Ende ein helles Licht erstrahlt – so wie auf dem Buchcover von „Lucy im Licht“.
newsage: Lucy, die junge Forscherin und Protagonistin in Ihrem Buch, stellt nun aufgrund der Ähnlichkeit beider Phänomene ein bahnbrechendes und gewagtes Axiom auf: „Mit dem körperlichen Tod wird unsere Seele auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt, damit sie ins Jenseits übergehen kann.“ Welche Parallelen gibt es zwischen den physikalischen Phänomenen, die mit der Lichtgeschwindigkeit einhergehen, und den theologischen Vorstellungen vom Jenseits?
Niemz: Interessanterweise passiert etwas sehr Merkwürdiges mit Raum und Zeit, wenn sich etwas mit Lichtgeschwindigkeit bewegt. Wenn ein Lichtteilchen von der Sonne zur Erde fl iegt, so messen wir auf der Erde dafür eine Dauer von etwa acht Minuten. Der Abstand zwischen Sonne und Erde beträgt für uns ca. 150 Millionen Kilometer. Für das Lichtteilchen selbst vergeht dabei aber überhaupt keine Zeit und der Abstand zwischen Sonne und Erde schrumpft auf Null zusammen. Licht befi ndet sich also in einem Zustand der Zeit- und Raumlosigkeit. Die Theologie hat schon seit Jahrtausenden zwei Begriffe hierfür geprägt: Ewigkeit und Omnipräsenz. Das Pikante dabei ist: Tunnelerlebnis, Ewigkeit und Omnipräsenz gibt es dann und nur dann, wenn etwas – beispielsweise die Seele – auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt wird.
Die Beschleunigung auf Lichtgeschwindigkeit führt die Seele in einen Zustand von Omnipräsenz und Ewigkeit. |
newsage: „Ewigkeit“ bedeutet also für Sie „Zeitlosigkeit“ – und nur in der Zeit können wir Erfahrungen machen, richtig?
Niemz: Ja, das ist tatsächlich eine der wichtigsten Erkenntnisse, die Lucy ihren Leserinnen und Lesern vermitteln möchte. Hierzu ein Beispiel: Wissen Sie, worüber ich mich gestern ganz besonders gefreut habe?
newsage: Nein, wie könnte ich das wissen.
Niemz: Eine Leserin hat mir geschrieben, dass Lucy ihrem Leben wieder einen tieferen Sinn gegeben hat. [Niemz schmunzelt.] Das ist natürlich eines der schönsten Komplimente für einen Schriftsteller, wenn er erfährt, wie viel seine Bücher bewirken. Eigentlich will ich damit aber nur Folgendes verdeutlichen: Vor einer Minute wussten Sie noch nicht, was diese Freude in mir ausgelöst hat. Nun wissen Sie es – eben, weil zwischendurch Zeit verstrichen ist. Also brauchen wir Zeit, um überhaupt etwas lernen zu können oder Erfahrungen zu machen. Lucy ist davon überzeugt, dass wir deshalb in einer Welt leben, in der es Zeit gibt. Auch, um aus unseren eigenen Fehlern zu lernen. Übrigens hat Lucy eine mindestens genauso verblüffende Antwort darauf gefunden, warum es im Diesseits neben Zeit auch noch Raum gibt. Aber die will ich hier nicht verraten – schließlich will ich Ihre Leserinnen und Leser ja neugierig darauf machen, selbst „Lucy im Licht“ zu lesen.
Zusammenspiel von „Seelenampel“ und „Körperampel“ |
newsage: Schön und gut – Lucys Axiom klingt überzeugend, denn sie hat ein paar stichhaltige, naturwissenschaftlich abgesicherte Argumente auf ihrer Seite. Aber ein Physiker könnte doch einwenden, dass es unmöglich sei, einen Gegenstand auf Lichtgeschwindigkeit zu beschleunigen …
Niemz: Das ist in der Tat der häufigste Einwand gegen Lucys Annahme, die Seele könne bis auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt werden. Die klassische Physik Newtons führt die Beschleunigung einer Masse stets auf eine äußere Kraft zurück. Allerdings macht Newton keine Aussage darüber, ob sich auch etwas Masseloses beschleunigen lässt. Gewiss, die Relativitätstheorie Einsteins lehrt uns, dass Materie niemals Lichtgeschwindigkeit erreichen kann. Wenn aber die Seele masselos ist, dann kann sie sich – wie auch die Lichtteilchen – mit Lichtgeschwindigkeit bewegen. Genau diese Tatsache ist so faszinierend an Lucys Axiom: Wir brauchen gar keine Science- Fiction-Konstruktion. Allein eine ganz reale Geschwindigkeit – nämlich die Lichtgeschwindigkeit – reicht aus, um die Ewigkeit und Omnipräsenz zu erreichen.
newsage: Wie reagieren denn Ihre Fachkollegen im Allgemeinen? Ich meine, können sie sich mit Lucys Gedanken anfreunden?
Niemz: Nun, zunächst möchte ich klarstellen, dass die Aussagen meiner Bücher nicht den „Mainstream“ in den Naturoder Geisteswissenschaften darstellen. Daher ist auch verständlich, dass manche Kollegen eher verhalten reagieren. Schließlich gehört der Begriff der Seele noch nicht zum Vokabular der heutigen Physik. Aber auch wir Physiker erkennen zunehmend, dass die Welt, in der wir leben, mit Naturwissenschaft allein nicht erklärbar ist. Vieles können wir zwar experimentell beobachten und messen, aber beim „Warum?“ stößt die Naturwissenschaft schnell an ihre Grenzen. Der Clou an Lucys Gedanken ist, dass sie im Einklang sind mit der modernen Naturwissenschaft. Somit erhalte ich auch viel Zustimmung, insbesondere von Kollegen, die selbst auf der Suche sind nach einer höheren Ordnung oder Vernunft für diese, doch so wunderbare Schöpfung. Ganz besonders freue ich mich auf die vielen Lesungen, zu denen die Kirchen eingeladen haben.
newsage: Sie haben mit dem Erlös aus „Lucy im Licht“ und aus seinem Vorläufer – dem äußerst erfolgreichen Bestseller „Lucy mit c“ – die Stiftung „Lucys Kinder“ gegründet. Welche Ziele verfolgen Sie mit dieser Stiftung?
Niemz: Mit dieser Stiftung setze ich das um, was ich selbst von Lucy gelernt habe. Liebe und Wissen sind die wichtigsten „Güter“ im Leben. Deshalb soll auch jedes Kind die Chance erhalten, geliebt und gebildet zu werden: durch bessere Lebensbedingungen, die Stärkung seiner Familie und den Besuch einer Schule. Genau für diese Ziele setzt sich die Stiftung „Lucys Kinder“ ein: Kindern aus den ärmsten Ländern dieser Welt soll es ermöglicht werden, die Bedeutung von Liebe zu erfahren und Wissen zu erwerben. Darum investiert die Stiftung insbesondere in den Bau von neuen Kinderheimen und Schulen. Lucy möchte, dass wir im Leben mehr Verantwortung übernehmen, indem wir unsere Zeit im Diesseits nutzen – für Taten zum Nutzen anderer!