Ein alter und stets neuer Menschheitstraum: durch die Liebe zwischen Mann und Frau zur Unsterblichkeit und zu ewigem Glück finden. Daniela Jodorf ist durch die Liebe auf den spirituellen Weg gekommen und vermittelt ihre ungewöhnlichen Erfahrungen in ihren Romanen – so auch in ihrem neuesten: Die Meisterschülerin.
Sie winkt mir zu. Zierlich die Gestalt, anmutig der Gang. Erster Eindruck nach dem fröhlichen „Hallo“: natürlich, unkompliziert, ein angenehmer Interviewpartner. Wir treffen uns im Biergarten „Zooeck“ in Köln, gegenüber vom Eingang zum Botanischen Garten. Daniela Jodorf schaut mir forsch in die Augen. Sucht sie die Herausforderung? In jedem Fall möchte sie möglichst ohne Umschweife zum philosophisch- spirituellen Kern kommen. Meine erste Frage geht in diese Richtung.
newsage: Frau Jodorf, Ihr neuester Roman „Die Meisterschülerin“ skizziert einen spirituellen Weg, der hier im Westen noch wenig bekannt ist. Es ist eine indische Tradition, die „Kaschmirischer Shaivismus“ genannt wird. Was hat es damit auf sich?
Jodorf: Ich habe immer nach Philosophien gesucht, die mir Antwort auf meine Fragen geben und die mir meine persönlichen Erfahrungen erklären. Lehren, die auch das Herz ansprechen und die verschiedenen Ebenen des Bewusstseins transparent machen. Die Linie des Kaschmirischen Shaivismus vermittelt die tantrische Sicht des Bewusstseins so, dass Verstand und Herz gleichermaßen befriedigt sind, wissenschaftlich und praktisch. Sie ist wirklich von der menschlichen Erfahrung durchtränkt.
newsage: Sollte das im Tantra nicht immer so sein, dass die Lehre in der eigenen Erfahrung bestätigt wird?
Jodorf: Ja, das sollte so sein. Gerade deshalb weise ich ja auf diese ganz individuelle Resonanz hin. Manche Lehrer oder Lehren berühren mich stark, andere weniger. Wenn ich schreibe, möchte ich bestimmte Individuationserfahrungen vermitteln und suche mir genau das System aus, das sie am besten auf den Punkt bringt.
newsage: Der Shaivismus ist eine nichtdualistische Lehre, ebenso wie das Advaita Vedanta. Worin liegt der Unterschied?
Jodorf: Soweit ich weiß, sieht Advaita Vedanta, als dessen Vater Shankara gilt, die Erscheinungen als Illusion, während im Tantra die Welt durchaus als real gilt. Das tantrische Tor zum höheren Bewusstsein ist gerade die Sinneserfahrung. Dennoch: Tantriker suchen die Einheit nicht in der vergänglichen materiellen Welt der Erscheinungen, sondern in dem, was unvergänglich ist, dem reinen Bewusstsein, das sie über die Erforschung der materiellen Welt zu erkennen suchen.
newsage: Die Übungen sind darauf ausgerichtet, in immer feinere Bewusstseinsebenen vorzustoßen, bis die letzte Hülle zum wahren Selbst verschwindet?
Jodorf: Ja, das beschreibe ich in dem Roman „Die Meisterschülerin“. Die Hauptperson geht durch Konzentration auf die verschiedenen Erfahrungs- bzw. Wahrnehmungsebenen Schritt für Schritt auf die Selbsterkenntnis zu.
newsage: Gibt es in Ihrem eigenen Leben ein einschneidendes spirituelles Erlebnis, das stärker als alles andere war?
Jodorf: Ja, das gibt es, doch rückblickend hat es sich langsam vorbereitet. Ich habe während meines Jurastudiums die Gesammelten Werke von C. G. Jung verschlungen. Dann bin ich auf ein Buch von Karen Horney gestoßen, in dem sie über die Möglichkeit der Selbsttherapie schreibt. So wurden Jungs Erkenntnisse über das Bewusstsein für mich unmittelbar anwendbar. Nach dieser Zeit, das waren ungefähr zwei Jahre, habe ich mich verliebt. Verliebt ist nicht das richtige Wort: Ich habe sehr tiefe Liebe erfahren, Liebe, in der für mich das Selbst sichtbar wurde. Ich sah, dass wirkliche Liebe der Zustand der Nicht-Dualität und Ganzheit ist, den Jung so häufig beschrieben hat.
Das war der Beginn einer Zeit der Individuation. Diese Liebeserfahrung und die Selbstwerdung, die durch wahre Liebe ausgelöst werden kann, sind der Inhalt meiner Romane. Ich war zum Glück durch die psychologischen Studien gut genug vorbereitet, um zu wissen, was mir passierte. So konnte ich mich vollständig auf die Energie einlassen, gab meinen Beruf als Anwältin auf und begann damit, die Erfahrung der Selbsterforschung und Selbsterkenntnis in Romanform zu beschreiben. Es war mir wichtig, sie auch anderen zugänglich zu machen. Das ist nun zwölf Jahre her und der Individuationsprozess ist noch immer nicht abgeschlossen.
newsage: In „Die Meisterschülerin“ ist die Hauptfigur eine junge Inderin namens Amrita. Da fließt sicher auch einiges von Ihrer Erfahrung in die Figur ein?
Jodorf: Jedem Roman liegen bestimmte eigene Erfahrungen bei der Selbsterforschung zugrunde. Ich überlege dann, wie und in welcher Figur ich das im Kontext von Individuation und Selbstwerdung darstellen kann. Hierzu suche ich nach einem passenden philosophischen System, das die Quintessenz repräsentiert und fange an zu schreiben.
Die Charaktere im Buch sind eigenständig, sie können zueinander finden oder auch nicht, doch bei den Liebespaaren ist es wichtig, dass jeder im und durch den anderen das eigene Potenzial sieht, das entwickelt werden kann. Jeder sieht im anderen das Selbst, das er im Laufe der Geschichte als seine wahre Natur erkennt. Die Figuren sind nicht ich. So ist Amrita keine direkte Beschreibung meiner Person. Doch ich muss ihre Gefühle und Grundmuster kennen, um sie authentisch und kraftvoll beschreiben zu können.
newsage: Zentral ist offensichtlich die Liebe zwischen Frau und Mann – das Tor zur Spiritualität? Spielen dabei die gegensätzlichen Geschlechter die entscheidende Rolle, oder ist dies auch in einer Liebe zwischen gleichen Geschlechtern möglich?
Jodorf: Nein, im tantrischen Bereich geht es um Shiva als das männliche Prinzip und um Shakti als das weibliche Prinzip. Meine Figuren repräsentieren das, sie sind also archetypisch. Sie sind beide energiegeladen und begegnen sich als polare Kräfte, die schließlich als komplementär erkannt werden. Die männliche Figur steht für mich beim Schreiben immer als Symbol für reines Bewusstsein und die weibliche als Symbol für schöpferische Energie. Wenn beide Energien zusammenkommen, passiert etwas, es entsteht der Funke, der das Feuer der Erleuchtung bringt. Die Frage ist natürlich: Lassen sich beide darauf ein? Wenn es so ist, dass sich beide auf die Transformation einlassen, kommen zwei Aspekte oder Begriffe dazu, die mir in meinen Romanen sehr wichtig sind: Liebesfähigkeit und Hingabefähigkeit.
newsage: Und wodurch unterscheiden sich diese Aspekte?
Jodorf: Liebesfähigkeit bedeutet für mich, willens und fähig zu sein, das Herz zu öffnen und auch regieren zu lassen. Und daraus folgt dann die Hingabefähigkeit bzw. die Prüfung, ob man zur Hingabe fähig ist, das heißt, den Verstand und den Willen der Kraft der Liebe, der inneren Vereinigung, in immer neuen Situationen hinzugeben.
newsage: Also über die Person und die persönliche Beziehung hinauszugehen?
Jodorf: Ja, es ist die Hingabe an die Kraft und das göttliche Selbst.
newsage: Es heißt ja, dass das Herz gebrochen werden muss – ein Verlust durch Trennung oder Tod, um zur wahren Hingabe zu kommen. Ist das auch ein Grundgedanke in Ihrem aktuellen Roman?
Jodorf: Ja. Amrita kommt nach einem Studium in London zu ihrer indischen Familie in Delhi zurück. Dort trifft sie auf ihre Schwester und deren Mann Gautam und erlebt ausgerechnet mit diesem Mann in einer intimen Begegnung eine Erinnerung an ein früheres gemeinsames Leben. Diese Ausdehnung der Wahrnehmung, diese größere Schau durch Raum und Zeit hindurch, wird durch ihre tiefe Liebesfähigkeit möglich.
Doch die familiäre Situation macht eine öffentliche Liebesbeziehung unmöglich. Der Mann gehört zu ihrer Schwester. Die Liebenden müssen – wie schon in vergangenen Leben – im weltlichen Sinne aufeinander verzichten, und das wird zur Kraft der Transformation. Die Projektion nach außen funktioniert nicht mehr, und das ist der eigentliche Segen. Darum geht es in all meinen Büchern: die äußere Projektion nach innen zurückzuholen. Die Wahrnehmung verändert sich und die Romanfiguren erkennen, was Liebe wirklich ist. Nicht: Ich liebe das Du, sondern Liebe ist ein Zustand des höheren Bewusstseins, in dem du und ich eins sind. Das ist etwas fundamental anderes. Diese Einsicht wird einem nicht zuteil, wenn das Du, das man als eine getrennte Identität im Außen wahrnimmt, immer verfügbar ist. Je mehr ich nach ihm greife, desto weiter entfernt es sich von mir. Plötzlich beginnen wir den Unterschied zwischen Liebe und der Thematik des Verlangens und Begehrens zu begreifen. Je klarer wir diesen sehen, desto näher kommen wir dem eigenen Kern.
newsage: In der „Meisterschülerin“ spielt die alterslose „Yogini“ eine große Rolle, die Amrita als Schülerin in die Geheimnisse des Tantra einführt. Steht die für den kaschmirischen Shaivismus?
Jodorf: Ja. Im Tantra sind es oft die Frauen, die Träger der Kraft, der Shakti, die Meisterinnen sind. Sie führen das individuelle Bewusstsein zum Selbst, so wie Shakti die Energie, das Bewusstsein letztlich zur Vereinigung mit Shiva, dem höchsten Bewusstsein, führt. Die meisten denken eher an männliche Gurus, aber meines Wissens gibt es im Himalaja sehr viele weise Frauen, die als tantrische Meisterinnen wirken, bei uns aber überhaupt nicht bekannt sind. Sie unterrichten keine großen Gruppen, sondern Einzelne, die eine innere Verbindung zu dieser Energie haben und sie oftmals auf wunderbare Weise finden.
Daniela Jodorf, geboren 1969, ist ausgebildete Juristin. Seit vielen Jahren beschäftigt sie sich mit Meditation und Yoga sowie mit tibetischem Buddhismus und Hinduismus. Seit 1998 schreibt sie spirituelle Romane.
www.daniela.jodorf.de