Achtsam aus der Depression

Unter Depression leiden allein in Deutschland rund 4 Millionen Menschen. Die Behandlung mit Psychotherapie und Psychopharmaka ist heute so gut wie nie zuvor – und doch erleiden viele Betroffene immer wieder Rückfälle in die „Dunkle Nacht der Seele“. Nun gibt es neue Hoffnung in Form der von den Wissenschaftlern Mark Williams, John Teasdale und Zindel Segal entwickelten „Achtsamkeitsbasierten Kognitiven Therapie“ (MBCT), die erstaunliche Erfolge in der Behandlung des gefürchteten Leidens erzielt.

„Wenn uns eine Depression in den Abgrund zu ziehen beginnt,“ erklärt Mark Williams, „reagieren wir aus verständlichen Gründen oft mit dem Versuch, uns unserer Gefühle zu entledigen, indem wir sie unterdrücken oder indem wir versuchen, uns durch Denken aus ihnen herauszulavieren. Dabei grübeln wir über verpasste Chancen aus der Vergangenheit nach und beschwören Sorgen über zukünftige Probleme herauf. Im Kopfe spielen wir diese und jene Lösung durch und es dauert nicht lange, bis wir uns ganz schlecht fühlen, weil es uns nicht gelingen will, einen Weg zur Linderung unserer leidvollen Emotionen zu finden. Wir verlieren uns im Vergleichen unseres Ist-Zustandes und unseres Soll-Zustandes und leben bald fast nur noch im Kopf.“

Diese gedankliche Verstrickung führt dazu, dass die Betroffenen mehr und mehr in ihrer „eigenen Welt leben“, den Kontakt zur Umwelt und zu den Mitmenschen zunehmend verlieren – oft sogar zu denen, die ihnen am nächsten stehen. „Kein Wunder also,“ erklärt Williams, „dass wir den Mut verlieren und vielleicht zu dem Schluss kommen, es gäbe nichts, was wir noch tun könnten. Doch genau an diesem Punkt kann mitfühlende, meditative Bewusstheit eine entscheidende Rolle spielen.“

Laut Williams kann uns eine oft vergessene und meist unterschätzte Kraft zur Hilfe kommen: der eigene Körper. „Wenn wir uns in unseren Gedanken verlieren und versuchen, unsere Gefühle über Bord zu werfen,“ betont Williams, „achten wir kaum auf die physischen Empfindungen unseres Körpers. Dabei übermitteln uns diese Empfindungen innerhalb des Körpers ein unmittelbares Feedback darüber, wie es um unseren emotionalen und mentalen Zustand bestellt ist. Diese Wahrnehmungen können uns auf unserem Weg, uns aus der Depression zu befreien, wertvolle Informationen geben und wenn wir darauf achten, bewahrt uns das nicht nur vor der Gedankenfalle, uns in die Zukunft vorzustrecken oder in der Vergangenheit stecken zu bleiben, sondern es kann auch die Emotion selbst verwandeln.“

Der Schlüssel zu dieser Verwandlung liegt in unserem eigenen Gewahrsein und der Praxis der Achtsamkeit. „Das Ziel von Achtsamkeit ist es, mehr gewahr zu sein, mehr mit dem Leben verbunden zu sein, mehr damit verbunden zu sein, was immer auch gerade in unserem Körper und Geist geschieht – mit dem, das ist, jetzt, im gegenwärtigen Augenblick“, erklärt Jon Kabat-Zinn, Gründer und ehemaliger Leiter der „Stress Reduction Clinic“ in Massachusetts, USA. Und der Weg zu mehr Gewahrsein führt über einfache praktische Übungen wie den „Body Scan“ – eine im Liegen ausgeführte Meditationspraxis, bei dem nacheinander jedem Teil des Körpers Aufmerksamkeit geschenkt wird. Er ermutigt den Übenden im gegenwärtigen Moment in einer aufgeschlosseneren, engeren und freundschaftlicheren Beziehung mit seinem Körper zu stehen.

Natürlich ersetzt MBCT nicht die medizinischen Behandlungsformen bei akuter oder chronischer Depression. Doch ihr achtsamer Einsatz kann, wie inzwischen auch in zahlreichen wissenschaftlichen Studien belegt werden konnte, den Betroffenen dabei helfen, wieder in Kontakt mit ihren Gefühlen zu kommen und den Teufelskreis der Depression leichter und vor allem nachhaltiger zu durchbrechen.

BUCH-TIPP
Mark Williams, John Teasdale, Zindel Segal & Jon Kabat-Zinn
‚Der achtsame Weg durch die Depression‘
352 Seiten, mit 2 CDs, € 39,90
ISBN 978-3-936855-80-7
Arbor Verlag
www.arbor-verlag.de