Schwung, Lebensfreude, Körperlichkeit und Erotik verbinden sich mit dem Gedanken an Tanz, während wir Yoga als statisch, nach innen gekehrt und ganz und gar nicht lustvoll betrachten. Was verbindet diese beiden so entgegen gesetzten Sphären? Und welche Energien setzt ihre Verbindung frei? Die Tanztherapeutin Gabriele Klaiber taucht in das Geheimnis ein.
Mit einem Mal ist Bollywood-Tanz ein großes Thema. Eben noch war Indien das Land, wo Yogis Jahrzehnte lang in Himalaya-Höhlen meditierend die Einheit mit Gott suchen und sich zwischendurch beim Yoga die Gliedmaßen verknoten, und plötzlich zeigt sich der staunenden westlichen Welt eine neue Traumfabrik, in der fleischgewordene Hindugötter in bunter Requisitenfülle über die Leinwand wirbeln und dabei eine Energie freisetzen, die uns den Atem verschlägt.
Die indische Kultur hat sechs Jahrtausende überdauert. Was ist ihr Geheimnis? Aus irgendeinem Grund ist es ihr immer wieder gelungen, die wechselnden Zeitströmungen in sich aufzunehmen. Und das erleben wir auch heute. Mit der Öffnung zum Westen sind kulturelle Elemente nach Indien geflossen, die jetzt eine neue Blüte am zeitlosen Baum dieser Nation treiben. Das Geheimnis hat einen ganz einfachen Namen: Ganzheitlichkeit. Die immer neuen Blüten sind nur die lebendigen Ausdrucksformen an der Oberfläche des Daseins, die auf die wechselnden Winde reagieren, doch sie nähren sich aus dem ewig gleichen Strom des absoluten Seins. Das ist ein zentrales Konzept der indischen Philosophie und der Schlüssel zu ihrer Langlebigkeit und Wandlungskraft.
Aus dieser Perspektive rücken auch Tanz und Yoga näher zusammen. Tanz ist der vielfältige Ausdruck des äußeren Lebens, Yoga das einfache Sein in der Einheit. Leben ist Beziehung und Beziehung bedeutet, dass sich etwas bewegt. Die Einheit kristallisiert sich zu Polen, die miteinander und aufeinander reagieren. Negative und positive Ladungen umkreisen sich tanzend im Atom. In den Veden wird die Schöpfung als kosmischer Tanz von Shiva und Shakti beschrieben.
Tanz ist ursprünglich rituelle Bewegung. Das ist schon in primitiven Kulturen so. Rhythmische Bewegungen erzeugen rhythmische Geräusche, das Stampfen der Beine, Klatschen der Hände, Schlagen von Gegenständen. Rhythmisches Rufen stimmt sich ein. Tanz, Musik und Gesang versetzen in einen entrückten Zustand. Der Alltag fällt ab und die göttliche Sphäre öffnet sich. Diese Erfahrung sucht der Mensch, seit er ein Bewusstsein von sich selbst hat. Und die Mittel, die zu dieser Erfahrung verhelfen, hat er konsequent kultiviert. So sind Musik und Tanz als tragende Elemente des Gottes-Dienstes entstanden.
Die Betonung des Ego und die intellektuelle Präferenz haben Musik und Tanz in der westlichen Kultur in die Säkularisierung geführt. In der hohen Kunst von Orchester und Ballett atmet noch der Hauch des Ritus, aber gemeinhin hat sich der klassische Tanz zu einem Leistungssport mit Wettbewerben und Medaillen entwickelt und das, was in den Diskotheken vom Gesellschaftstanz übrig geblieben ist, zu einem mehr oder weniger chaotischen Vorspiel.
Der indische Tanz, der jetzt unter dem Banner von Bollywood die Bühne erobert, hat die Verbindung zu seiner inneren Quelle nicht aufgegeben und diese Quelle ist Yoga. Yoga steht für die Sicht nach Innen, für Ausklang und Stille. Der Körper findet in eine tiefe Ruhe, während sich der Geist bewegt. Die Erfahrung wird als Eintauchen oder lichtschnelles Ausdehnen beschrieben, eine Bewegung in einer anderen Dimension, für die uns Begriffe fehlen. Und das Paradoxe dabei ist, je stärker diese Bewegung expandiert, desto mehr kommt der Geist zur Ruhe, bis schließlich in Raum und Zeit unendliches Bewusstsein den vollkommen stillen Geist erfüllt.
„Magical Mystery Tour“ für Weltflüchtige oder Wellness-Kick für Zivilisationsgeschädigte? Nein. Diese Stille, die Yoga erfahrbar macht, ist die unverzichtbare Grundlage dynamischer Bewegung. Bewegung im äußeren Leben ist ohne Stille im Inneren haltlos. Stille ist das Fundament jeder Bewegung. Und das ist das Geheimnis des indischen Tanzes, seine ergreifende Energie, die aus der unendlichen Stille kommt. So finden Tanz und Yoga zusammen. Stille in Bewegung wird zu Bewegung in Stille. In den Veden werden die Naturgesetze oder Wirkkräfte als Gottheiten personifiziert und Tanz wird als ihr Zusammenwirken beschrieben. Sie sind Teile des göttlichen Schöpfungsplans und in der Gesamtheit ihres universalen Wirkens, ihres Tanzes erhalten sie die Schöpfung. Kommt dieser kosmische Tanz zum Erliegen, löst sich die Schöpfung auf, zieht sich in die unendliche Stille des reinen Seins zurück.
Der erste Tänzer ist Shiva. Shiva heißt und ist Stille, aber zugleich auch unendliche Dynamik in der Stille, die sich als Tanz des Selbst mit sich selbst ausdrückt. Im glückseligen Tanz des Natarajan (Shiva) sind alle grundlegenden Prinzipien von Stille und Bewegung zu finden, wie sie sich auch in Yoga und Tanz ausdrücken. Im Tanz polarisiert sich Shiva mit seiner weiblichen Energie, der Shakti, und erzeugt so auf der Kausalebene die dingliche Wirklichkeit, die nur durch die dualen Pole und ihren Tanz erhalten wird, an sich also Schein ist, Maja. Der Tanz des Shiva erschafft die Welt aus der Stille des Yoga heraus. Deshalb können wir durch bewusstes Erleben von Yoga und Tanz das Wirken von Shiva zunehmend deutlicher wahrnehmen.
Dieser zugegeben nur vage Anriss dieses umfassenden Themas zeigt schon, dass in der Verbindung von Tanz und Yoga weit mehr steckt als schillerndes Bollywood-Amüsement. Deshalb sind beide vereint auch in ganzheitlichen Systemen wie dem Ayurveda zu finden. Die Asanas (Körperstellungen) des Hatha-Yoga sind statisch. Der klassische indische Tanz mit seinen Bewegungen und Mudras (Gesten) ist dynamisch. Beides zusammen ist eine therapeutisch wirkende Verschmelzung von Tanz und Yoga.
Gerade im therapeutischen Bereich eröffnen sich Möglichkeiten, die noch ihrer Entdeckung harren. Die Harmonie der Bewegungen und das innere Fundament der Stille helfen Menschen mit Bewegungseinschränkungen in den Fluss zu kommen. Tanz als emotionaler Ausdruck erschließt sich auch dort leicht, wo der rationale Zugang nicht so einfach möglich ist. Das gilt für gebrechliche Menschen und Behinderte, aber genauso für Kinder. Dabei müssen wir uns beim therapeutischen Ansatz entschieden von der sportlichen Vorstellung lösen, die wir gemeinhin mit Tanz verbinden. Therapeutischer Tanz ist auch im Sitzen oder Liegen möglich. Wesentlich ist nur die rhythmische Bewegung, die ein schunkelndes Hin und Her sein kann oder ein Tanz mit den Fingern begleitet vom leichten Wiegen des Oberkörpers. Die therapeutische Kraft liegt dabei nicht allein in der Bewegung, sondern in der damit verbundenen Gemütsverfassung und viel mehr noch in der Erkenntnis und Erfahrung, dass jeder Bewegung heilsame Stille innewohnt.
Ganzheitlich mit wachem Verstand und stillem Gefühl in die Tiefe von Tanz und Yoga einzudringen, kann zu einer Entdeckungsreise werden, auf der noch manche Schätze zu heben sind.
Gabriele Klaiber ist in verschiedenen Tanzstilen sowie in Tanz- und Musiktherapie ausgebildet. Sie ist langjährige Meditationslehrerin, Klangschalenmassage- Therapeutin und Psychologische Beraterin. Lange Zeit hat sie intensiv die Verbindung von Yoga und Tanz erforscht und ein Kursprogramm entwickelt, das sie seit 2002 in eigener Praxis anbietet.