Chuck Spezzano ist Doktor der Psychologie, innovativer Coach und Bestseller-Autor zahlreicher Bücher zu den Themen Partnerschaft und Lebensweisheit. Zusammen mit seiner Ehefrau Lency hat er die erfolgreiche Methode „Psychology of Vision“ begründet, eine Form der Psychologie, die neben Analyse und Heilarbeit auch Spiritualität und Erwachen miteinbezieht. Während einer Pause zwischen zwei Seminaren in Spanien und Japan hat newsage mit dem charismatischen und humorvollen Amerikaner über seine Arbeit gesprochen.
newsage: Chuck, was hat Sie dazu bewegt, spirituelle Prinzipien in Ihre psychologische Arbeit miteinzubeziehen?
Chuck: Ich habe im Laufe meiner 37-jährigen Arbeit als Berater und Coach erkannt, dass mit der Bewusstwerdung der eigenen Psyche automatisch auch die spirituelle Bewusstheit erwacht und sich entfaltet. Deshalb werden die Seminare von mir und meiner Frau Lency auch von Leuten aus ganz verschiedenen Religionsgemeinschaften besucht. Einer der Aspekte von „Psychology of Vision“ (POV) ist das Erwachen und das ist unabhängig von der Religionszugehörigkeit.
newsage: Sie betonen also die Essenz, das Gemeinsame von Religionen?
Chuck: Ja genau. Bei POV geht es um essentielle Dinge. Es beinhaltet auch das Finden der eigenen Bestimmung, dessen, was einen wirklich inspiriert. Wir möchten die Menschen wieder mit ihrem Herzen verbinden. Indem wir Teilnehmer unserer Workshops zu mehr Freude und Liebe begleiten, helfen wir auch, die Welt ein Stück weit zu heilen. Denn darum geht es bei POV ebenso: um das Erlangen der eigenen Führungsqualität, um das Weitergeben von Freude und Liebe. Meine Frau und ich sind dabei ein exzellentes Team. Sie ist die wegweisende Mystikerin, ich bin der Psychomüllmann (lacht). Die Leute müssen erst ihren psychischen Ballast loswerden, bevor sie sich dem Erwachen widmen können. Wir tragen dazu bei, dass das, was ich den Zeitgeist nenne, ein wenig geheilt wird. Der derzeitige Zeitgeist ist eine Geisterstadt. Wenig Leute wissen, wie wir da raus kommen. Ein Merkmal unseres Zeitgeistes ist zum Beispiel, wie mit dem Thema Unabhängigkeit umgegangen wird. Wir haben uns aus der Phase befreit, wo wir alles glaubten, was uns unsere Familie, der Staat und die Kirche sagten. Jetzt ist aber die nächste Phase wichtig: Interdependenz.
newsage: Was meinen Sie genau mit Interdependenz?
Chuck: Bei der Interdependenz gilt es, in der Gemeinsamkeit, die immer auch ein Stück Abhängigkeit bedeutet, trotzdem unabhängig zu bleiben. Das heißt beiverbirgt spielsweise, sich nicht für den anderen vollends aufzuopfern, sondern die eigene Freiheit weiterhin zu nutzen und integer zu bleiben. Das Problem mit dem Nur- Unabhängig-Sein ist, dass man in dieser Position nicht gut empfangen kann. Sie haben zwar Freiheit und Raum für sich, aber ihr Herz kommt zu kurz. Wir fühlen das oftmals kaum, weil wir uns von unserer weiblichen Seite abgeschnitten haben. Unsere Gesellschaft ist stark auf das Männliche fixiert. Das Weibliche wird nicht genauso geschätzt, oft herrscht sogar Angst davor. Sie können die beiden Aspekte in sich selbst durch eine Beziehung ins Gleichgewicht bringen. Beziehungen machen solche Entwicklungen möglich. Mit der Zeit wird sich ihre Partnerschaft von Machtkämpfen und Gefühlskälte weg bewegen.
newsage: Was können wir tun, damit uns das gelingt?
Chuck: Wir haben herausgefunden, dass eigentlich alle Probleme durch Beziehungen entstehen – egal, ob es sich um Geld- oder Gesundheitsprobleme handelt. Und Konflikte des Geistes können sich auf den Körper verschieben – so entstehen Krankheiten. Mit speziellen Methoden gehe ich direkt an das Unterbewusste. Die Klienten können dann ihre unbewussten Muster in ihren Beziehungen und die zugrunde liegenden Symptome erkennen.
Seit den späten 70ern bin ich dabei, eine Karte der Bewusstseinsentwicklung zu erstellen. Ich beobachte, wie sich Individuen, Paare, Familien, Firmen und Nationen diesbezüglich entwickeln. Eine wichtige Station in einer Beziehung ist zum Beispiel, durch die „tote Zone“ zu gelangen. Das ist der Punkt, an dem viele Paare aufgeben. An diesem Punkt muss man die Kontrolle aufgeben. Die Interdependenz kommt ins Spiel. Für mich war es unheimlich schwer, die Kontrolle aufzugeben. Das ist nicht selten bei Männern, da sie Angst vor Gefühlen haben. Die meisten Männer erweitern ihr Bewusstsein durch die Frauen, die sich viel mehr um dieses Thema kümmern. Die Hürden werden meist überwunden, indem die Frau einen Schritt macht und der Mann ihr folgt. Die Männer steuern auch ihren Anteil bei, aber sie brauchen meist den Anstoß der Frau.
newsage: Woher kommen diese ganzen Ängste und Probleme?
Chuck: Das sind Herzensverletzungen. Solche Verletzungen werden von den Eltern an die Kinder weitergegeben. Es ist eine richtige Ahnengeschichte von Verletzungen, die sich durch die Zeiten zieht und bereits mit der Empfängnis weitergegeben wird. Dabei habe ich herausgefunden, dass das Ausmaß von Herzschmerz mit dem Ausmaß korreliert, wie sehr wir jemanden von uns stoßen. Ein gebrochenes Herz ist eher ein aggressiver Akt, der dem Partner Schuldgefühle macht. Wenn man hingegen jemanden weiterhin liebt, auch wenn er einem Schmerz zugefügt hat, wird man kein gebrochenes Herz haben, sondern Liebe verspüren. Wir selbst bestimmen diese Reaktion. Emotionaler Schmerz ist ein Missverständnis, wissen Sie. Und Liebe lässt Schmerzen schmelzen. Ich hatte mal eine Klientin, die ihr ganzes Leben darunter litt, dass ihre Mutter sie von Geburt an nicht gewollt hatte. Wir gingen zurück zu dem Ereignis ihrer Geburt (die Geburt ist immer wie eine Blaupause für das ganze Lebensmuster) und wir betrachteten einmal nur die Mutter. Es wurde klar, dass die Mutter selbst psychische Verletzungen trug und um diese nicht zu fühlen, hatte sie sich von ihrem Schmerz abgeschnitten. Es war keine bewusste Tat, dass die Mutter ihr Kind nicht wollte. Sie war einfach selbst psychisch belastet. So vervollständigten wir das Bild der Mutter und dieses Verständnis brachte auch seitens der Tochter Liebe in die Geschichte. Wir ließen der Mutter bewusst Gefühle der Liebe zukommen. Da wir alle geistig miteinander verbunden sind, können wir auf diese Weise Heilung für andere bewirken. Bei der besagten Mutter hat es zumindest gewirkt. Sie rief ihre Tochter am gleichen Tag an und sagte ihr zum ersten Mal in ihrem Leben, dass sie sie liebte. Das ist schon ein außergewöhnliches Beispiel. Und es war ein großes, unerwartetes Geschenk für die Tochter. Ich sage immer: Hinter jedem Trauma verbirgt sich ein Geschenk der Liebe.
Was Männer von Frauen über Sexualität lernen können
96 Seiten, € 7,95
ISBN: 978-3-86616-107-8
Via Nova